STET (von Sarah Gailey)

STET ist eine Kurzgeschichte, die den Entwurf eines Kapitels eines fiktiven, in der Zukunft erscheinenden technischen Handbuchs über selbstfahrende Autos präsentiert. Anna hat den Text verfasst. Ed sendet ihn ihr zurück und bemängelt, dass er zu subjektiv ist. Er schlägt eine Reihe von Änderungen vor. Denn Anna hat jüngst ihre Tochter in einem Unfall mit einem selbstfahrenden Auto verloren. Das Auto hatte die Wahl, einen seltenen Vogel oder Annas Tochter zu töten. Der Algorithmus steuerte das Auto auf das Kind, es starb. In vielen Fußnoten wettert Anna daher gegen die Entwickler der Autos, gegen die Ideologie hinter Algorithmen und spricht gar von Mord. Obwohl Ed immer wieder betont, dass er Anna gerne als Freund unterstützen würde, hat sie für die meisten seiner Anmerkungen nur einen Kommentar: Die Abkürzung von Lektoren für die Ablehnung von Änderungsvorschlägen – STET.

STET lebt von seiner ungewöhnlichen Form. Der Text ist für ein wissenschaftliches Lehrbuch gedacht. Er soll Studenten in die Lage versetzen, in der Zukunft selbst Autos zu programmieren. Es ist also keine Werbebroschüre der Autoindustrie. Dennoch zeigen Annas Kommentare auf, dass eine kritische Diskussion der ethischen und philosophischen Dimensionen der Autos unerwünscht ist. STET wirft daher die Frage auf, wie wertneutral technische Forschung ist.

Sowohl in den Fußnoten als auch in den Kommentaren wird aber auch Annas Trauer spürbar. Der Tod ihrer Tochter ist schwer zu fassen. Kein Autofahrer würde das Leben eines Vogels über den eines Menschen stellen. Selbst wenn dieser noch akuter vom Aussterben bedroht wäre als der Vogel in der Kurzgeschichte, vermutlich würde ein Autofahrer sich diese Frage nicht einmal stellen. STET zeigt anhand dieses erst einmal abstrus wirkenden Beispiels auf, dass durch den Einfluss von Computern automatisch auch neue Kriterien auftauchen, die mitbedacht werden. Allein die Tatsache, dass die Fahrentscheidung berechnet wird, schafft möglicherweise ungeahnte Folgen. Anna ist darüber verständlicherweise empört und lässt ihrer Wut freien Lauf. Dadurch hat der Leser einen ansehnlichen Vergleich emotionaler sowie vermeintlich neutral, wissenschaftlicher Sprache. Diese Mischung aus Kühle und Emotion, aus Fließtext, Fußnoten und Kommentaren ist sehr gelungen.

Und dennoch fehlt es der Geschichte durch ihre Form natürlich an Handlung. Natürlich ist der Unfall bewegend. Aber letztlich ist STET ein ausgesprochen direkter Denkanstoß über die möglichen Konsequenzen automatisierter Fahrzeuge. Das bewegt, lässt aber eine tatsächliche Handlung vermissen.

Die Kurzgeschichte „STET“ von Sarah Gailey ist 2018 im „Fireside-Magazine“ erschienen. Sie ist für den Hugo Award 2019 in der Kategorie „Best Short Story“ nominiert.

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