Six Wakes (von Mur Lafferty)

Maria Arena wacht in einem neune Klonkörper auf. Eigentlich ist dies ein normaler Prozess. Klone werden nach ihrem Tod wieder geklont, ihre „Mindmap“ wird in den neuen Körper transferiert und somit haben diese Wesen die relative Unsterblichkeit erlangt. Um normale Menschen nicht zu bedrohen, ist der Prozess gesetzlich stark reglementiert. Diesmal ist jedoch nichts normal. Denn Maria wacht auf einem Generationenschiff auf. Ihre letzte Erinnerung, ihre letzte Mindmap wurde kurz vor Abflug aufgenommen. Doch um sie und die anderen fünf gleichzeitig wiederbelebten Crewmitglieder schweben ihre Leichen. Scheinbar vergingen 25 Jahre bis es zu einem Eklat an Bord kam, denn alle Leichen sind brutal ermordet worden. Jeder an Bord, die autoritäre Captain Katrina de la Cruz, der noch autoritärere Sicherheitschef Wolfgang, der aufgedrehte Pilot (Aki)Hiro Sato, der mysteriöse Ingenieur Paul Seurat, die aufgeschlossene Ärztin Joanna Glass oder gar Maria selbst könnten der Mörder sein. Schließlich kann sich niemand mehr an die Ereignisse erinnern. Für die sechs Klone beginnt ein aufreibender Kraftakt, um den (oder die) Täter(in) zu finden.

„Six Wakes“ beginnt mit einem enorm beklemmenden Szenario. Der Großteil der Handlung ist aus der Sicht Marias geschildert, doch auch die anderen Protagonisten erhalten ihre Auftritte. Niemand kann sich an die Morde erinnern, daher zweifeln alle an sich selbst. Erschwerend kommt hinzu, dass die komplette Besatzung aus verurteilten Verbrechern besteht. Dies war günstiger, arbeiten diese Klone doch gegen Bezahlung in der Hoffnung auf einen Neustart sobald sie am Zielplanet ankommen und die eigentlichen Kolonisten auftauen (bzw. Klonen). Um Konflikte zu vermeiden, wissen die Besatzungsmitglieder jedoch nichts über ihre Verbrechen. Dieses Wissen ist allein der künstlichen Intelligenz IAN vorbehalten, die zudem über eine Reihe von Letztenscheidungsrechten verfügt mit denen sie die einst kriminelle Besatzung unter Kontrolle behalten soll. Dieses Szenario, das in der beklemmenden Enge eines Raumschiffs ausgespielt wird, ist nicht nur für die Protagonisten psychologischer Terror: Der Start des Romans ist schnell, mysteriös und fesselnd.

Laffertys eigentliche Stärke ist jedoch das subtile Erschaffen einer fantastischen Zukunftswelt. Klone sind keineswegs universell akzeptiert. Durch clever eingestreute Rückblenden, die niemals billig platziert sind, sondern sich immer bestens in die Handlung einfügen, erfährt der Leser über die politischen Konflikte dieser technischen Errungenschaft. Daraus ergibt sich auf der einen Seite ein komplexes Bild einer Menschheit, die die Möglichkeit der Unsterblichkeit erlangt hat, mit den ethischen Konsequenzen geradezu überfordert ist und zudem nicht weiß, wie sie das Problem ihrer endlichen Ressourcen auf der Erde lösen soll. Auf der anderen Seite erschafft Lafferty für jeden Charakter einen komplexen Hintergrund. Jede der Erzählungen würde für sich ausreichen, um einen Roman interessant zu machen. Die Protagonisten werden dadurch enorm vielschichtig und schaffen ein Ensemble, mit dem man mitfiebert.

Bald steht die große Frage im Raum, was die sechs Crewmitglieder eigentlich verbindet und welche Rolle IAN bei allem spielt. Am ende ist der zunächst unscheinbarste Charakter gleichzeitig der einflussreichste, einfallsreichste und tragischste. Das führt zu einer brillianten Auflösung. Dabei ist es lediglich schade, dass Lafferty die Gedankenwelt des Haupttäters nur am Rande beleuchtet. Das wirkt angesichts der komplexen und sehr überzeugen konstruierten restlichen Handlung etwas zu einfach. Dem gegenüber steht aber eine wunderbar aufgebaute Rachegeschichte im Hintergrund, die nur durch Kooperation, Kreativität und vor allem den enormen Mut Einzelner, einander zu vertrauen gelöst werden kann. Lafferty zeigt, dass der beste Racheplan nicht funktioniert, wenn auch nur ein Opfer, das eigentlich in einer gegeneinander aufgehetzten Gruppe untergehen soll, beginnt für andere anstatt für sich zu arbeiten.

Die Mischung aus tiefem Hintergrund, starken Charakteren, beklemmendem Setting und hohem Tempo macht „Six Wakes“ zu einem spannenden, temporeichen und gleichzeitig nachdenklichen Thriller, den man nicht aus der Hand legen kann.

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