Rückblick: Englische „Star Trek“-Romane 2015

Der erste Monat des Jahres 2016 ist beinahe vorüber, Zeit einmal auf die zwölf „Star Trek“-Romane des Jahres 2015 zurückzuschauen. Wie bereits 2014 wurde das Jahr nicht von einem Großevent überschattet: Seit dem Ende von The Fall im Januar 2014, verlaufen sich die Handlungsstränge im 24. Jahrhundert wieder in einzelnen Romanen. Dieser Rückblick gibt einen kleinen Überblick über die verschiedenen „Star Trek“-Geschichten des letzten Jahres, versucht sich an zugespitzten Bewertungen und verweist natürlich auf die Rezensionen.

Der schwierige Aufbau der Föderation

uncertain logicUncertain Logic ist der dritte Teil der „Rise of the Federation“-Reihe. Während die vorherigen Romane alle einen Meilenstein der Föderationsgeschichte abdeckten (Integration der Sternenflotte, Erweiterung und demokratische Konsolidierung) bleibt der dritte Teil der Reihe etwas auf der Stelle stehen: Es gibt einen innervulkanischen Konflikt, einen Erstkontakt und eine erbitterte Auseinandersetzung mit den Reperaturstationen aus der zweiten „Enterprise“-Staffel. Durch die vielen Erzählebenen der Handlung weist der Roman ein hohes Tempo auf und unterhält gut, doch durch unnötige Cliffhanger und ein Vulkanhandlung, die keine strukturelle Erklärung für einen stärkeren Zusammenhalt innerhalb der Föderation bietet, bringt der Roman dem Leser den Aufstieg der Föderation nur bedingt näher.

Fokus: Spock

Wie im Vorjahr erschienen drei TOS-Romane im Jahr 2015. Zunächst durfte sich Captain Kirk durch ein verwirrendes Dickicht an Flüchtlingen, Überresten eines alten Imperiums und einer unbekannten Macht schlagen. Der Roman Savage Trade, so unterhaltsam er auch ist, fällt vor allem durch viele Logiklöcher und einen äußerst platten Erzählstil auf.

crisis of consciousnessDie anderen beiden Romane legten den Fokus auf Spock. Crisis of Consciousness beginnt mit einem faszinierenden Szenario. Nach Jahrtausenden tauchen die früheren Bewohner eines mittlerweile von einem anderen Volk besiedelten Planeten auf und fordern diesen zurück. Klugerweise hat dieses Volk das anfliegende Schiff frühzeitig erkannt und rechtzeitig ein Schutzabkommen mit der Föderation abgeschlossen – somit muss Captain Kirk irgendwie eine zufriedenstellende Lösung finden. Leider verschiebt sich der Handlungsschwerpunkt rasch von der äußerst interessanten Ausgangsfrage zu einer eher simpel und übertrieben dargestellten Rache-Mission, von der nur Spock die unbekannten Ankömmlinge abhalten kann.

child of two worlds 240Am Ende des Jahres lag der Fokus mit Child of Two Worlds dann noch stärker auf dem ersten Offizier der Enterprise – allerdings zu einem Zeitpunkt als dieser diese Position noch gar nicht besetzte. Unter Captain Pike gerät die Enterprise in eine prekäre Lage: Sie muss in einer Familienauseinandersetzung vermitteln, um an ein Mineral zu kommen, mit dem der Ausbruch des Rigelianischen Fiebers behandelt werden kann. Der Fall: Eine Cyprianerin wurde in jungen Jahren von Klingonen entführt. Nun konnten die Cyprianer sie zurück entführen, doch das Mädchen möchte zu ihrem klingonischen Ziehvater zurück, der zudem mit einem Schlachtschiff die Enterprise bedroht. Spock, selbst ein Kind zweier Welten, vermittelt. Dieser Roman ist keine tiefschürfende, aber eine sehr unterhaltsame Erzählung, die durchaus mit guten TV-Folgen mithalten kann.

Einzelabenteuer in der Taurus-Region

Das Jahr sah zudem zwei neue Seekers Folgen. Es wird immer offensichtlicher, dass David Mack sich um die Geschichten auf der U.S.S. Saggitarius zu kümmern hat, während Dayton Ward und Kevin Dilmore sich mit der Besatzung der U.S.S. Endeavour herumschlagen müssen. Weiterhin ist keine zusammenhängende Handlung in Sicht, die einzelnen Romane beschränken sich strikt auf unzusammenhängende Einzelepisoden. Das kann unterhaltsam sein, ist aber auch riskant.

all thats left 240Das wird vor allem an dem vierten Teil der Reihe, All that’s left deutlich. Die Geschichte kommt nicht richtig voran, Erzählmuster wiederholen sich und auch die ad-hoc Lösung kann nicht überzeugen. Der Roman ist dadurch nicht wirklich überzeugend. Der Vorgänger, Long Shot, entgeht dem Schicksal nur dadurch, dass das Tempo der Erzählung (typisch für David Mack) deutlich höher ist. Aber auch hier wiederholen sich Erzählmuster. Nach der überzeugenden Vanguard-Serie hätte man sich auch von diesen beiden Bänden deutlich mehr und deutlich innovativere Handlungen erhofft.

Amokläufe, Zeitreisen und Geistergeschichten

takedown 240Nach den Ereignissen von The Fall hat man ein Jahr nichts mehr von Captain Picard, Admiral Riker und ihren Crews gehört. Das ändert sich in diesem Jahr: Den Auftakt macht ein äußerst actionreicher und dann überraschend nachdenklicher und gelungener Amoklauf Admiral Rikers in Takedown. Es folgt eine waschechte Forschungsmission der Enterprise-E, in deren Verlauf Captain Picard in einen jahrhundertelangen, komplizierten und gnadenlosen Konflikt gerät, den beide Seiten gerade in Ermangelung von Überlichtantrieben und verbliebenen natürlichen Ressourcen mit Zeitreisen lösen müssen. Das größte Zeichen davon ist eine riesige Superwaffe, die dem Planetenzerstörer ähnelt aber den Titel Armageddon’s Arrow trägt. In diesem überzeugenden Roman gelingt Captain Picard das Unmögliche und am Ende gibt es einen „Star Trek“-typischen Frieden.

sight unseen 212Die „Titan“-Serie wird nach den Ereignissen in The Fall ebenfalls deutlich komplizierter: Riker ist nun ein Admiral und einen Admiral schickt man nicht mal eben so auf eine Forschungsmission. Insofern wird die versprochene Mission auch gleich zu Beginn von Sight Unseen abgeblasen. Als Trostpflaster erhält Riker das Kommando über einen Grenzsektor der Föderation und kann sich dort um Erstkontakte, diplomatische Verhandlungen und die Grenzerforschung kümmern. Gleich nach der Ankunft stößt die Titan auf eine unheimliche Bedrohung aus dem Subraum. Die Geschichte, die teilweise die Grundlage für zukünftige Titan-Romane legt, überzeugt mit einer teilweise gruseligen Atmosphäre. Allerdings zieht sich die Erzählung streckenweise etwas in die Länge und ist weit von den fantastischen Forschungs- und Charakterabenteuern der früheren Titan-Bände vor Destiny entfernt.

Deep Space Nine x 2

 Für die größte Verwunderung sorgte die Serie „Deep Space Nine“. Der erste Roman des Jahres The Missing behandelte die Auswirkungen des Anschlags auf Präsidentin Bacco und wie die DS9-Crew damit umgeht. Allerdings wurden dieselben Szenen anschließend noch einmal in David R. George IIIs Buch Sacraments of Fire eingebaut. Äußerst schräg, man fragt sich, welcher Koordinationsbeauftragte bei Pockets Books dort geschlafen hat.

sacraments of fire 240Während The Missing viele Handlungsstränge, mit deutlicher Charakterfokussierung, sehr überzeugend auf engem Platz erzählt, ist das einzig positive an Sacraments of Fire, das es viele vernachlässigte Punkte des DS9-Relaunches wieder aufgreift. Leider unterstreicht es dabei hauptsächlich, dass das einstige Flaggschiff des Romanuniversums nach allen Regeln der Kunst gegen die Wand gefahren wurde. Der Roman greift Versatzstücke aus Revelation and Dust sowie den letzten DS9-Relaunch Büchern auf. Dabei verwendet er eine obskure Erzählung über verschiedene Zeitebenen, verfolgt viele unbeantwortete Handlungsstränge und ist dennoch äußerst langatmig erzählt. DS9 wird glücklicherweise in 2016 zwei weitere Romane erhalten, es bleibt zu hoffen, dass sie die Sache eher wie The Missing machen und endlich wieder überzeugende Geschichten auf DS9 erzählen, die nicht in eine Crossover-Serie eingebunden sind. Alles in allem zeigt Sacraments of Fire immerhin, dass es noch viel auf DS9 zu erzählen gibt, wenn auch unbedingt in interessanterer Form.

Die Seele der Föderation und der Delta-Quadrant

atonement 240Der „Voyager“-Roman des Jahres, Atonement, schließt ein Jahr nach Acts of Contrition die Trilogie um die Konföderation der Welten im Delta-Quadranten ab. Während der Vorgänger noch im Detail die kapitalistischen und ausbeuterischen Strukturen dieses Staates beschrieb und kritisierte, zeigt Atonement wie die Föderation trotzdem die positiven und progressiven Kräfte identifiziert und gelungene Arbeitsbeziehungen aufbauen kann. Gemeinsam gelingt es sogar, eine alte Bedrohung zu stoppen, die die komplette Region ins Chaos gestürzt hätte. Dabei wird nicht nur der Delta-Quadrant stabilisiert, viele Voyager-Charaktere haben zudem sehr gelungene Auftritte in dem Roman. Gleichzeitig gelingt es Seven of Nine angesichts einer Epidemie im Alpha-Quadranten die Seele der Föderation zu retten, indem einem skrupellosen Mediziner das Handwerk gelegt wird.

Obwohl Atonement sehr überzeugend ist, verdeutlicht vor allem die Handlung im Alpha-Quadranten ein Problem des Voyager-Relaunches: Obwohl er in der selben Zeit wie TNG, DS9 und Titan angesiedelt ist, gelingt es ihm nicht, vernünftig an diese Serien anzudocken. Derzeit hängt der Relaunch schon wieder einige Zeit hinter der Handlung z.B. aus The Fall. Das ist schade, bedeutet es doch, dass irgendwann wieder eine seelenlose Tour-de-Force à la Full Circle notwendig sein wird. Auch am DS9-Relaunch, der nach den Ereignissen aus Destiny schlichtweg veraltet war, kann man sehen wie riskant dies ist. In diesem Fall verwundert es Leser aller Romane, dass die ach so beeindruckende Epidemie in zeitlich späteren Romanen keinerlei Erwähnung findet. Hier fehlt eine überzeugende Erklärung (à la Vertuschung).

Fazit: Ein „gutes“ Jahr ohne Höhepunkt

Der Durchschnitt der Romanbewertungen 2015 liegt bei guten 3,1 von 5 Punkten. Wie die obige Zusammenfassung zeigt, hatte das Jahr Höhen und Tiefen. Deutlich wird das vergleicht man die Zahl der sehr guten Romane (vier – The Missing, Takedown, Atonement, Child of Two Worlds) mit der Anzahl der durchschnittlich bis unterdurchschnittlichen Romane (ebenfalls vier – Savage Trade, Crisis of Consciousness, Sacraments of Fire, All that’s Left). Der Eindruck wird ein wenig dadurch geschmälert, dass absoluter Höhepunkt wie z.B. The Light Fantastic im vorherigen Jahr fehlt und auch insgesamt ist der Durchschnitt etwas niedriger als im Vorjahr. Trotzdem allem zeigt die Bewertungsliste, dass jede Serie zumindest einmal einen guten oder sehr guten Roman im Programm hatte. Alle Serien sind also noch in der Lage, gute Unterhaltung zu bieten.

Demnächst wird auf Trekzone auch eine Vorschau auf die zu erwartenden Romane des Jahres 2016 erscheinen. Um es schon einmal zu verraten: Es wird mit zwei englischsprachigen und der bereits angekündigten deutschsprachigen Trilogie ein Kontrastprogramm zu den Einzelromanen 2015.

Monat Serie Titel Bewertung
Januar DS9 / TNG The Missing 4
Februar TNG Takedown 4
März TOS Savage Trade 2,5
April ENT Uncertain Logic 3
Mai TOS Crisis of Consciousness 2,5
Juni TNG Armageddon’s Arrow 3,5
Juli DS9 Sacraments of Fire 1,5
August Seekers Long Shot 3,5
September VOY Atonement 4
Oktober Titan Sight Unseen 3
November Seekers All that’s left 2
Dezember TOS Child of Two Worlds 4
Durchschnitt: 3,1

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