Provenance (von Ann Leckie)

Ingray Aughskold ist verzweifelt. Sie hat all ihr Geld in einen waghalsigen Plan investiert, um ihre Mutter von ihrer Skrupellosigkeit zu überzeugen. Ingray ist auf Hwae aufgewachsen. Die dortige Gesellschaft ist von politischen Oligopolen dominiert und verehrt antike Hinterlassenschaften, in der Regel Einladungsschreiben für Ereignisse, die sich später als historisch bedeutsam herausgestellt haben. Es ist nicht unüblich, das mächtige politische Familien Kinder adoptieren, um möglichst viele potenzielle Erben und vor allem politische Unterstützer heranzuziehen. Doch Ingrays Mutter Netano ist besonders mächtig und skrupellos. Sie unterstützt einen starken Wettbewerb zwischen Ingray und ihrem Bruder Danach. Ingray versucht daher das Unmögliche: Mithilfe eines Auftragskidnapper entführt sie Pahlad Budrakim aus einem Hochsicherheitsgefängnis. Pahlad hat einst die wertvollsten Antiquitäten der Hwae gestohlen. Ingrid hofft, sie mit Pahlads Hilfe wiedererlangen zu können. Dadurch würde sie sowohl den Reichtum als auch den Ruhm ihrer Familie erheblich erhöhen. Sie hat nur ein Problem, der von dem Broker gelieferte Mann behauptet, nicht Pahlad zu sein. Und so steht Ingrid, die ihr gesamtes Vermögen in den Plan investiert hat, auf einmal ganz allein da.

„Provenance“ spielt im selben Universum wie Leckies „Imperial Radch“-Trilogie. Der Roman steht jedoch für sich selbst und ist deutlich gradliniger als Leckies erster Roman „Die Maschinen„. Wie im ersten Band ist auch hier die Gender-Frage in der Regel unklar, Personalpronomen werden nie verwendet. Da es hier aber nicht um die Menschwerdung einer künstlichen Intelligenz geht, erscheint der Roman deutlich konventioneller. Stattdessen erinnert „Provenance“ mit seinen emotional engagierten Themen von Familie und Liebe sowie seiner Kriminal- und Kriegshandlung an ein klassisches „Barrayar“-Abenteuer aus der Feder Lois McMaster Bujolds.

Der Roman spielt auf vier Ebenen. Die Haupthandlung dreht sich um Ingrays Kampf um Anerkennung. Ingray ist in einem Kindergarten groß geworden und wurde nicht wie ihr Bruder aus einer mächtigen Familie adoptiert. Sie kämpft verbissen, doch in der Regel erfolglos um die Anerkennung ihrer Mutter. Pahlad hat ein ähnliches Schicksal hinter sich und wurde von seinem Vater aus machtpolitischen Gründen in eine brutal-dystopische Gefängniswelt verbannt. Dazu gesellt sich der Pilot Tic, dem die mysteriösen Geck verfolgen. Da diese Geck aufgrund eines interstellaren Vertrags nicht belangt werden dürfen, führt dies zu vielen verwirrenden Situationen. Und zuletzt agieren im Hintergrund die Omkem, die vor einer Weile ein wichtiges Überlichtsprungtor zu noch wichtigeren Handelsrouten verloren haben. Ihr einziger Weg, dieses zu rekonstruieren und die dafür verantwortlichen „Terroristen“ (oder je nach Sichtweise „Rebellen“) zu bestrafen, führt durch Hwae. Diese an und für sich unübersichtliche und komplizierte Struktur aus politisch-militärischen Überlegungen und großen familiären Emotionen entgleitet Leckie zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen gelingt es ihr mit Ingrays Sorgen klein anzufangen und die Handlung anschließend schrittweise auszubauen. Das Resultat ist ein Roman, der sich erst wie eine Familientragödie, dann aufgrund der Handlung um Pahlad und einem Mord an einem Omkem wie ein Kriminalstück und am Ende wie ein Spionage-/Militärroman liest. In dieser Vielfältigkeit liegt die Stärke von „Provenance“.

Allerdings ist der Roman nicht auf allen Handlungsebenen sonderlich kreativ. Viele Handlungswendungen sind vorhersehbar. Vor allem die Eskalation am Ende des Romans sowie die Auflösung sind bereits früh erkennbar. Es spricht allerdings für Leckies Schreibstil, dass der Roman dennoch unterhaltsam und aufgrund der verbliebenen nicht vorhersehbaren Elemente angemessen spannend bleibt.

Das Hauptthema ist letztlich die Vorstellung von Familie. In der Zukunftvorstellung der Hwae arbeiten die Kinder für den Erfolg der Eltern. Die erfolgreichsten Kinder erben anschließend den politischen Einfluss (sowie alle als Beweise für den eigenen Erfolg erworbenen, wenn auch häufig gefälschten) der Eltern. In der traditionell-romantischen Vorstellung von Familie ist dies häufig andersrum. Und so müssen sowohl die Geck als auch Ingrays Mutter erfahren, dass Kinder ihre eigenen Vorstellungen des guten Lebens entwickeln. Der daraus resultierende Gewissenskonflikt ist vor allem an Ingray, ihren Wünschen und ihren Gefühlen von Loyalität sehr gut dargestellt.

Alles in allem ist „Provenance“ ein überzeugender und unterhaltsamer Mix aus emotionalen Charakterkonstellationen, einer spannende Kriegshandlung sowie der Darstellung sozialer Probleme der Zukunft von politischem Stimmenkauf bis hin zu einer erschütternden Darstellung eines vermeintlich humanen Strafvollzugs. Der Roman startet dabei vermeintlich klein und ufert in der Folge in immer weitere (teilweise konstruierte) Handlungsebenen aus, wobei Leckie immer die Kontrolle über ihr Universum behält und den Leser dabei bestens unterhält.

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