Gedanken zur Kategorie „Beste Novelle“ der Hugo Awards 2019
|Am kommenden Sonntag werden in Dublin die Hugo Awards 2019 verliehen. Die Hugos sind einer der wichtigsten Science Fiction und Fantasy Preise. Abstimmen können alle TeilnehmerInnen der jährlich stattfindenden World Con sowie Unterstützungsmitglieder. Anders als im vergangenen Jahr, in dem ich im Vorfeld nur die Beiträge für die Kategorie „Bester Roman“ gelesen habe, habe ich dieses Jahr auch die Beiträge für die „Beste Kurzgeschichte“, „Beste Novelle“ sowie „Beste Novelette“ gelesen. Das war auch möglich, da ich anders als im vorherigen Jahr eine Unterstützungsmitgliedschaft erworben habe, durch die man Zugriff auf Ebook Versionen aller Beiträge erhält. Die sechs nominierten Novellen sind anders als die nominierten Kurzgeschichten sehr Science Fiction lastig. Während „The Black God’s Drum“ ein phantastische Erzählung in einem alternativen New Orleans des 19. Jahrhunderts ist und „Beneath the Sugar Sky“ eine Welt voller Türen zu anderen Dimensionen erforscht, spielen alle anderen Erzählungen in der Zukunft. Anders als bei den anderen drei Kategorien, habe ich nicht rechtzeitig vor dem Abstimmungsschluss alle Werke lesen können. Im Folgenden daher nun knappe Anmerkungen zu jeder Novelle in der Reihenfolge wie ich abgestimmt hätte:
6. Binti: The Night Masquerade (von Nnedi Okorafor)
Der dritte Teil der „Binti“-Trilogie bietet eine komplexe Handlung, in der Binti als „Master Harmonizer“ zwischen zwei streitenden Völkern schlichten muss und nebenbei noch ihre Familie retten muss. Am Ende wird sie selbst zu einem Teil ein Raumschiff. Die Novelle ist in einem faszinierend epischen Tong ehalten, erscheint aber etwas zu ambitioniert. Es passieren sowohl viele Ereignisse um als auch in Binti. Das ist streckenweise zu hektisch und vor allem ohne Vorwissen der Vorgänger nicht immer ganz nachvollziehbar.
5. Gods, Monsters and the Lucky Peach (von Kelly Robson)
In einer fernen Zukunft ist die Erde ökologisch zerstört und für Menschen kaum mehr bewohnbar. Versuche, die Erdoberfläche wieder lebbar zu machen, sind seit der Erfindung von Zeitreisen nicht mehr ökonomisch tragbar. Die Menschen reisen lieber in eine schöne Vergangenheit, als eine Zukunft zu erschaffen. Die Novelle thematisiert die Reise eins Forschungsteams in die Vergangenheit, um Informationen für die Zukunft zu gewinnen. Sie lebt vor allem von ihrem sehr überzeugenen Entwurf einer post-apokalyptischen Gesellschaft der Zukunft und von starken Charakteren. Allerdings erscheint die Novelle gespalten in zwei nicht wirklich miteinander inhaltlich verbundene Teile (die Vorbereitung der Reise und die tatsächliche Zeitreise). Trotz vieler spannender Themen und Ereignisse wirkt die Erzählung daher etwas ziellos.
4. The Black God’s Drum (von P. Déjèlí Clark)
Clark entwirft ein alternatives New Orleans in einer Welt, in der der amerikanische Bürgerkrieg in einem Waffenstillstand endete, Schwarze weite Teile der Karibik beherrschen und die Stadt selbst ein Freihafen ist. Die Novelle ist ein wildes Abenteuer, in dem die Südstaaten versuchen, die mächtige titelgebende Waffe für sich zu gewinnen und Schwarze weltweit zu versklaven. Dem gegenüber steht ein ungleiches Paar: die junge Jacqueline und die erfahrene Kapitänin Ann-Marie St. Augustine. Beide tragen einen Teil unterschiedlicher Gottheiten in sich. Dieser Mix ist temporeich erzählt, atmosphärisch unglaublich stark und äußerst spannend. Angesichts der packend konstruierten alternativen Geschichtsschreibung lenken die Gottheiten allerdings eher ab als dass sie großen Unterhaltungswert bieten.
3. Beneath the Sugar Sky (von Seanan McGuire)
In McGuires Welt gibt es tatsächlich Kinder, die Türen in andere Welten finden. Nach ihrer Rückkehr bietet ihnen Eleonore West in ihrer Schule einen Weg, wieder nach ihren Türen zu suchen oder sich auf das Leben in unserer Gesellschaft vorzubereiten. In diesem dritten Teil der Reihe erlebt der Zuschauer eine wilde Mission, in der einige Schüler versuchen eine tote Schülerin wiederzubeleben, damit sie ihrem Schicksal folgen und eine Zuckerwelt von der bösen Kuchenkönigin befreien kann. Das Erzähltempo ist hoch, die Atmosphäre dicht und hinter jedem Charakter steht eigentlich das Potential für eine eigene Novelle. Der größte Schwachpunkt ist dabei die Länge: mit mehr Platz hätte man durch einen stärkeren Fokus auf die gelungenen Protagonisten mehr Tiefe erreichen können.
2. Artificial Condition (von Martha Wells)
Murderbot ist eine Sicherheitseinheit, die nachdem sie ihr Chefmodul gehackt hat, lernen muss, mit ihrer Freiheit umzugehen. Ihre erste freie Mission führt sie zu einem Ort, an dem sie Teil eines Anschlags war, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Sie möchte herausfinden, ob sie daran Schuld trägt. Die Perspektive der Sicherheitseinheit ist zynisch, ehrlich und gleichzeitig zutiefst verletzlich. Die kapitalistische Zukunftsversion erlebt der Leser daher aus einer frischen Perspektive, erlebt zudem gleichzeitig das Aufkommen einer Freundschaft zwischen Bot und Raumschiff sowie die Ausbildung Murderbots Identität. Das ist spannend, actionreich und gleichzeitig nachdenklich.
1. The Tea Master and the Detective (von Aliette de Bodard)
In diesem Weltraumkrimi ermitteln eine mysteriöse aber pfiffige Detektivin und ein eigentlich lieber in der Depression schwelgendes intelligentes Raumschiff in einem Mordfall. Die aufgebaute Gesellschaft ist komplex, der Fall interessant und die Auflösung spannend. Die interessanten und ungewöhnlichen Charaktere runden den sehr gelungenen Mix ab. Die Novelle ist gleichzeitig unaufgeregt erzählt und entfesselt trotz des weitgehenden Verzichts auf Gewalt viel Spannung. Sie ist in meinen Augen daher das unterhaltsamste und zugleich nachdenklichste Werk unter den Nominierten dieses Jahrgangs.
Update: „Artificial Condition“ von Martha Wells erhielt den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Novella“.