Gedanken zur Kategorie „Beste Kurzgeschichte“ der Hugo Awards 2019

Am übernächsten Sonntag werden in Dublin die Hugo Awards 2019 verliehen. Die Hugos sind einer der wichtigsten Science Fiction und Fantasy Preise. Abstimmen können alle TeilnehmerInnen der jährlich stattfindenden World Con sowie Unterstützungsmitglieder. Anders als im vergangenen Jahr, in dem ich im Vorfeld nur die Beiträge für die Kategorie „Bester Roman“ gelesen habe, habe ich dieses Jahr auch die Beiträge für die „Beste Kurzgeschichte“, „Beste Novelle“ sowie „Beste Novelette“ gelesen. Das war auch möglich, da ich anders als im vorherigen Jahr eine Unterstützungsmitgliedschaft erworben habe, durch die man Zugriff auf Ebook Versionen aller Beiträge erhält. Die sechs nominierten Geschichten dieses Jahres präsentieren Fabelwesen und selbstfahrende Autos, magische Zähne und hexende Bibliothekarinnen, sich selbst zerstörende Hofmagier und ausgesprochen intelligente Raptorenweibchen. Hinter diesen Protagonisten werden unter anderem Motive der Sehnsucht, Trauer, Leids, Einsamkeit, Patriarchat und Selbstausbeutung ausgebreitet. Auffälligerweise wurden dabei in diesem Jahr fast ausschließlich Fantasy-Kurzgeschichten nominiert. Im Folgenden nun knappe Anmerkungen zu jeder Kurzgeschichte in der Reihenfolge meiner Abstimmung sowie die Links zu meinen ausführlicheren Rezensionen:

6. The Rose MacGregor Drinking and Admiration Society (von T. Kingfisher)

Eine Gruppe Fabelwesen sitzt um ein Lagerfeuer. Sie alle hatten eine Affäre mit Rose MacGregor und schwelgen bis heute in Erinnerungen. Das sorgt für atmosphärisch starke Gespräche, aber leider für wenig Spannung. Abgesehen von dem Umdrehen der Bekannten „Mensch verliebt sich in magisches Wesen“-Erzählung hat mir diese Kurzgeschichte wenig gegeben.

5. STET (von Sarah Gailey)

In einem trockenen, akademischen Text über ethische Aspekte selbstfahrender Autos verstecken sich eine Reihe bitterböser, frustrierter Fußnoten. Am Rande des Entwurfs für ein Lehrbuch mehren sich die besorgten Kommentare eines Kollgen der Autorin: Sie möge doch bitte mit ihm sprechen, er mache sich seit dem Verlust ihres Kindes in einem Unfall durch ein selbstfahrendes Auto große Sorgen um ihren Seelenzustand. Die so in kreativer Form präsentierte Kurzgeschichte greift eine Reihe ethischer Fragen auf und berührt durch die tiefe Verbitterung der Autorin, die angesichts nüchterner Experten verzweifelt. Der Leser kann sich zudem vorstellen, dass die Autorin noch kurz vor dem Unfall selbst zu diesen nüchternen Experten gehörte. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Geschichte schlichtweg eine Handlung fehlt.

4. The Secret Lives of the Nine Negro Teeth of George Washington (von Phenderson Djèlí Clark)

George Washington brauchte für sein Gebiss regelmäßig neue Zähne. In dieser Kurzgeschichte empfindet er durch die Zähne seiner schwarzen Sklaven deren Empfindungen. Das führt zu einer Reihe schmerzhafter Erinnerungen, die Washington selbst nicht durchlebt hat und verändert ihn im Laufe der Jahrzehnte, sodass er mit seinem Testament alle seine Sklaven in die Freiheit entlässt. Die Kurzgeschichte besteht aus neun starken Kurzbiographien, die jeweils sehr überzeugende Bilder ihrer Protagonisten zeichnen. Doch auch dieser Geschichte fehlt ein wirklicher Handlungsbogen, der die neun Einzelbilder verbinden. Zurück bleibt ein starkes Sozialpanorama verschiedener Individuen in unterschiedlichen Arbeitsbereichen.

3. A Witch’s Guide of Escape: A Practical Compendium of Portal Fantasies (von Alix E. Harrow)

Eine Bibliothekarin hilft einem einsamen Kind aus armen Verhältnissen dabei, ein Portal in eine andere Welt zu finden. Diese Kurzgeschichte hat eine starke Perspektive hinter dem Thresen einer Bibliothek, die viele Informationen über die jungen Kunden verrät, eine Welt voller hexender Bibliothekarinnen kreiert und diese über ihre Verantwortung sinnieren lässt. Abgerundet wird dies mit einem Plädoyer für die Stärke von Literatur im Überwinden von Sinnkrisen sowie der Bedeutung öffentlich zugänglicher Literatur in Form öffentlich zugänglicher Bibliotheken. Auch wenn diese nicht von den Massen besucht werden, reichen kleine Momente wie diese um deren geradezu lebensrettenden Sinn zu unterstreichen. Trotz all dieser Motive erscheint die Geschichte jedoch an einigen Stellen etwas zu pädagogisch.

2. The Tale of Three Beautiful Raptor Sisters, and the Prince Who Was Made of Meat (von Brooke Bolander)

Ein etwas dümmlicher Prinz domestiziert aus Versehen eine von drei Raptor-Schwestern. In seinem verzweifelten Versuch seiner klugen Gattin und seinen arroganten Beratern zu zeigen, dass er zu intelligenten Aktionen fähig ist, versucht er seine Dominanz über das Tier immer weiter auszubauen. Dabei verkennt er völlig, die Gefahr die von Raptoren ausgeht. Am Ende flieht seine Gattin, ihres Zeichen eine Hexe, mit den Raptoren und der in seinem Stolz verletzte Prinz verwandelt sich in eine Raptor-Mahlzeit. Diese gleichzeitig absurde, bitterböse und aberwitzige Kurzgeschichte ist im Märchenstil verfasst, präsentiert jedoch ein Abenteuer, in dem die klassische Heldenrolle auf jeden Fall nicht dem Prinzen zugedacht ist. Sie präsentiert nicht nur eine Rollenvertauschung der weiblichen Rolle in Märchen, sondern auch der Rolle, der oft als Bösewicht auftretenden „Natur“. Dieser Gedankengang wird angenehmerweise nie mit dem Holzhammer präsentiert, sondern entfaltet sich durch den absurden Verlauf der Kurzgeschichte – der umgekehrt wie ein ganz normales Märchen wirken würde und gerade deswegen die Botschaft der Autorin ausgezeichnet unterstreicht.

1. The Court Magician (von Sarah Pinsker)

Ein junger Mensch erreicht seinen Traum, ein respektierter Magier am Hof zu werden. Nach seiner Ausbildung wird er jedoch ausschließlich für den Willen des nie direkt in Erscheinung tretenden Regenten missbraucht und verliert durch die Nutzung seiner Magie alles, was ihm wichtig ist. Diese verstörende Kurzgeschichte, geschrieben in angenehmer Sprache, jedoch versehen mit einer schaurigen Handlung, erzählt die Geschichte eines Mannes, der über das Glück sein Ziel erreicht zu haben, verkennt, dass er seine Kräfte und sein gesamtes Leben nicht nur an Anderen, sondern auch noch für die falsche Sache ausrichtet. Die Tatsache, dass er dagegen nicht rebelliert wirkt so absurd wie verständlich und macht die Geschichte zu einer eindringlichen Illustration, wie logisch es sich für viele Menschen anfühlen kann, für die falsche Sache alles zu geben. Dieses in grandiose Form verpackte Gefühl macht „The Court Magician“ in meinen Augen zu der stärksten der sechs nominierten Kurzgeschichten.

Update: „A Witch’s Guide of Escape: A Practical Compendium of Portal Fantasies“ von Alix E. Harrow erhielt den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Short Story“.

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