Spinning Silver (von Naomi Kovik)

Miryem wünscht sich, ihr Vater wäre ein schlechterer Mensch. Er ist der örtliche Geldverleiher, doch aufgrund seiner gütigen Seele fordert er niemals Geld zurück. Die Familie lebt daher bettelarm. Als Miryems Mutter erkrankt und um ihr Leben fürchten muss, nimmt Miryem die Geschäfte in die Hand. Bald stellt sich heraus, dass sie durch ihren Geschäftssinn Silbermünzen in Goldmünzen verwandeln kann. Dadurch wird das Wintervolk der Staryk, bekannt durch ihren unbändigen Durst nach Gold auf Miryem aufmerksam. Der König der Staryk stellt sie vor die Wahl, entweder für sein Volk immer größere Silbermengen in Gold umzuwandeln oder zu sterben. Wanda ist eine einfach Bauerntochter. Seit dem Tod ihrer Mutter versinkt auch ihre Familie in Armut, da ihr Vater alle Einnahmen versäuft. Für sie ist es ein Lichtblick, dass ihr Vater Schulden bei Miryem hat. Dadurch muss sie für Miryems Familie arbeiten, wird nicht verheiratet und kann sich sogar etwas von Miryems Wissen aneignen. Doch die Sucht ihres Vater wird immer schlimme und droht die Familie zu zerstören. Irina ist die ungeliebte Tochter eines Fürsten. Sie gelangt an den Schmuck, den Miryem aus dem Silber der Staryk herstellen lässt. Aufgrund ihrer von den Staryk stammenden Mutter glänzt sie darin. Ihr Vater wittert darin eine Chance und durch eine geschickt geplante Feier verfällt der Tsar in Irina. Bald stellt sich jedoch heraus, dass der Tsar tatsächlich von einem Dämon besessen ist, der sich von jungen Frauen ernährt – und sie das nächste Opfer sein soll.

„Spinning Silver“ greift das Märchen um Rumpelstilzchen auf und erzählt eine packend Geschichte. Kovik versetzt ihre Leser in eine mittelalterliche Welt, die dem mittelalterlichen Zarenreich ähnelt, aber auch von phantastischen Wesen wie den Staryk geprägt ist. Die Staryk sind das Volk des Winters. Sie haben ihre eigenen parallelen Routen und leben in einer anderen Welt. Doch immer wieder dringen sie zu uns durch und die Ereignisse in ihrer Winterwelt haben Auswirkungen auf unsere Jahreszeiten. Miryem hat daher tatsächlich viel zu verlieren. Im Laufe des Romans wird die Gefahr für die Bewohner des Zarenreiches immer größer. Denn zu Beginn geht es nur um Miryems Leben. Am Ende aber steht die Frage, ob die Bewohner in einem ewigen Winter der Staryk verhungern und erfrieren oder ob sie in dem flammenden Hass des den Zar beherrschenden Dämons vergehen. In dieser Version des Märchens spielen Namen zwar auch eine besondere Rolle, es gibt aber keinen leichten Ausweg, in dem man durch einen verdeckten Weg einen Namen herausfindet.

Stattdessen geschieht hier nichts ohne eigenes Handeln. Alle drei Frauen sind patent und erarbeiten sich ihre Erfolge. Die Geschichte wirkt ausgesprochen realistisch. Und dennoch gelingt es Kovik diese Erzählung mit einem Märchenton zu versehen. Dieser arbeitet noch stärker heraus wie groß die Leistungen der drei Frauen sind, die gegen gesellschaftliche, familiäre und eheliche Gewalt ankämpfen, die wie bereits Auswirkungen auf das ganze Reich haben werden. Das ist nicht nur spannend zu lesen, es ist auch eine interessante Charakterentwicklung. Miryem ist verhärtet dadurch, dass die Dorfgemeinschaft ihre jüdische Familie wie Dreck behandelt und dennoch von ihrem Geld lebt. Kovik schildert diesen Verhärtungsprozess sehr gut und zeigt gleichzeitig auf, welche Werte Miryem dennoch hoch hält. So ist sie weiterhin in der Lage Solidarität z.B. gegenüber Wanda zu zeigen. Unterstützt durch sich stetig abwechselnde Erzählungen in der ersten Person der drei Protagonistinnen (sowie eines Bruders Wandas) entstehen so komplexe Charaktere.

Besonders interessant ist dabei der Wandel einiger Figuren. Die Staryk erscheinen zunächst wie Parasiten. Sie berauben die Menschen, bringen den Winter und haben zudem gänzlich andere gesellschaftliche Gepflogenheiten. Kovik erkundet aus Miryems Perspektive Schritt für Schritt die Unterschiede. Auf diese Art wackelt das Bild der bösen Staryk mit der Zeit. Tatsächlich gelingt es hier – anders als mit dem Dämon – am Ende eine Symbiose einzugehen. Auch wenn diese in ihren praktischen Konsequenzen am Ende ein wenig übereilt wirkt, ist dieser subtile Prozess der Annäherung und des Entstehens gegenseitigen Respekts – der im Vorfeld nicht gegeben war – sehr gelungen.

Trotz dieser starken Handlung mit starken Charakteren hat „Spinning Silver“ einige Längen. Myriam ist insgesamt zwei großen, in jeweils drei Etappen unterteilten Prüfungen unterzogen. Das nimmt viel Raum ein. Genau so viel Platz nimmt eine langatmige Flucht Wandas ein, die in einem mysteriösen, später noch wichtigen Haus in einem Wald endet. Auch Irina muss mehrfach vor ihrem Dämonengatten flüchten. Das wirkt auf Dauer etwas repetitiv, hier hätte mehr Varianz oder aber schneller beendete Fluchten gut getan. Denn in diesen Momenten wirkt die Handlung etwas gestreckt. Kovik gelingt es aber gerade noch, mit ihren verschiedenen Erzählstimmen diese Längen zu überbrücken.

„Spinning Silver“ ist eine Art Mittelalterthriller-Version des Rumpelstilzchen-Märchens, das drei starke Frauencharaktere in den Mittelpunkt der Handlung stellt, die zunächst sich selbst und dadurch ihr Zarenreich retten und sogar noch persönliches Glück finden. Das ist mit einer überzeugenden und realistische wirkenden Fantasy-Welt verbunden, die in ihren sozialen Vorurteilen z.B. ihrem Antisemitismus dem historischen Mittelalter nicht unähnlich ist, und in der ganz nebenbei auch noch uralte gesellschaftliche Konflikte gelöst werden. Das ist mal nachdenklich und mal temporeich-spannend und mit einer kleinen Ausnahme im Mittelteil des Buches immer ausgesprochen unterhaltsam.

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