New York 2140 (von Kim Stanley Robinson)
|Im Jahr 2140 ist der Meeresspiegel um 15 Meter angestiegen. Das ist mehr als selbst pessimistische Vorhersagen prognostizierten. Viele Küstenregionen mussten in den zwei Anstiegswellen aufgegeben werden. Doch langsam holt sich die Menschheit die Küsten zurück. Ein Zeichen der Widerstandskraft ist New York. Weiterhin leben viele Menschen in den am Grund unter Wasser stehenden Hochhäusern. Aber in dem Moment als auch die letzten Wolkenkratzer renoviert und für das Leben als Stadtinseln fit gemacht wurden, kommt ein alter Bekannter nach New York zurück: Die Finanzindustrie, die New York einst für Denver verlassen hat, entdeckt die New Yorker Immobilienobjekte für sich und beginnt wieder, mit dem Wohneigentum der Menschen zu spekulieren.
„New York 2140“ spielt eine interessante Entwicklung im Detail durch. Der Meeresspiegel steigt an und die Menschheit muss darauf anpassen. Verursacht durch kapitalistisches Wirtschaften, passt sich der Kapitalismus in Windeseile an die veränderten Rahmenbedingungen an. Millionen leiden in den schweren wirtschaftlichen Krisen nach den Überschwemmungen, aber die Wirtschaft erholt sich immer wieder. Robinsons Roman ist sehr stark darin, diese Zukunftsvision auszugestalten. Der Leser erlebt nicht nur ein stimmungsstarkes New York unter Wasser, sondern durch geschickte Einblendungen und Handlungsstränge auch das verzweifelte Ringen verschiedene Spezies vor dem Aussterben zu bewahren, die Umstellung auf eine klimaverträglichere Wirtschaftsweise und die Reorganisation des Zusammenlebens in überfluteten Gebieten. Das ist nicht nur interessant, sondern durch Robinsons Stil auch nahbar.
Der Roman leidet jedoch unter den vielen Charakteren. Die Struktur des Romans gibt jedem Charakter die Möglichkeit, seine Perspektive in designierten Kapiteln auszubreiten. Durch die vielen Protagonisten braucht es viel Platz (und Zeit), um überhaupt erst einmal alle Hintergründe auszubreiten. Viele Personen bleiben daher bis zum Ende lediglich Schablonen. Das ist schade, denn vor der eindrucksvollen Kulisse versucht Robinson einen Finanzkrimi mit den Schicksalen „einfacher“ Bewohner eines der überfluteten Hochhäuser zu erzählen. Hier wäre es besser, man hätte sich auf weniger Personen beschränkt. Dadurch wären vielleicht einige Aspekte dieser Zukunftsperspektive ausgeblendet worden. Dafür bestünde die Möglichkeit, sich mit den „Helden“ der Erzählung tatsächlich zu identifizieren.
Der Roman leidet auch an den viel zu vielen Themen die angesprochen werden. Denkt man zunächst, die Erzählung dreht sich um das Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt, so wird man rasch eines besseren belehrt. Hier tauchen Terroristen, Flüchtlinge und Gewerkschaften eben so als wichtige Handlungsträger auf wie das organisierte Verbrechen, die Finanzindustrie und Sozialarbeiter. Das ist alles für sich genommen interessant, aber in seiner Gesamtheit viel zu viel. „New York 2140“ braucht daher enorm lange um endlich auf seinen, ausgesprochen sozialdemokratischen Fokus auf das Überwinden der Finanzindustrie durch friedlichen und aktiv-demokratische Organisation des Bürgerinteresses zu kommen. Bis dahin wirkt „New York 2140“ wie eine pädagogische Handreichung in interessantem Setting und mit einer Placebo-Krimihandlung.
Das ist ärgerlich, denn viele der aufgeworfenen Themen sind für sich sehr interessant und gelungen. Gerade aus den Krimiaspekten und der Rolle der NYPD (der New Yorker Polizei) in dieser Zukunft hätte man deutlich mehr machen können. Aufgrund der Länge des Romans (mehr als 600 Seiten), der viel zu vielen Motive sowie des Überangebotes an Charakteren bleibt daher trotz der interessanten Ausgangslage lediglich ein interessantes Szenario einer friedlichen Revolution. Das ist für sich durchaus überraschend. Denn Robinson erzählt hier vor dem Hintergrund einer düsteren Zukunft eine durch und durch optimistische Geschichte: mit Willensstärke, Offenheit und demokratischer Überzeugung sorgen kollektive Aktionen dafür, dass in einem demokratischen Prozess die Schwächeren New Yorks gestärkt werden. Das ist nett zu lesen, lässt aber an vielen Stellen an Spannung und Kohärenz fehlen.