The Calculating Stars (von Mary Robinette Kowal)

Ein Meteorit trifft 1952 Washington D.C.. Der Absturz fordert nicht nur hunderttausende Opfer, darunter beinahe die komplette U.S.-Regierung aus. Die aufgewirbelte Erde plus das vaporisierte Wasser sorgen zunächst für einen jahrelangen Winter und anschließend für einen ewigen Sommer. Elma York, die Gattin des leitenden Ingenieurs der amerikanischen Weltraumbehörde Nathaniel York und selbst begabte Pilotin sowie Mathematikerin, berechnet als erste, dass menschliches Leben dadurch auf der Erde unmöglich werden könnte. Dadurch kommt es zu einem Rennen in das Weltall, aber in dieser alternativen Geschichte nicht in einem Wettlauf gegen die Sowjetunion, sondern in einem Wettlauf gegen die Zeit. Elma möchte zu diesem Rennen aber nicht nur durch ihre mathematischen Fähigkeiten beitragen: Ihr Ziel ist es, selbst als Astronautin der Menschheit zu einer Zukunft im All zu verhelfen. Doch auf dem Weg dorthin steht sie vielen Widerständen gegen Frauen in riskanten Berufen gegenüber.

„The Calculating Stars“ beginnt brutal und temporeich mit dem Einschlag des Meteoriten. Über viele Seiten ist unklar, was eigentlich passiert ist. Auch die Konsequenzen des Einschlages werden erst mit der Zeit deutlich. Durch die dramatisch verschlechterte Versorgungslage und die vielen Toten entwickelt sich die Nachkriegslage anders. Der kommunistische Blog steht aufgrund des Winters unter noch höherem Druck, hat Schwierigkeiten damit seine Bevölkerung zu ernähren. Die westliche Welt schließt sich viel früher zusammen und viel mehr Nationen schließen sich einem internationalen Weltraumprogramm an. Diese Entwicklung ist so dezent wie authentisch beschrieben. Die Mischung aus drohender Apokalypse und friedlicher, neuer Weltordnung ist sehr faszinierend.

Elma York erscheint zunächst wie eine zu perfekte Hauptfigur. Sie ist eine gute Ehefrau (ihr Gatte ist im Gegenzug allerdings ebenfalls ausgesprochen rücksichtsvoll, liebevoll und hilfreich) und darüber hinaus dank ihrer Kriegserfahrung eine ausgezeichnete Pilotin und eine geniale Wissenschaftlerin. Sie wäre damit eine perfekte Astronautin: Nicht nur könnte sie jedes Gerät steuern, sie wüsste auch über die technischen Hintergründe fast aller Maschinen Bescheid, hat die meisten als Mathematikerin im Weltraumprogramm gar mit entwickelt. Und doch muss sie schockiert erfahren, dass sie für eine Astronautenkarriere nicht einmal berücksichtigt wurde: Frauen werden generell nicht aufgenommen.

Ab dieser Nachricht beginnt für Elma eine beeindruckende, spannende und sehr lesenswerte Charakterreise. Denn die Leitung des Weltraumprogramms weigert sich Frauen und Schwarze als Astronauten aufzunehmen. Der Grund dahinter ist so opportunistisch wie billig und leider auch der tatsächliche Grund, warum die NASA lange Zeit dieselbe Politik verfolgt hat: Man fürchtet, die öffentliche Unterstützung zu verlieren. Elma muss daher an zwei Fronten kämpfen, die Öffentlichkeit  und die Männer in der Leitung der Weltraumbehörde gleichzeitig von ihren Zielen zu überzeugen, und darüber hinaus noch ihren Job als Mathematikerin zuverlässig ausfüllen und das heimische Leben meistern. Diese vierfach Belastung ist ausgesprochen intensiv dargestellt. Obwohl es nach der großen „Auftaktkatastrophe“ zu keinem weiteren dramatischen Moment in „The Calculating Stars“ kommt, entwickelt der Roman allein wegen seiner sympathischen und mit der Zeit immer vielschichtigeren, weil an ihren Aufgaben wachsenden Handlungsträgerin Elma viele Spannung und lässt sich kaum noch aus der Hand legen.

Denn während Elma sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Astronautin perfekt geeignet ist und keinerlei Berührungsängste hat, ist der öffentliche Kampf für die Rolle der Frau und schwarzer Bürger ihr denkbar schlechtestes Schlachtfeld. Denn sie hat panische Ängste davor, in der Öffentlichkeit zu stehen. Ihr Kampf mit dieser Einschränkung ist intensiv und die Folgen, die die Behandlung mit der Psychatrie der 50er-Jahre auslöst, sind sehr gut dargestellt. Elma schätzt im Laufe ihrer Bewegung regelmäßig Menschen falsch ein, ist aber immer bereit von ihren Mistreiterinnen zu lernen. Nur so gelingt es ihr gegen den Widerstand der Behördenleitung und vor allem gegen den erbitterten Widerstand eines einstigen Vorgesetzten, den sie als Tochter eines Generals während des Krieges wegen sexueller Belästigung beinahe vor ein Kriegsgericht gebracht hätte, ihre Ziele durchzusetzen. „The Calculating Stars“ lebt davon, dass Elmas Konflikte anhand von manchmal mehr und manchmal weniger feinfühlig aufgezeigten zwischenmenschlichen Beziehungen aufgezeigt werden. Dabei wird die subtile aber brutale Macht, die bürokratische und öffentliche Positionen Individuen verleihen, um ihre ideologischen Vorstellungen oder ihre persönlichen Animositäten zu pflegen, erschreckend deutlich. Bei „The Calculating Stars“ wird aber auch aufgezeigt, wie realistische, also fehlerhafte, dafür aber aufrichtige Individuen durch Zusammenhalt und Kreativität eben diese Macht brechen können. Dieser Mix trägt entscheidend zu „The Calculating Stars“ packender und überzeugender Wirkung bei.

„The Calculating Stars“ ist eine spannende alternative Geschichte der Raumfahrt, eine grandiose Erzählung über die Anstrengungen, Rückschläge und Erfolge der Frauen- und Schwarzenbewegung sowie eine beeindruckende Beschreibung wie Elma York ihre Unsicherheiten während ihres Eintretens für ihre und die Rechte anderer überwindet und über sich hinaus wächst. Diese Mischung macht „The Calculating Stars“ zu einem so unterhaltsamen und packenden wie auch lehrreichen und nachdenklichen Roman.

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