The Best American Science Fiction and Fantasy 2016 (von Karen Joy Fowler & John Joseph Adams)
|Mit den Kurzgeschichten Philip K. Dicks begann mein Interesse an Science Fiction Literatur. Von Zeit zu Zeit habe ich mit dem Gedanken gespielt, eines der amerikanischen Magazine mit Science Fiction Kurzgeschichten zu abonnieren. Doch während die Preise der Print-Ausgaben in der Regel abschreckend sind, haben vor allem die großen Magazine (z.B. Asimov) ein Abbo-System, das entweder auf Amazons Kindle oder aber auf eine extra App angewiesen ist. Mittlerweile gibt es viele frei zugängliche, über Spenden finanzierte Medien dieser Art in den Vereinigten Staaten. Doch die internetbasierten Hefte bieten nicht dasselbe Lesegefühl wie ein Buch oder ein epub. Daher habe ich mich Ende 2016 entschieden, Antologien mit Kurzgeschichten auszuprobieren.
Als erste habe ich „The Best American Science Fiction and Fantasy 2016“, herausgegeben von Karen Joy Fowler auf der Basis einer Vorauswahl von John Joseph Adams, ausprobiert. Diese Anthologie ist noch relativ jung, die erste Ausgabe erschien 2015. Sie enthält 20 Kurzgeschichten, von denen zehn im Bereich der Science Fiction und zehn im Bereich der Fantasy angesiedelt sind. Vor allem letzteres ist für mich der spannendsten Teil des Experiments. Ohne darüber groß zu reflektieren lese ich nämlich wenig bis keine Fantasy.
Am Ende dieser etwas ungewöhnlichen Rezension befindet sich eine Tabelle, die alle Beiträge in der Anthologie auflistet. In ihr sind alle meine 19 Rezensionen zu dem Band verlinkt, die ich im Laufe des vergangenen Jahres angefertigt habe. Einzig die Geschichte Tea Time von Rachel Swirsky habe ich nicht besprochen. Es ist eine Hommage an „Alice im Wunderland“, das ich schlicht nicht gut genug kenne, um die Erzählung zu besprechen.
Nach zwei etwas generischen Vorworten bietet die Anthologie eine beeindruckende Bandbreite an Themen, Erzählstilen und Emotionen. Dabei ist es schwer, einzelne, herausragende Kurzgeschichten zu identifizieren. Persönlich gefielen mir die Erzählungen mit etwas experimentellem Erzählstil nicht immer. So sind zum Beispiel das einleitende Meet me in Iram von Sofia Samatar, The Apartment Dweller’s Bestiary von Kij Johnson und The Thirteen Mercies von Maria Dahvana Headley interessant, aber weniger nachdenklich und spannend als die weniger innovationsfreudigen und dafür direkteren Geschichten. Andererseits leben Headshot von Julian Mortimer Smith und The Heat of Us von Sam J. Miller von ihrer ungewöhnlichen Struktur (Interview bzw. Oral History Berichte) und gewinnen gerade dadurch ihre Eindringlichkeit.
Dramatische Melancholie findet sich in vielen Geschichten. Salman Rushdies The Duniazát, Liz Ziemskas The Mushroom Queen, Nick Wolvens No Placeholder for You, My Love und vor allem Dale Baileys überragende Kurzgeschichte Lightning Jack’s Last Ride greifen ganz verschiedene Motive auf, spielen in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dennoch spielen sie alle mit dem Rückblick auf individuelle Leben. Bei allen muss die Linie zwischen Gut und Böse sowohl von den erzählenden Figuren als auch vom Leser immer wieder neu gezogen werden. Und am Ende steht meist entweder das Verharren in der Vergangenheit oder aber der Schritt in ein hoffnungsvolleres Leben – wobei beides von einer sehr dünnen Grenze getrennt ist. Während alle Kurzgeschichten überraschend emotionale Szenen schaffen, sind diese vier in ihrer Melancholie am eindrucksvollsten und hallen noch eine Weile nach.
Ein anderes interessantes Thema ist wie Krankheit in der Zukunft bzw. in der Fantasy behandelt wird. Auf der einen Seite erlebt der Leser in Interesting Facts von Adam Johnson aus der Perspektive eine Krebskranken wie sich ihre Familie bereits auf ein Leben ohne sie einrichtet – wobei nie ganz klar ist, ob sie das noch als lebendige Person erfahren hat oder ob wir den Blickwinkel einer Toten betrachten. In By Degrees and Dilatory Time von S. L. Huang kommt ein krebskranker Jugendlicher der Zukunft zu Wort. Die heimtückische Krankheit lässt sich dank modernsten Technologie hier längst heilen. Die vielen technischen Geräten, die die Person deswegen im Körper tragen muss, haben jedoch ihren Preis – nicht physisch, aber psychisch gibt es viel zu verarbeiten und Huang lässt den Leser überraschend nah an dieser Veränderung teilhaben. In Rat Catcher’s Yellow von Charlie Jane Anders erlebt man wiederum wie ein Computerspiel die Patienten der (Alzheimer ähnlichen) Krankheit Rat Catcher’s Yellow nicht nur dabei hilft zu überleben, sondern mit den anderen Teilnehmern im Spiel ein menschenwürdiges, gesellschaftliches Leben führen zu können. Die Angehörigen haben nun jedoch das Gefühl, ihre Liebsten nicht mehr an eine Krankheit, sondern an ein Computerspiel zu verlieren. Dieser schmerzhafte Prozess und der Versuch in diesem Leben, das dem Patienten zwar Glück, den Behandelnden aber vor allem Arbeit beschert, Sinn zu finden, ist ausgesprochen bewegend dargestellt.
Die Mischung aus Fantasy und Science Fiction bietet also vor allem ein sehr breites Feld, das den Leser auf verschiedenste Arten bewegt, unterhält und zum Nachdenken anregt. Nicht jede Geschichte überzeugt gleichwertig, aber alles in allem entführt einen „The Best American Science Fiction and Fantasy“ in eine Reihe lesenswerter Welten, Gedanken und Emotionen, von denen die Meisten lange in Erinnerung bleiben.
Nr. | Titel | Autor | Publikation |
1 | Meet Me in Iram | Sofia Samatar | Meet Me in Iram / Those Are Pearls |
2 | The Game of Smash and Recovery | Kelly Link | Strange Horizons |
3 | Interesting Facts | Adam Johnson | Harper’s Magazine |
4 | Planet Lion | Catherynne M. Valente | Uncanny Magazine |
5 | The Apartment Dweller’s Bestiary | Kij Johnson | Clarkesworld Magazine |
6 | By Degrees and Dilatory Time | S. L. Huang | Strange Horizons |
7 | The Mushroom Queen | Liz Ziemska | Tin House |
8 | The Daydreamer by Proxy | Dexter Palmer | The Bestiary |
9 | Tea Time | Rachel Swirsky | Lightspeed Magazine |
10 | Headshot | Julian Mortimer Smith | Terraform |
11 | The Duniazát | Salman Rushdie | The New Yorker |
12 | No Placeholder for You, My Love | Nick Wolven | Asimov’s Science Fiction |
13 | The Thirteen Mercies | Maria Dahvana Headley | The Magazine of Fantasy & Science Fiction |
14 | Lightning Jack’s Last Ride | Dale Bailey | The Magazine of Fantasy & Science Fiction |
15 | Things You Can Buy for a Penny | Will Kaufman | Lightspeed Magazine |
16 | Rat Catcher’s Yellows | Charlie Jane Anders | Press Start to Play |
17 | The Heat of Us: Notes Toward an Oral History | Sam J. Miller | Uncanny Magazine |
18 | Three Bodies at Mitanni | Seth Dickinson | Analog Science Fiction and Fact |
19 | Ambiguity Machines: An Examination | Vandana Singh | Tor.com |
20 | The Great Silence | Ted Chiang | e-flux journal |