Record of a Spaceborn Few (von Becky Chambers)

In der Zukunft hat die Menschheit die unbewohnbare Erde verlassen. Ein Teil siedelt sich auf dem Mars an. Ein anderer Teil jedoch bricht in einer großen, aus den Überresten der einstigen Städte erschaffenen Flotte in die Galaxis auf. Viele Jahrhunderte später hat die Menschheit nicht nur Kontakt zu außerirdischen aufgenommen, sondern ist auch ein Teil der galaktischen Gemeinschaft. Doch die Flotte existiert immer noch, zieht ihre Energie aus einer Sonne, die sie umkreist und bildet ein eigenes, egalitäres Gemeinschaftswesen. Dank technologischer Verbesserungen hat sich der Lebensstandard stark gebessert. Da die Flotte jedoch nichts produziert, das für andere Völker interessant wäre und Handel somit unmöglich ist, ist der Lebensstandard dennoch unter dem in anderen Kolonien. Viele junge Menschen ziehen daher weg, da sie sich wünschen, ihr Glück in den kapitalistischen menschlichen und außerirdischen Gemeinschaften zu versuchen. „Record of a Spaceborn Few“ thematisiert das Leben in der Flotte aus den Augen einer Seelsorgerin, einer Hafenarbeiterin, einer Archivarin, eines Abiturienten sowie eines Immigranten. Sie alle suchen ihren Platz in der Flotte und stehen ständig vor der Frage, welches Leben sie eigentlich für sich wünschen.

„Record of a Spaceborn Few“ dreht sich um zwei brutale Szenen. In einem vier Jahre vor der eigentlichen Handlung angesiedelten Prolog explodiert eines der Flottenschiffe und verunsichert dadurch die gesamte Gemeinschaft. Im Mittelteil der Handlung verstirbt zudem Sawyer, einer der wenigen Einwanderer in die Flotte, da er wenig Informationen über die Gemeinschaft erhalten hat und dadurch in kriminelle Machenschaften verwickelt wird. Beide Ereignisse, der Tod vieler Tausend Menschen, sowie der Tod eines einzelnen Menschen verunsichern die anderen Protagonisten und stellen sie vor existenzielle Fragen. Und das ist die Stärke und auch die Stimmung des Romans: „Record of a Spaceborn Few“ ist ein ausgesprochen ruhiger Science Fiction Roman.

Dem Leser wird hier ein Einblick in eine einzigartige Art des Zusammenlebens geboten. Die Menschheit hat aus ihren Fehlern gelernt. Die Ergebnisse sind recht unterschiedlich. Auf dem Mars geht die Menschheit weiterhin friedlich, aber ausgesprochen kapitalistisch ihren Geschäften nach. In der Flotte mussten sich die Menschen anderweitig arrangieren. Jeder wird zur Arbeit herangezogen, es gibt ein egalitäres Geldsystem und letztlich strebt jeder danach, den seinen Fähigkeiten am Besten entsprechenden Arbeitsplatz zu finden. Das läuft auch dank besserer Technologien sehr gut, Gewalt ist de facto ein Fremdwort. Allerdings produziert die Gemeinschaft nichts, womit sich handeln ließe. Daher hinkt die Flotte dem technischen Standard anderer Völker weit hinterher. Das System ist daher friedlich, egalitär und vor allem familiär. Es gibt anders als existierende sozialistische System auch Freiräume, um Kreativität auszuleben. Dennoch sind radikale Änderungen hier kaum möglich, was vor allem für junge Menschen alles andere als attraktiv ist. Chambers beschreibt diese Gesellschaft detailliert und einfühlsam. Im Laufe des Romans erwacht die Flottenwelt vor dem Auge der Leser zum Leben und erscheint wie eine realistische Form menschlichen Zusammenlebens – was angesichts der utopisch-friedlichen Elemente alles andere als selbstverständlich ist.

Das gelingt auf der einen Seite durch die Außenperspektive eines Ethnologen eines anderen Volkes. Er erforscht das Zusammenleben in der Flotte und schreibt regelmäßig Berichte darüber. Dieser neugierige Blick ist sehr gut getroffen. Dem Leser bieten sich durch die Berichte, aber auch durch die freundlichen, aber auch stolzen Reaktionen der Flottenbewohner gelungene Einblicke. Wirklich überzeugend wird der Roman aber vor allem durch seine vier, sehr gut getroffenen Protagonisten. Tessa, Mutter zweier Kinder, steht vor der Herausforderung, dass neue Technologien ihren Arbeitsplatz ersetzen und ihre Kinder sich wünschen auf einem Planeten aufzuwachsen. Isabel, eine Archivarin, führt den außerirdischen Ethnologen durch die Flotte und ist hin- und hergerissen zwischen dem Angebot weitere technologische Hilfe anzunehmen, da sie sich wünscht, die Flotte würde nicht mehr als Almosenfall der Galaxis betrachtet werden. Eyas, eine Seelsorgerin, hadert mit den emotionalen Effekten ihrer Arbeit – sie begleitet trauernde Familien – und erkennt, dass die Flotte zwar viel tut, um ihre Bewohner auf Emigration in die harsche Galaxis vorzubereiten, aber nichts dafür tut, Immigranten in die Flottengesellschaft einzuführen. Und zuletzt ist der Abiturient Kip hin- und hergerissen, was er aus seinem Leben tun möchte. Alle vier stehen vor einer großen Entscheidung, die entweder enorme Konsequenzen für sie selbst hat oder aber gar Konsequenzen für die gesamte Flotte. Sie alle werden von der Explosion eines Schwesterschiffes zu Beginn des Romans sowie dem Tod Sawyers aus der Bahn geworden, was ihre Verwirrung verstärkt und den Entscheidungsprozess letztlich beschleunigt. Jeder Protagonist muss auf der einen Seite seine Gefühle zu seiner Arbeit oder der Flotte ordnen. Das ist vor allem bei der eigentlich zufriedenen und doch irgendwo bedrückten Eyas ausgesprochen überzeugend. Auf der anderen Seite stehen alle unbewusst vor einer Entscheidung, was zumindest bei drei der vier Charakteren für einen Orts- bzw. Berufswechsel sorgt. Diese feinfühlige Darstellung der vier Personen am Scheideweg wirkt zunächst langatmig, entwickelt im Laufe des Romans aber aufgrund wachsender Sympathien, sowie der emotionalen Tiefe der Entscheidungen für den jeweiligen Charakter und die Thematisierung von Heimat- und Zugehörigkeitsgefühl in einem idyllischen aber dennoch irgendwie gefährlichem Flottensystem einen unerwarteten und unterhaltsamen Lesefluss.

„Record of a Spaceborn Few“ ist daher ein relativ handlungsarmer Roman, der aber eine faszinierende Flottengesellschaft aus der Sicht von vier (mit Sawyer fünf) geerdeten und dennoch verwirrten Charakteren präsentiert. Die Stärke des Romans liegt in der einfühlsamen Darstellung seiner Protagonisten und der Probleme, die die friedliche, arbeitsintensive und dennoch Freiraum bietende Flottengemeinschaft für ihre Bewohner aufbringt. Denn an diesen Problemen wachsen alle Protagonisten, was für den Leser nicht nur spannend ist, sondern mit den Zugehörigkeits- und Migrationsthemen Stoff zum Nachdenken mit sich bringt.

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