Gedanken zur Kategorie „Bester Roman“ der Hugo Awards 2019

Am kommenden Sonntag werden in Dublin die Hugo Awards 2019 verliehen. Die Hugos sind einer der wichtigsten Science Fiction und Fantasy Preise. Wie im vergangenen Jahr, habe ich alle Nominierten in der Kategorie „Bester Roman“ gelesen. Anders als im vorherigen Jahr habe ich dieses Mal eine Unterstützungsmitgliedschaft für die WorldCon, auf der die Hugos verliehen werden, erworben. Durch diese erhält man Zugriff auf Ebook Versionen aller Beiträge, vor allem kann man aber tatsächlich für die Preisvergabe abstimmen. Die sechs nominierten Romane greifen eine Vielfalt unterschiedlicher Themen auf. „Space Opera“ (von Catherynne M. Valente) präsentiert eine satirische, wortwörtliche Weltraumoper und Yoon Ha Lee schreibt in „Revenant Gun“ eine metaphorische Weltraumoper über große Raumschlachten und den Sturz einer brutalen Diktatur. Naomi Kovik wiederum verarbeitet in „Spinning Silver“ das Rapunzel Märchen in eine unterhaltsames feministisches Abenteuer, während Rebecca Rowanhorse indianische Mythen in einen so actiongeladenen wie nachdenklichen und ebenfalls mit einer weiblichen Hauptrolle versehenen Splatter-Roman verwandelt. Becky Chambers entwirft in „Record of a Spaceborn Few“ eine komplexe, geradezu sozialistische Gesellschaft, die auf einstigen Generationenschiffen in einer Subsistenzwirtschaft lebt und Mary Robinette Kowal erzählt eine alternative Geschichte der menschlichen Raumfahrt, in der Frauen nach einem Meteoreinschlag ihren Platz als Astronautinnen erstreiten. Diese Vielfalt macht die Nominierungen dieses Jahres zu einem sehr lesenswerten Vergnügen, da in jedem Roman andere Orte besucht und andere, interessante Themen verarbeitet werden. Im Folgenden nun knappe Anmerkungen zu jedem Roman in der Reihenfolge meiner Abstimmung sowie die Links zu meinen ausführlicheren Rezensionen:

6. Space Opera (von Catherynne M. Valente)

Valente setzt dem Eurovision Song Contest hier ein Science Fiction Denkmal. Eine erfolglose One Hit Wonder Band muss sich wieder zusammenraufen, um eine galaktische Version dieses Wettbewerbs zu gewinnen. Für die Organisatoren ist der Wettbewerb zudem eine Frage, ob die Menschheit tatsächlich intelligent und somit zu friedlichem Zusammenleben fähig ist. Verliert die Band wird die Erde ausgelöscht. Hinter den Kulissen gibt es abstruse Bestechungs- und Manipulationsversuche und vor allem Kontakte mit vielen, vielen verrückten Völkern. Der Roman ist kurzweilig, für eine Satire aber weder absurd noch ereignisreich genug.

5. Revenant Gun (von Yoon Ha Lee)

Die „Machineries of Empire„-Reihe basiert auf einem komplexen Kastensystem und einer noch komplexeren, Kämpfe ermöglichenden Mathematik. „Revenant Gun“ ist der temporeiche und spannende Abschluss für die Trilogie. Der Roman ist sehr gelungen und bringt die Handlung um Kel Cheris und ihre Bemühungen das herrschende System zu stürzen überzeugend zu Ende. Allerdings ist vor allem die Auflösung des dramatischen Höhepunkts ungewöhnlich simpel für die sonst so fein konstruierte Reihe.

4. Spinning Silver (von Naomi Kovik)

In „Spinning Silver“ werden verschiedene Märchen in ein europäisches Mittelalter mit phantastischen Elementen verlegt. In erster Linie ist dies eine feministische Rapunzel-Version, die einen Schneekönig beinhaltet. Der Roman lebt von seinen drei starken und vielschichtigen Frauencharakteren, den gelungenen, weil genau so vielschichtigen männlichen Gegenspielern und seinem durchgehend faszinierenden märchenhaften Ton. An einigen Stellen ist es vielleicht etwas lang geraten, angesichts einer Handlung die trotz der grimmschen Vorlage immer wieder überrascht, hinterlässt das dennoch einen sehr guten Eindruck.

3. Record of a Spaceborn Few (von Becky Chambers)

Chambers „Wayfarers„-Serie steht für spannende und gleichzeitig herzerwärmend, ruhige Science Fiction, die meist Geschichten über Vielfalt und Toleranz aufgreifen. „Record of a Spaceborn Few“ setzt diese Tradition fort. Auf überzeugende Weise erkundet Chambers eine Art sozialistische Gesellschaft im Weltraum, die in ihren einstigen Generationenschiffen im Orbit einer Sonne in Subsistenzwirtschaft lebt. Während die Alten ihre eigene materielle Freiheit preisen, wünschen sich die Jungen die materiellen Vorzüge die die ressourcenreicheren Gemeinschaften auf Planeten erreichen können. Dieser Konflikt wird sehr schön zugespitzt und ist dank der wie üblich authentischen Protagonisten packend.

2. The Calculating Stars (von Mary Robinette Kowal)

In dieser „Alternativgeschichte“ wird Washington D.C. 1952 von einem riesigen Meteroiten getroffen. Der Absturz verändert die Atmosphäre und die Erde droht in einigen Jahrzehnten für Menschen unbewohnbar zu werden. Die einzige Alternative ist die Flucht in den Weltraum. Das Raumprogramm der NASA wird daher extrem beschleunigt. Wie auch in unserer Realität beschäftigt die NASA vor allem Frauen für die alltäglichen Berechnungen, als sogenannte „Computer“. Kowal greift einige dieser Frauen auf und lässt sie in dieser neuen, apokalyptischen Welt schneller als in unserer Welt auf Gleichstellung drängen. Das erklärte Ziel: Wenn die Menschheit im Weltraum überleben will, dann muss sie rechtzeitig weibliche Astronautinnen, Ingenieurinnen und weitere Spezialistinnen hervorbringen. Schließlich kann man es sich dabei nicht leisten, unttätige Menschen in den Weltraum zu transportieren. Und für das Überleben der Menschheit braucht es weiterhin Männer wie Frauen. Kowal verwebt diesen Gleichstellungskampf zu einer spannenden und sehr lesenswerten Geschichte, die auch andere gesellschaftliche Konflikte wie den zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika oder zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten aufgreift.

1. Trail of Lightning (von Rebecca Rowanhorse)

Mein Favorit in diesem Jahr ist „Trail of Lightning“. Nach einer Umweltkatastrophe hat sich der Stamm der Diné dazu entschieden, eine Mauer um sein Territorium zu bauen, um Flüchtlinge abzuweisen. Die alten Götter des Stammes sind dadurch wieder aufgetaucht und haben die Gegend in eine post-apokalyptische, aber magische Welt verwandelt. Die traumatisierte Maggie Hoskie verdingte sich einst als Monsterjägerin, hat sich aber seit der Trennung von ihrem Partner zur Ruhe gesetzt. Nun taucht aber eine neue Bedrohung auf, die wieder ihren Einsatz erlangt. Rowanhorse erzählt vor dem Hintergrund einer Splatter-Geschichte über Trauer, Trauma und emotionalen Missbrauch. Maggie muss sich in einer komplizierten, männlichen Welt durchsetzen, in der gut und böse so schwer voneinander zu trennen sind, dass sie am Liebsten alle über den Haufen schießen würde. Und genau so löst sie meist auf sehr unterhaltsame und dabei überraschend oft gleichzeitig nachdenkliche Art ihre Probleme.

Update: „The Calculating Stars“ von Mary Robinette Kowal erhielt den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Novel“.

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