Lightning Jack’s Last Ride (von Dale Bailey)

In der Zukunft wird das Öl knapp. Der ehemalige Rennsportler Jack kann dennoch nicht auf seine Leidenschaft, das Autofahren, verzichten. Während die USA im Chaos und Bürgerkriegen versinken, spezialisiert er sich darauf, mit getunten Autos, die wenigen verbliebenen Öllieferungen zu stehlen. Dabei kann er auf die Hilfe eines Teams aus Vertrauten zählen. Der Leser weiß von Beginn an, dass Jacks Raubzüge in seinem Tod enden. Der heroische Tod in einer Verfolgungsjagd durch Ordnungshüter ist jedoch fingiert. Tatsächlich fällt Jack durch Streitereien in seinem nur vermeintlich eingeschworenen Teams.

Bailey gelingt in dieser Kurzgeschichte ein grandioses Worldbuilding. Auf wenigen Seiten macht er den Leser mit einer Zukunftsversion vertraut, in der die Abwesenheit von Öl großes Chaos hervorruft. Ohne Öl verändern sich nicht nur alle Produktionswege. Das moderne Militär ist auf Öl zur Aufrechterhaltung der Ordnung bzw. von Drohkulissen angewiesen. Ohne die schnelle Verfügbarkeit überall, gibt es in den USA kaum einen Weg, rebellische Tendenzen zu unterdrücken. Das Chaos macht sich breit und verschiedene Fraktionen bemühen sich, das technologische Machtvakuum auszunutzen. Dies schafft bereits eine sehr melodramatische Atmosphäre.

Der Rennsport ist die perfekte Metapher für den Untergang des Ölzeitalters. Die sinnlose Verbrennung einer eigentlich wertvollen Ressource kann unter knappen Bedingungen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Damit geht – zusammen mit der Autoindustrie, die sich jedoch immerhin noch auf Reparaturen spezialisieren kann – nicht nur ein Arbeitssektor, sondern auch eine Kultur unter. Menschen, die wie Jack vom Adrenalin abhängig sind, bleibt wenig übrig, als kriminelle Formen des Kicks zu suchen.

Auf dieser Überlegung baut Bailey zunächst eine Heldengeschichte nach dem Vorbild der „großen“ amerikanischen Schurken auf. Das alles wird aus der Perspektive eines sehr intelligenten aber nicht sonderlich mutigen Mitläufers Gus March geschildert. March verliebt sich in eine Teamkollegin, die ihm von Jack ausgespannt wird. Dies führt letztlich zur Implosion der Gruppe und zum Mord an Jack. March verzeiht sich die Tat – und die Tatsache, dass er dadurch der „Säuberungsaktion“ der amerikanischen Polizei entgangen ist – bis ins hohe Alter nicht. Bailey konstruiert diese Wende ausgesprochen überzeugend. Nach der melancholischen Atmosphäre der räuberischen „Ölhelden“, bricht er Stück für Stück die Propagandaelemente der Gesellschaft durch die Marchs Erzählung der eigentlichen Ereignisse auf. March leidet nicht nur an dem Mord, sondern auch an der Tatsache, dass er für Jack (und sein Charisma) mehrere Menschen umgebracht hat. Das rationalisiert er aber genau so brutal weg wie seine Gefühle. Die Mörder – so wird immer deutlicher – verklären sich in dieser Geschichte selbst zu Helden. Für den Kick, für die Freiheit auf der Straße ist es gerechtfertigt, Menschen umzubringen. Und so entlarvt sich March durch seine vermeintliche Enthüllung über die wahren Vorgänge letztlich selbst.

Diese schaurige Anschauung unterliegt vielen verklärenden Ganoven Geschichten. Bailey spielt mit diesen Mustern und verlegt das Szenario in die Zukunft. Dabei verbindet er eine eindringliche, melancholische Stimmung mit einer überzeugenden, verklärenden Erzählperspektive. Dieser Rückblick auf ein von Gewalt geprägtes Leben strotzt vor fehlgeleiteten Rechtfertigungen und erlaubt einen Einblick, wie Menschen auch im hohen Alter noch vor zu deutlichen Worten vor den Fehlschritten ihrer selbst und ihrer geschätzten Weggefährten zurückschrecken.

Die Kurzgeschichte „Lightning Jack’s Last Ride “ ist 2015 in dem Magazin „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2016“, herausgegeben von Karen Joy Fowler und John Joseph Adam.

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