Gedanken zur Kategorie „Bester Roman“ der Hugo Awards 2018

In der kommenden Woche, am 19. August, werden in San José in Kalifornien die Hugo Awards für das Jahr 2018 verliehen. Bei Hugo Nominierungen und Abstimmungen abzustimmen, steht allen TeilnehmerInnen der jährlichen Worldcon offen (zu denen ich nicht gehöre). Die Hugos sind der bekannteste Preis für Science Fiction und Fantasy Werke.

In diesem Jahr habe ich alle nominierten Romane für die Kategorie „Bester Roman“ gelesen, die keine Fortsetzungen vorheriger Romane sind. Für die Fortsetzungen habe ich jeweils den ersten Teil der Reihe gelesen. Der Rest dieses Beitrages verlinkt die Rezensionen zu diesen Büchern und kommentiert knapp, für wie preiswürdig ich welchen Roman halte. Über die Chancen von „Raven Strategem“ (2. Teil der „Machineries of the Empire“-Serie) und „The Stone Sky“ (3. Teil der „Broken Earth“-Trilogie) kann ich nur anhand der Qualität ihrer Vorgänger spekulieren. In der Liste folgen daher zunächst, Kommentare zu diesen nicht direkt nominierten Werken und anschließend, nach Qualität geordnet, Gedanken zu den tatsächlich nominierten Büchern.

Ninefox Gambit von Yoon Ha Lee (Nominiert für den 2017 Hugo, 2018 ist der 2. Teil „Raven Strategem“ nominiert)

Ninefox Gambit“ ist ein faszinierendes, kompliziertes Science Fiction Epos, in dem die Regeln der Physik durch ein kompliziertes Kalendersystem, kontrolliert durch fünf Kasten, ersetzt wurde. Der Roman erzählt die brutale Auseinandersetzung um die Rückeroberung einer imperialen Festung aus der Sicht einer Captain, die mit einem Renegaten-General der imperialen Herrscher verschmolzen wurde und nun mit unterschiedlichen und unbekannten Perspektiven im Kopf den Angriff auf die Festung leitet. Trotz der vielen interessanten Ansatzpunkte, den Intrigen, der Politik und vor allem dem Schicksal der Captain, hat mich der Roman nicht wirklich gepackt. Vieles wird so abstrakt dargestellt, dass es schwierig ist, sich mit der überkonditionierten Soldatenprotagonistin zu identifizieren. Wenn der nominierte Nachfolger „Raven Stratagem“ ähnlich ist wie dieser Roman, gibt es dieses Jahr bessere Kandidaten.

The Fifth Season von N.K. Jemisin (Träger des 2016 Hugo, Nachfolger erhielt den 2017 Hugo, 2018 ist der 3. Teil „The Stone Sky“ nominiert)

The Fifth Season“ erzählt eine Geschichte in einer genau so komplexen und faszinierenden Welt wie die aus „Ninefox Gambit“, nur dass es sich hierbei um eine Fantasy statt einer Science Fiction Welt handelt. Anders als „Ninefox Gambit“ steht jedoch die Geschichte, der Kampf der Protagonistin in verschiedenen Zeitepochen mit unterschiedlichen Namen um ein gutes Leben und nebenbei irgendwo auch die Zukunft der Menschheit, im Mittelpunkt. Jemisin gelingt es, ihre Protagonistin so vielschichtig zu schildern, dass man permanent mit ihrem Leben mitfiebert und den Roman kaum zur Seite legen kann. Wenn der dritte Teil dieser „Zerrissenen Erde“-Trilogie, „The Stone Sky“, genau so gut ist wie dieser erste Teil, könnte er einer der Favoriten sein.

4. The Collapsing Empire von John Scalzi

Ein mehrere Planeten umfassendes, menschliches Imperium, das auf einer merkwürdigen Mischung aus Religion und Handelsmonopolen basiert, steht vor dem Untergang. Denn die Überlichtreisenetzpunkte verschieben sich, wodurch die Machtzentren radikal neu verteilt werden oder sogar das Überleben der Menschheit an sich gefährdet ist. Dieses faszinierende und interessante Setting wird von Scalzi sehr behäbig und konventionell inszeniert. Letztlich sind die meisten (der raren) Ereignisse in dem Roman vorhersehbar und die letztlich enthüllte Intrige weder überraschend noch besonders spannend. „The Collapsing Empire“ ist eine der schwächeren Nominierungen.

3. New York 2140 von Kim Stanley Robinson

Robinson gelingt in diesem Roman eine grandiose post-apokalyptische Vision eines von den Fluten des Atlantiks umschlungenen Romans. Der Roman baut aber auch sehr stark auf einem New York-Feeling auf, das nicht jeder Leser teilt. Außerdem wird der Klima-Roman rasch zu einem Kapitalismuskritischen Bildungsroman, der diesen Lehransatz auch durch sein sympathisches, wenn auch etwas zu großes Charakterensemble verliert. Letztlich ein Roman mit sehr starken Bildern und netten Protagonisten aber nicht unbedingt der spannendsten und unterhaltsamsten Handlung.

2. Provenance von Ann Leckie

Während der konventionelle Stil von „The Collapsing Empire“ ein Negativpunkt ist, ist er hier ein Pluspunkt: Leckies Roman startet ganz klein mit einer einzelnen Person, die kurz vor dem Ruin steht, und eskaliert von diesem Punkt kontinuierlich in eine spannende Krimi-, Intrigen-, Familiendrama- und zuletzt Actionhandlung. Dieser Mix garniert mit einer fremden und dank Leckies Schreibstil doch sehr vertrauten Gesellschaft ist unterhaltsam und nachdenklich zur selben Zeit, liest sich wie ein klassisches und doch modernes SciFi-Planetenabenteuer und gehört zu den stärksten Nominierungen.

1. Six Wakes von Mur Lafferty 

Six Wakes“ beginnt als Space Horrorgeschichte und wandelt sich rasch in einen Politik-, Gesellschafts- und Industriethriller mit gerade einmal sechs Charakteren an Bord eines kleinen Raumschiffs (das gleichzeitig tausende gefrorene Körper mit sich trägt). Die Handlung um sechs Klone, deren Bewusstsein immer wieder in neue Klonkörper transferiert werden, und die eines Tages ohne Erinnerung an vorherige Ereignisse in der Krankenstation des Schiffes aufwachen und ihre brutal ermordeten Leichen um sich herum schweben sehen, ist atmosphärisch stark, inhaltlich nachdenklich und charakterlich äußerst überzeugend. Von allen hier vorgestellten Nominierungen ist „Six Wakes“ gleichzeitig das tiefgründigste und spannendste Werk und damit – obwohl andere nominierte Autoren deutlich prominenter sind – mein Favorit für die diesjährige Auszeichnung.

Update: 

Am 19. August wurden die Hugos 2018 verliehen. Der Gewinner in der Kategorie Bester Roman 2018 war der von mir nicht rezensiert dritte Teil der „Broken Earth“-Trilogie von N. K. Jemisin „The Stone Sky“. Sollte der Abschluss der Trilogie so gelungen sein wie der Auftakt „The Fifth Season„, dann hat der Roman den Preis mehr als verdient.

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