Botschafter der Schatten (von Pierre Christin & Jean-Claude Mézières / Valérian et Laureline Band 6)

(Die Besprechung beruht auf dem Comic „L’Ambassadeur de L’Ombre“ im dritten Band der französischen Gesamtausgabe.)

Central City ist eine riesige Raumstation, auf der die verschiedensten Völker Abschnite unterhalten. Valérian und Laureline bringen den neuen Botschafter der Erde nach Central City. Die Erde wird für eine begrenzte Zeit den Vorsitz, im Rat Central Citys übernehmen. Der neue Botschafter sieht darin eine grandiose Gelegenheit, ein Bündnis zwischen der Erde und Central City einzuleiten, das unter der Führung der irdischen Galaxcity Frieden in der Galaxis herstellen soll. Doch bevor er diesen Plan unterbreiten kann, wird der Botschafter von Unbekannten entführt. Valérian folgt den Entführern, Lauréline bleibt paralysiert auf Central City zurück. Als sie wieder zu sich kommt, muss sie in dem riesigen Schmelztigel Central City nach Hinweisen auf den Verbleib des Botschafters und ihres Freundes Valérian suchen. Wer hat die beiden warum entführt?

Mit dem sechsten regulären Band macht die Serie einen weiteren Quantensprung. Central City ist eine faszinierende Idee. Über die Jahrhunderte haben immer mehr Völker an die Station angedockt und sind in dem reichen Mikrokosmus geblieben. Es ist kein Wunder, dass dieser Comic die zentrale Vorlage für den (nicht ganz so gelungenen) Valérian-Film geworden ist. Central City ist die Heimat vieler verschiedener Lebewesen. Auf ihrer Suche begegnet Lauréline dadurch einer archaischen Ritter-Gesellschaft, einer Gemeinschaft an Gestaltwandlern, spioniert eine Art japanische Alien-Kriegergesellschaft aus, stiehlt in einer Unterwasserwelt eine telepathische Qualle und interagiert mit Wesen, die durch Träume echte Orte auskundschaften können. Die Vielfalt ist beeindruckend, die Szenenwechsel schnell. Im Hintergrund wimmeln kleine Nebenfiguren wie knuddlige Spione, ein Multiplikatorreptil, der trottelige Adjutant des Botschafters oder ein unbeteiligter Fischer. Bisher hat die Serie in jeder Folge einen neuen Ort besucht. Manchmal waren diese recht detailliert beschrieben. So intensiv und beeindruckend wie Central City war die Serie aber noch nie.

Die Handlung ist ebenfalls herausragend. Von Beginn an ist klar, dass der irdische Botschafter einen äußerst imperialen Plan verfolgt. Er verkauft ihn als eine Zusammenarbeit, die den Frieden sichern soll. Er kann aber in seiner Begeisterung für seinen Plan, die Erde und seine eigene Karriere kaum verhehlen, dass es ausschließlich darum geht, den Einflussbereich der Erde zu vergrößern. Das sorgt bereits für ordentlich Skepsis beim Leser. Wie immer ist Valérian gegenüber der Leitung von Galaxcity ausgesprochen loyal und lässt sich von dem Botschafter beeinflussen. Laureline kann ihre Zweifel jedoch nicht verbergen. Dadurch ist in dem Comic ganz klar, dass Laureline ihren Einsatz nicht für den Botschafter, sondern für Valérian leistet. Sie ist in diesem Comic noch stärker, souveräner und pfiffiger als sonst in der Serie. Und wieder einmal fühlt sich Valérian am Ende als Held, obwohl Laureline den Tag rettet. „Botschafter der Schatten“ ist somit für die Darstellung Laurelines ein spannender und wichtiger Schritt.

Die Entführung selbst ist überraschend pazifistisch. Der Botschafter der Erde wird von dem Volk, das einst Central City gegründet hat, nur für eine kurze Weile aus dem Verkehr gezogen. Im Hintergrund übernimmt derweil das Wartungspersonal der Station die Macht. Sie sorgen dafür, dass die Selbstbereicherung ein Ende findet und der Botschafter der Erde wegen seiner übergriffigen Ideen von der Station verbannt wird. Am Ende siegen die Guten und das ist nicht die Erde. Auch diese Wandlung ist ausgesprochen spannend, geschickt eingefädelt und dennoch überraschend. Das Wartungspersonal der Zools taucht immer mal wieder auf und bei der zweiten Lektüre wird die Machtübernahme geradezu vorhersehbar. Dass die Delegation der Erde von der Station verbannt wird und die vom Botschafter bereits in Stellung gebrachte Flotte sich ebenfalls zurückzieht, ist wiederum Laurelines beherztem Eingreifen zu verdanken. „Botschafter der Schatten“ ist eine atmosphärisch, politisch und charakterlich überzeugende und spannungsgeladene Geschichte, die in dem Band farbenfroh umgesetzt ist und mit ihrer anti-imperialen Botschaft mutig die bisherige „gute“ Seite der Serie noch weiter als „Willkommen auf Alflolol“ dekonstruiert. Die Autoren zeigen hier, dass Laureline die tragende, entscheidendere Heldin der Serie ist und dass das Valérian-Universum nicht nur spannende Geschichten erzählen kann, sondern mit seinem sozialkritischen Ansatz auch Themen wie die Organisation vielfältigen Zusammenlebens aufgreifen kann, die 44 Jahre nach der Erscheinung dieses Bandes 1975 noch immer hoch aktuell sind.

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