Artificial Condition (von Martha Wells)

Murderbot hat sein Chefmodul gehackt. Die einstige Sicherheitseinheit kann daher nun selbst über seinen weiteren Werdegang bestimmen. Murderbots erstes Ziel ist ein Bergbauplanet, auf dem er eingesetzt wurde. Hier ist unter seiner Beteiligung ein schrecklicher Unfall geschehen, bei dem viele Menschen ums Leben kamen. Nach dem Vorfall wurden seine Erinnerungen gelöscht. Die Unsicherheit, ob ihm nicht vielleicht eine Fehlfunkti on den Angriff befohlen hat und erdie Menschen ermordet hat, veranlasste Murderbot unter anderem den Weg der Selbstbestimmung zu wählen. Durch den Hack ist er nicht mehr von äußeren Befehlen abhängig. Dennoch nagen Zweifel an ihm und er möchte vor Ort herausfinden, ob er etwas mit den Morden zu tun hat. Doch der Weg ist lang und vor allem muss sich Murderbot mit dem Computer des Wissenschaftsraumschiffs herumschlagen, das er für die Überfahrt gewählt hat. Und die Unterhaltung wird für seinen Geschmack viel zu schnell viel zu persönlich.

Die Interaktion zwischen der auf Paranoia trainierten Sicherheitseinheit und dem auf komplexere Aufgaben geschulten Schiffscomputer ist grandios erzählt. Die beiden Konstrukte müssen einander erst einmal vertrauen und im Anschluss die Handlungsweisen des jeweils anderen interpretieren. Murderbot hat große Angst, dass der Computer ihn an die Hafenbehörden verraten könnte. Sicherheitseinheiten dürfen natürlich nicht ungesichert herumlaufen. Der Computer wiederum sorgt sich um sein eigenes Wohlergehen, eine Sicherheitseinheit könnte leicht das Schiff beschädigen. Gleichzeitig erscheint Murderbot für das Schiff ausgesprochen langsam und etwas schwerfällig. Murderbot wiederum findet den Computer geradezu übergriffig. Beide haben dabei etwas, was der jeweils andere nicht hat. Muderbot ist aufgrund seiner biologischen Komponenten dazu in der Lage, Emotionen zu empfinden. Dies ermöglicht es dem Computer, Emotionen zu erforschen, indem er sich mit dem Prozessor Murderbots verbindet. Murderbot hat jedoch starke Schwierigkeiten Nähe zuzulassen. Der Computer hat dabei keinerlei Berührungsängste, schließlich ist er es gewöhnt, dass ständig Wesen in dem, was er als seinen Körper versteht ein und ausgehen. Diese Ähnlichkeiten und Unterschiede werden geschickt in ausgesprochen sympathische und unterhaltsame Dialoge eingebaut. Im Laufe der Novelle werden die beiden künstlichen Wesen zu einem eingespielten und kaum aufzuhaltenden Team. Dieser ungewöhnliche, faszinierende und vor allem warmherzige Buddy-Aspekt ist der stärkste Punkt der Novelle.

Die Novelle dreht sich aber letztlich um Murderbot und seine Selbstfindung. Der Cyborg ist von Beginn an sympathisch, auch wenn man den ersten Teil nicht gelesen hat. Die einstige Sicherheitseinheit entdeckt die Vorteile der Freiheit für sich und entscheidet sich dafür, einen Großteil der gewonnen Zeit in Fernsehserien zu investieren. Bald bingen er und der Schiffscomputer hemmungslose Seifenopern. Gleichzeitig entwickelt sich Murderbot vor dem düsteren Hintergrund, dass er nicht weiß, ob er ein Mörder ist oder nicht. Um das herauszufinden, nimmt er den Auftrag einiger junger Wissenschaftler an, die sich mit seinem früheren Arbeitgeber in dem Berkwerk zerstritten haben und Kompensationen fordern. Murderbot ist klar, dass sich die Wissenschaftler damit in Lebensgefahr bringen. Er nimmt den Auftrag in erster Linie an, um Zugang zu dem Bergwerk zu erhalten. Im Laufe der Handlung erfährt er dadurch die wahren Hintergründe seiner Vergangenheit und vor allem, dass er tatsächlich unschuldig an dem Tod der Arbeiter ist. Er entwickelt aber auch eine gewisse Bindung an seine Klienten. Zunächst folgt er noch seinen einstigen Routinen, die ihm auftragen, seine Klienten zu beschützen. Doch je mehr Murderbot sich an seine Freiheit gewöhnt, zumal er sich nun ja seiner Unschuld bewusst ist, desto mehr wird deutlich, dass er über klare Moralkategorien verfügt. Und so setzt sich Murderbot auch dann noch für seine Klienten ein, wenn dies nicht mehr seinen eigenen Interessen dient. Dadurch entwickelt sich Murderbot zu einem vielschichtigeren Charakter und die Novelle erhält einen spannenden Höhepunkt.

In einer Nebenhandlung wird außerdem Murderbots Verhältnis zu Sexbots thematisiert. Murderbot sieht Sexbots als weniger weitentwickelt als sich selbst. Bei seinen Recherchen muss er sich jedoch sowohl mit einem Sexbot im Dienste seines Gegenspielers auseinandersetzen als auch mit der Erkenntnis, dass ihm Sexbots wohl unter Einsatz ihrer Leben während des Unfalls das Leben gerettet haben. Dies gibt Wells „Muderbot“-Welt eine weitere Nuance und wirft ein weiteres Licht auf das Verhältnis der Bots untereinander. Dieser Aspekt ist so spannend, dass man sich geradezu wünscht, er wäre noch etwas weiter ausgebaut.

„Artificial Condition“ bringt zwei künstliche Intelligenzen auf faszinierende und warmherzige Art zum Leben. Murderbots Entwicklung von einem an sich selbst zweifelnden, noch seiner Primärprogrammierung folgender Cyborg zu einem Charakter, der seine eigenen, moralischen Entscheidungen trifft ist darüber hinaus zurückhaltend, komisch und dank einiger Gefechte höchst spannend erzählt. Das sorgt für ein ausgesprochen unterhaltsames Lesevergnügen.

Die Novelle „Artificial Condition“ ist im tor-Verlag erschienen und hat den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Beste Novelle“ gewonnen.

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