Paradise City (ARD-Radiotatort)

Der Task Force Hamm kommen zwei Kilo Heroin abhanden. Wie für die Chaos-Sektion üblich, ist die Situation äußerst unangenehm. Denn das Heroin ist eine Hinterlassenschaft eines früheren Falls und hätte längst kontrolliert abgegeben werden müssen. Nun ist es aus Versehen auf einen Flussdampfer geraten und schippert durch die Republik. In ihrer Not informieren die Hammer Beamten alle Kommissariate an deutschen Wasserstraßen – womit so ziemlich jedes „Radiotatort“-Team in den Fall verwickelt wird.

Der ARD-Radiotatort feiert sein zehnjähriges Jubiläum. Wie bereits bei der 100. Folge der Serie, kommen wieder alle Teams kurz zu Wort. Anders als beim vorherigen Jubiläum hat „Paradise City“ jedoch Spielfilmlänge spendiert bekommen. Dadurch kommen die verschiedenen Teams nicht nur kurz am Telefon zu Wort, sondern erhalten eigene (und zum Teil eigenwillige) Szenen.

Das ist für Kenner der Serie ein Feuerwerk. Denn im vergangenen Jahr endeten viele Erzählungen mit einem offenen Ende. Viele davon werden hier wieder aufgegriffen. Allerdings wird wenig abgeschlossen. So ist in Sachsen-Anhalt zum Beispiel das tragische Ende des vorherigen Tatorts weiterhin überspielt. Gerade im Vergleich zum 100. Fall, in dem Kommissarin de Baer mit dem Sinn der Polizeiarbeit haderte, ist es doch verwunderlich, dass sie nun tatenfroh und optimistisch ist, obwohl der Polizeidienst ihr zuletzt übel mitgespielt hat. In solchen Momenten zeigt sich, dass die Serie im Kern episodisch aufgebaut ist. Gefühle, Erfahrungen und Fälle vorheriger Folgen werden mit einigen Ausnahmen nur sehr selten wieder aufgegriffen. Daran ändern sich auch nicht episodenübergreifende Handlungsstränge in Jubiläumsfolgen. Generell ist es jedoch sehr beeindruckend, wie die Drehbuchautoren die Handlung geradezu natürlich an die verschiedenen Orte des Radiotatorts lenken. Wer die Reihe nicht kennt, startet daher wohl besser mit der Februar-Folge: Denn was auf der einen Seite nostalgische Gefühle weckt, dürfte für Neueinsteiger sehr verwirrend sein.

Der Fall selbst ist eigentlich unspektakulär: Es gibt einen Ausbrecher und das Heroin verschwindet. Bei den strafversetzten Hammer Polizisten geht es jedoch im seltensten Fall tatsächlich um das Verbrechen. Mit dieser Tradition gelingt es auch der Jubiläumsfolge über die doppelte Spiellänger zu unterhalten: Im Mittelpunkt stehen trotz aller anderen Ermittler die Probleme der Hammer Beamten. Scholz bemüht sich um die Liebe und Vorderbäumen stellt sich als überraschend engagiert heraus. Der wahre Fokus liegt jedoch auf Latotzke, dem einzig freiwillig in Hamm arbeitenden Beamten. Ihm wird hier eine berührende und am Ende bewegend tragische Familiengeschichte angedichtet. Wie in letzter Zeit üblich, bleiben einige Fragen offen. Und auch in „Paradise City“ ist am Ende nicht ganz klar, wodurch tragische Ereignisse in der Vergangenheit ausgelöst wurden. Während dies andere Radiotatorte schwächt, sorgen die vielen Ortswechsel und vor allem die überzeugenden Hammer Charaktere dafür, dass „Paradise City“ unterhaltsam und berührend bleibt.

Somit ist die zehnte Geburtstagsfeier der Serie sehr gelungen: Der Zuhörer besucht lieb gewonnene Orte und Protagonisten, erfährt überall ein schmunzelndes Detail und wird damit Stück für Stück in eine dramatische Familiengeschichte getragen. Im Verbund kann der „Radiotatort“ die Spielzeit mindestens so überzeugend füllen wie der große Fernsehbruder. Nachdem die Redaktionen mit diesem Experiment und dem Zweiteiler im vergangenen Jahr bewiesen haben, dass sie auch längere Erzählungen meistern können, hofft man für die Zukunft auf weitere ambitionierte Episoden wie diese.

 

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