A Witch’s Guide to Escape: A Practical Compendium of Portal Fantasies (von Alix E. Harrow)

Eine Bibliothekarin im ländlichen Süden der USA beobachtet einen schwarzen Jungen, der in der Bibliothek seine ersten Erfahrungen mit phantastischer Literatur macht. Sie sieht sich als Hexe und ihre Aufgabe darin, ihren Klienten die richtigen Bücher zukommen zulassen. Je mehr der Junge liest, desto mehr lernt die Bibliothekarin über seine Herkunft, seine Herausforderungen im Kinderheim und sein Erziehungsberechtigten, die ihn am Lesen phantastischer Literatur hindern wollen. Obwohl es ihr verboten ist, gibt die Bibliothekarin ihm als seine Depression immer schlimmer wird eines ihrer magischen Bücher, die einen Ausweg aus der Realität bieten. Der Junge verschwindet in einem Portal und zu ihrer Überraschung findet die Bibliothekarin Anerkennung anstatt Bestrafung von ihren Kollegen.

Die Perspektive des „Witch’s Guide to Escape“ ist interessant. Die Bibliothekarin spricht kaum mehr als einen Satz mit dem Jungen. Allein durch ihre Beobachtung entsteht ein Bild seines Lebens, der Herausforderungen, denen er sich im Kinderheim ausgesetzt sieht sowie seiner Depression. Stabilität geben ihm zunächst die verschiedenen phantastischen Bücher, die er sich aus der Bibliothek ausleiht. Das ist vor allem für Freunde dieser Literatur natürlich eine interessante Perspektive. Science Fiction und Fantasy bieten hier auf den ersten Blick die Flucht in eine andere Welt an. Auf der anderen Seite bieten sie dem Jungen eben gerade eine andere Perspektive auf das Leben, die er sich selbst nicht erdenken können. Halt gibt also nicht nur der Traum zu fliehen, sondern auch die Perspektive auf eine Veränderung. Bücher können vielleicht keine Probleme direkt lösen – auch wenn die Erzieherin des Jungens diese Möglichkeit in trockenen, psychologischen Ratgebern durchaus sieht – sie können aber Halt geben.

Die Bibliothekarin selbst sieht sich als Hexe. Das wird in der Kurzgeschichte ernst genommen, am Ende gibt sie dem Jungen einen Reiseführer zur Hand, mit dem er der Realität tatsächlich entfliehen kann. Gleichzeitig könnte die Bibliothekarin dies jedoch selbst sich eher erträumen, sich ihren letztlich doch etwas eintönigen Beruf schön denken. Auf jeden Fall illustriert der „Witch’s Guide to Escape“ die bedeutende Rolle öffentlicher Bibliotheken, gerade auch für Kinder aus ärmeren Familien, Halt und Perspektiven zu bieten. Die Kraft der Literatur wirkt am Besten, wenn sie offen zugänglich ist.

Der „Witch’s Guide to Escape“ berührt mit dem Schicksal des Literatur entdeckenden Jungen, dessen stille Begeisterungsfähigkeit sowie der Thematisierung der Rolle von Literatur im Erwachsenwerden. Verbunden mit der Hexen Geschichte führt dies zu einer lockeren Lektüre mit nachdenklichem Unterton. Allerdings ist die Kurzgeschichte streckenweise vorhersehbar und der Umfang etwas zu lang für den letztlich doch recht gradlinigen Plot. Die Erzählung lebt daher eher von der interessanten und doppeldeutigen Außenperspektive als von ihrer inhaltlichen Konstruktion.

Die Kurzgeschichte „A Witch’s Guide to Escape: A Practical Compendium of Portal Fantasies“ von Alix E. Harrow ist 2018 im „Apex Magazine“ erschienen. Sie ist für den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Short Story“ nominiert.

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