Ninefox Gambit (Yoon Ha Lee)

Kel Cheris wurde ihres Kommandos enthoben. Bei einem Infanterieangriff hat sie ein ungewöhnliches Manöver ausgewählt, ihre Kompanie wird ausgewählt. Doch anstatt einer Bestrafung zieht das Kel Kommando, Cheris zu rate. Eine Gruppe Rebellen hat vor kurzem eine wichtige Festung eingenommen, die zurück erobert werden muss. Cheris schlägt etwas Undenkbares vor: Man sollte den Geist eines vor langer Zeit exekutierten, weil sich gegen die Kel gestellten Generals mit dem Namen Shuos Jedao verwenden, um die Festung zurückzuerobern. Denn dieser General hat noch nie eine Schlacht verloren. Wären Cheris die Konsequenzen ihres Vorschlags im Vorfeld bewusst, hätte sie sich vielleicht anders entschieden. Denn das Kel Kommando setzt diesen Geist kurzerhand bei ihr im Körper ein. So wird Cheris zum General befördert, erhält das Kommando über eine Armee und muss permanent mit einem verrückten General in ihrem Kopf Rücksprache halten.

Die Andersartigkeit ist eine Stärke von „Ninefox Gambit“. Die Gesetze der Physik gelten hier nicht. Stattdessen gelten die Gesetze eines Kalenders, der nur so stark ist, weil alle Bewohner des hier beschriebenen Imperiums an ihn glauben. Das Imperium wird daher von fünf Fraktionen zusammengehalten (von denen die Kel eine, die Kriegerfraktion, sind), die streng darauf achten, dass niemand vom rechten Pfad abkommt. Wer andere Meinungen oder gar Kritik äußert, wird umgehend abgestoßen, denn nur zusammen ist man stark. Das führt zu massivem technologischem Fortschritt, unbesiegbaren Kampfstrategien und eiserner Disziplin. Gleichzeitig ist es aber ein Reich, in dem das Individuum wenig zählt. Eine Kel Formation ist beinahe undurchdringlich, wer aber nur das geringste Fehlverhalten zeigt, wird umgehend ausgestoßen und damit zum Tod auf dem Schlachtfeld verurteilt. Tatsächlich werden ganze Kompanien geopfert, falls es der Sache an sich dient. Im Hintergrund dienen all diese Vorgänge den Interessen weniger Individuen an der Spitze der fünf Fraktionen. Insofern zählt der Einzelne in diesem Reich nicht, außer er ist ganz oben angelangt. Das ist ein altbekanntes Lied, das hier aber ganz besonders eindringlich inszeniert ist. Denn aus der Sicht Cheris erfährt man viel über den Kel Instinkt und Kel Formationen, die dem Individuum gar keine andere Möglichkeit lassen als Befehlen der Kel zu gehorchen.

Noch stärker ist die Verbindung zwischen Cheris und General Jedao. Jedao wird von den Kel (und von allen Fraktionen) als Verrückter abgestempelt. Er schlachtete einst nicht nur seine Feinde, sondern gleichzeitig seine eigene Kompanie ab. Seitdem rätseln all, was den so erfolgreichen General zu dieser Tat verleitet haben mag. Angesichts der Brutalität des hier beschriebenen, sehr erfolgreichen Regimes, denkt man sich rasch, dass Jedao vielleicht eine Art Widerstandskämpfer sein könnte. Darum geht es in „Ninefox Gambit“ jedoch nur am Rande. Im Vordergrund stehen die Unsicherheiten Cheris. Die stolze Anführerin einer Infanteriekompanie muss auf einmal eine ganze Armee kommandieren, zweifelt an sich selbst und ist mit vielen Untergebenen konfrontiert, die ebenfalls an ihr zweifeln. In einem System, dass davon lebt, dass alle an die postulierten Gesetze glauben, ist dies Gift. Ihre Interaktionen mit Jedao, der ihr mal mehr und mal weniger hilfreich zur Seite steht, gewinnt sie an Selbstbewusstsein. Dennoch ist die psychologische Belastung enorm. Wie Cheris die unlösbare Aufgabe, die gut gesicherte Festung zu erobern, löst und gleichzeitig mit Jedao interagiert und von dem einstigen General lernt, ist der größte Spannungsfaktor des Romans.

Die Andersartigkeit des „Ninefox Gambit“-Universum wird dem Roman aber auch zum Verhängnis. Zunächst einmal wird nichts direkt erklärt. Das macht Sinn. Denn in diesem System funktioniert alle Technik nur, weil die Menschen an die kalendarischen Regeln glauben. Eine Erklärung würde gar keinen Sinn machen, es geht schließlich um das Vertrauen. Was aber völlig fehlt sind mehr soziale Hintergründe. Aus unserem Wertesystem erscheint die Struktur der Kel brutal. Soldaten werden hier teilweise einfach weggeworfen, viele Kommandanten brennen geradezu darauf, an Selbstmordmissionen teilzunehmen. Allerdings sind diese Kel wie zum Beispiel Cheris völlig freiwillig der Armee beigetreten. Daneben sieht es zudem so aus, als existierten auf jedem Planeten weiterhin Gesellschaften außerhalb des strengen Kastensystems auf der Reichsebene. Wie unterdrückend ist dieses Imperium also? Darüber weiß der Leser wenig und erfährt auch wenig. Klar ist, dass jeder, der vom Kalender abweicht eine Bedrohung darstellt und wie die Rebellen in der Festung ausgelöscht werden soll. Genau so deutlich ist, dass das Imperium Kriege gegen Spezies und Vereinigungen führt, die den Kalender ablehnen. Wer aber im Kalender bleibt, scheint ein relativ unbehelligtes Leben zu führen. Alles in allem fehlt es an Charakteren, die eine Motivation haben, gegen dieses Imperium vorzugehen. Der Leser rätselt daher den Großteil des Romans darüber, mit welcher Seite er eigentlich sympathisieren soll. Trotz einiger Enthüllungen im Laufe des Romans wird diese Frage bis zum Schluss nicht geklärt.

„Ninefox Gambit“ ist ein herausfordernder Roman, der den Leser in eine sehr fremde Zukunftswelt entführt. Hier wird eine Diktatur präsentiert, die ihren Gefolgsleuten unbedingten Gehorsam abverlangt. Aufgrund der Konzentration auf wenige Protagonisten und der zurückhaltenden Informationspolitik des Romans über gesellschaftliche Hintergründe fällt es trotz fantastischer Technologie schwer, sich wirklich für die Handlung zu interessieren. Positiv sticht das komplizierte Verhältnis zwischen Captain Cheris und General Jedao heraus, die in einem Körper miteinander auskommen und eine Armee führen müssen.

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