A Memory Called Empire (von Arkady Martine)
|Die Lsel Station ist ein kleines Territorium am Rande des mächtigen Teixcalaani Imperiums. Das Imperium vergrößert sich in regelmäßigen Wellen. Daher ist es den Bewohnern der Station sehr wichtig, gute Beziehungen zum Imperium zu unterhalten, um nicht irgendwann selbst auf der Liste zu annektierender Nachbarn zu stehen. Nun ist der langjährige Botschafter der Station, Yskander, unter ungeklärten Umständen gestorben und das Imperium bittet umgehend um einen Ersatz. Mahit Dzmare tritt die Nachfolge an. Aufgrund des Zeitdrucks kann sie nur oberflächlich vorbereitet werden. In aller Eile wird ihr ein „Imago“ eingesetzt, ein mentaler Abdruck Yskanders, der jedoch bereits viele Jahre alt ist. Das Gerät weist zudem eine Fehlfunktion auf, der Kontakt bricht bald ab. Mahit ist nun auf sich allein gestellt und findet erst einmal mithifle ihrer teixcalaanischen Assistentin heraus, dass Yskander ermordet wurde. Bei ihren Nachforschungen stolpert Mahit rasch von einer Verschwörung in die nächste und wird zu einer Schlüsselfigur in dem sich anbahnenden Bürgerkrieg um die Nachfolge des alternden Imperators. Durch ihre prominente Rolle droht dei Lsel Station das erste Opfer der Auseinandersetzungen außerhalb des Imperiums zu werden.
Mahit ist eine unerfahrene „Heldin“. Sie wurde überraschend und kurzfristig auf den Posten der Botschafterin befördert und muss sich in ihrer Rolle erst einmal zurechtfinden. Das ist im teixcalaanischen Imperium gar nicht so einfach. Jede Begegnung ist eine Schlangengrube, folgt strengen Konventionen und ist mit gesellschaftlichen Codes durchzogen. Die planetenumfassende Hauptstadt wirkt wie ein Sumpf, indem eine endlose Menge an Interessen miteinander kollidieren und jeder gegen jeden spielt. Mahit bleibt dabei leider ein uninteressanter Charakter. Ihre unbefangene Perspektive auf die Komplotte ist zwar übezeugend, doch fehlt ihr der Antrieb. Während es scheinbar auch auf der Lsel-Station unterschiedliche Fraktionen gibt, die durchaus im Verdacht stehen, Mahits Imago-Maschine sabotiert zu haben, fehlen Mahit alle Ecken und Kanten. Ihr geht es schlicht und einfach darum, ihren Job so gut wie möglich zu machen und die Unabhängigkeit ihrer Heimat zu verteidigen. Dabei ist sie gleichzeitig so sehr von texcalaanischer Kultur fasziniert, dass sie sehr wohl in der Lage ist, die Codes ihrer Gesprächspartner zu entziffern. Auf diese Weise findet sie rasch heraus, dass Yskander ermordet wurde. Danach verwandelt sich der Roman in ein Kriminalspiel vor dem Hintergrund eines Bürgerkrieges, ohne dass Mahits Charakter dabei an Statur gewinnt.
Viel interessanter sind Mahits Sidekicks. Das Imperium stellt ihr eine kulturelle Beraterin, Three Seagrass. Deren bester Freund aus Studientagen ist der Geheimdienstmitarbeiter Nineteen Adze. Beide wünschen sich eine Karriere im Imperium. Aber beide sind unglaublich neugierig. Das führt immer wieder zu spannenden Situationen, in denen die beiden sich entscheiden müssen, ob sie dem Imperium dienen oder ihre Neugierde durch eine Zusammenarbeit mit Mahit befriedigen. Dadurch entwickeln sich im Verlauf des Romans freundschaftliche und andere Gefühle, vor allem zwischen Mahit und Three Seagrass an. Während Mahit auch dabei blass bleibt, entwickelt sich Three Seagrass durch ihre Mischung aus strageschichem Geschick, unschuldiger Neugierde und überbordender Lebensfreude in einer starren Gesellschaft zu einer komplexen Figur.
Martine gelingt es, die verschiedenen Fraktionen im taxcalaanischen Imperium in die Handlung einzufügen, ohne dabei zu sehr in textbuchartige Erläuterungen zu verfallen. Es gibt verschiedene Kandidaten, die dem Imperator nachfolgen können. Es stellt sich heraus, dass die Lsel Station dabei eine wichtige Rolle spielt. Die Imago-Maschinen sind im Imperium unbekannt. Nachdem Yskander von dem nahenden Tod des Imperators erfahren hat, nutzte er dessen Sorge um die Zukunft des Imperiums, um sie als Unsterblichkeitsmaschinen anzupreisen. Durch seine Ermordung ist die Unsterblichkeit des Imperators vom Tisch, der Kampf um die Nachfolge beginnt. Alle Parteien haben jedoch Angst, dass mit Mahit die Verheißung eines unsterblichen Imperators zurückkehrt. Das ist eine in der Theorie durchaus interessante Motivation: Die Möglichkeit der Unsterblichkeit zerstören, nur um selbst vorrübergehend den Thron des Imperiums zu besteigen. Für Lsel stellt sich dabei natürlich die Frage, ob der Imperator tatsächlich der bestmögliche Herrscher für solch ein mächtiges Imperium ist oder ob seine Nachfolger vielleicht doch besser für die Bevölkerung und vor allem Nachbarn des Imperiums wären? Das Imperium ist eindeutig militärisch orientiert. Doch will es den Eindruck erwecken, dass die Bevölkerungen annektierter Gebiete eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erfahren. Im Verlauf des Romans hat man erhebliche Zweifel daran, ob das so stimmt. Bereits in den Außenbezirken der Hauptstadt ist das Leben deutlich komplizierter als im Regierungsviertel. Leider geht der Roman auch nicht wirklich auf die Gefahren des Imperiums ein. Die Nachfolger des Imperators delegitimieren sich zwar durch ihr brutales Vorgehen im Nachfolgestreit. Es wird aber nicht wirklich deutlich, was der Sieg der einen oder der anderen Fraktion zu bedeuten hat. So ist Mahits Lavieren durch das Minenfeld des beginnenden Bürgerkriegs zwar spannend, durch mehr Wissen über die Ziele und Motive der verschiedenen Parteien wäre das aber noch deutlich spannender.
„A Memory Called Empire“ präsentiert ein sehr durchdachtes, sehr komplexes und doch eingänglich geschildertes Imperium, das in wenigen Kapiteln vor den Augen der Leser zum Leben erwacht. Die gesellschaftlichen Umgangsformen sind so eingänglich in Szene gesetzt, dass es die etwas lästigen und umständlichen Ausschnitte verschiedener Geschichtsbücher und Medienberichte zu Beginn eines jeden Kapitels gar nicht gebraucht hätte. So gelungen die Welt des taxcalaanischen Imperiums in Szene gesetzt ist, so bieder wirkt die eigentliche Geschichte. Mahit arbeitet kontinuierlich für das Ziel, die Freiheit ihrer Heimat zu verteidigen, ohne dass dabei deutlich wird, was Lsels Freiheit auszeichnet. Während ihre Assistenten interessante Charaktere bleiben,, trumpft Mahit einzig als Kennerin imperialer Kultur auf. Und während die Verschwörungen und Auseinandersetzungen verschiedener Fraktionen im Imperium pfiffig konstruiert sind, fehlt die Fallhöhe, die der Sieg oder die Niederlage der verschiedenen Fraktionen mit sich bringen würde. Zu allem Überfluss wird der eigentliche Kern des Konflikts, die versprochene Unsterblichkeit sowie die Ausrichtung des Imperiums, nur stiefmütterlich behandelt. „A Memory Called Empire“ ist zwar ein unterhaltsames und streckenweise wirklich spannendes Buch. Aufgrund der Unkenntnisse über das Leben auf der Lsel Station kann es seine Leser aber nicht wirklich davon überzeugen, über das im taxcalaanischen Imperium verhandelte Schicksal der Station mitzufiebern. Und aufgrund derselben Unkenntnisse über die Natur des Imperiums und dessen Auswirkungen auf annexierte Gebiete gibt es genau so wenige Gründe, sich um den Fortbestand des letztlich doch zu anonymen Imperiums zu sorgen.
„A Memory Called Empire“ ist für den Hugo Award 2020 in der Kategorie „Best Novel“ nominiert.