No Placeholder for You, My Love (von Nick Wolven)

Claire ist Teil einer digitalen Datingwelt. Die Protagonisten finden sich jeden Tag an einem neuen Ort wieder, an dem eine wilde Party stattfindet. Um Mitternacht erklingt ein Gong, die Welt löst sich auf und jeder Charakter wacht am nächsten Tag an einem anderen Ort auf. Dort trifft man nur unter einer Bedingung Partner wieder: Man muss vor dem letzten Gongschlag deutlich sagen, dass man den oder die Liebhaber/in wiedersehen möchte. Die Geschichte hat jedoch einen Haken: Während die Affären durchaus sinnlich sind, ist wahre Liebe unmöglich. Jeder Protagonist ist ständig auf der Suche nach dieser Form der Zuneigung und muss dabei unweigerlich scheitern. Claire entwickelt ob dieser Sinnlosigkeit ihres Tuns zunehmend eine Depression. Da stößt Byron in ihr Leben und verspricht ihr, mit ihr an einen Ort in dem Computerprogramm zu reisen, an dem sie von dem ewigen sich wiederholenden Zirkus entfliehen können und wahre Liebe empfangen können.

Das Setting der Kurzgeschichte ist äußerst interessant. Wie ist es, aus der Sicht einer vermutlich programmierten Person, in einer sich ständig wiederholenden Simulation festzustecken. Diese ist zwar mit erfolgreichen Sexabenteuern und Gelegenheitsbeziehungen gespickt, bietet aber nie wirkliche Gefühle. Selbst wenn man sehr gut zueinander passt, spielt der Charakter eigentlich keine Rolle. Jeder Protagonist ist zu einer ewigen Wiederholung der immer selben Romanzen mit unterschiedlichen Figuren verdammt. Der Leser braucht eine Weile, bis dieser Umstand ganz deutlich wird. Allerdings bleibt eine Frage bis zum Schluss im Raum stehen: Warum erkennen einige Charaktere dies und andere nicht? Eine mögliche Antwort versteckt sich in einer Beziehung Claires zu einer anderen Frau: In dem Moment als ihre Partnerin über Gefühle und – Gott bewahre! – über die Liebe zu reden beginnt, die sich unter anderen Umständen entwickeln könnte, entschließt sich Claire die Beziehung nicht durch die magischen Worte „I want to see you again“ (Ich möchte Dich wiedersehen) fortzuführen. Die Beziehung endet kurz und schmerzvoll, das Ansprechen von Gefühlen scheint ein Tabu dieser digitalen Gesellschaft zu sein.

Claire versinkt angesichts der immer gleichen Litanei in einer Depression, aus der sie erst Byron errettet. Er präsentiert die interessante Überlegung, die er aus seinem im einprogrammierten früheren Leben als Computerprogrammierer ableitet,  dass es in dem Programm Ecken gibt, die von dem regelmäßigen Ortswechsel nicht betroffen sind. Zusammen mit Claire möchte er dorthin fliehen. Dies ist ein sehr starker Abschnitt der Kurzgeschichte. Die Flucht bietet auf der einen Seite viel Spannung, wünscht man den Protagonisten doch herzlich, dass sie an einen anderen Ort gelangen. Gleichzeitig machen sich während der Flucht Zweifel bei Claire breit: Sicher, sie möchte ihrer Gegenwart entfliehen; doch wie wird es sein nur mit einer anderen Bezugsperson zu leben? An einer entscheidenden Stelle auf der Flucht zögert sie. Sie stürzt, bleibt zurück und wird durch den Gong von Byron getrennt. Sie ist nun dazu verdammt jeden Tag, ohne dabei zu altern, sich zu fragen, ob sie die Chance ihres Lebens verpasst hat. Gleichzeitig weiß sie nicht, ob der Rand des Programms nicht auch das Ende ihrer Existenz bedeutet hätte und ob sie in einer anderen Existenz überhaupt glücklich geworden wäre. Diese emotionale Zerrissenheit einer digitalen, aber äußerst menschlich wirkenden Figur, ist hier sehr gut beschrieben.

Letztlich wirft die Geschichte angesichts immer weiter entwickelter Computerprogramme die Frage auf, was mit den von Menschen genutzten Charakteren passiert, die nicht mehr genutzt werden. Denn ein dritter beeindruckender Aspekt der Kurzgeschichte ist eine Diskussion zwischen Claire und Byron über den Sinn und Zweck des Programms. Gemeinsam spekulieren sie, welche sozialen Beziehungen die Menschheit wohl nicht mehr erlebt und mit dem Programm für Anwender simulieren wollte.  Auch dieser Moment, indem die Kurzgeschichte noch stärker in eine seichte Kritik heutiger Dating-Praktiken abdriftet, ist überzeugend, da es einen interessantes Gedankenspiel über die Konsequenzen künftig entwickelter, hochleistungsfähiger Programme beinhaltet.

„No Placeholder for You, My Love“ entführt den Leser somit auf wenigen Seiten in eine digitalen Parallelwelt, die die Kulisse für eine nachdenkliche, emotionale und spannende Geschichte bietet.

 

Die Kurzgeschichte „No Placeholder “ ist 2015 in dem Magazin „Asimov’s Science Fiction“ erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2016“, herausgegeben von Karen Joy Fowler und John Joseph Adam.

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