Is the EU Doomed? (von Jan Zielonka)

EU_doomed

In seinem kurzen Essay beantwortet Jan Zielonka die Frage, ob die EU „doomed“, also zum Untergang verdammt sei, mit einer sehr negativen Zukunftsprognose für die EU und einer positiven Einschätzung weiterer europäischer Integration. Wie passt das zusammen? Zielonka stellt zunächst fest, dass die derzeitige Krise Disintegration in Form von größeren Ungleichgewichten und stärkeren öffentlichen Protesten mit sich bringt. In früheren Krisen seien der EU mehr Kompetenzen übertragen worden, dass sei in diesem Fall entweder aus funktionalen, demokratischen oder politiktaktischen Gründen nicht möglich – eine Reintegration sei demnach unwahrscheinlich. Das liege auch daran, dass eine Vision für Europa, die über Technokratie und Wirtschaftsliberalismus hinaus geht, fehle. Daher sei es höchstwahrscheinlich, dass die Bedeutung der EU und ihrer Institutionen langfristig sinken werden. Für die europäische Integration sei das jedoch nicht schlimm: Zielonka zeichnet das Bild eines „neu-mittelalterlichen“ („neo-medieval“) Europas, indem Regionen und Städte eine viel größere Rolle spielen als zuvor und die engen Grenzen des Nationalstaats nicht nur an Lösungskompetenz sondern auch an praktischer Bedeutung verlieren. Er glaubt daher an Frieden in Europa ohne die EU und vor allem an eine Reihe von Netzwerken, in Form von unabhängigen Versionen der bereits existierenden EU-Agenturen oder funktionalen Neugründungen, die auf unterschiedliche Arten, Lösungen anbieten. Dabei vermutet er, dass gewisse Wirtschaftskompetenzen weiterhin einheitlich geregelt werden, alles andere aber deutlich flexibler gehandhabt wird. In dieser Integration über Netzwerke, deren Vor- und Nachteile am Ende diskutiert werden, werde die europäische Integration weiterleben.

Zielonkas Essay überzeugt mit einer klaren Sprache, einem leicht verständlichen Text und vor allem einem pointierten Argument. Die Kernaussage, die Bedeutung der EU werde schwinden und die europäische Integration in anderer Form dennoch weitergehen, durchzieht jedes Kapitel. Dies führt zu einer interessanten und angesichts der pessimistischen ersten Prämissen überraschend positiven Einschätzung von Netzwerken. Zentrale Metapher ist die Polyphonie, die der derzeitigen EUphony gegenüber gestellt wird. Das Ergebnis wäre ein komplexes, auf verschiedenen Ebenen (und hier vor allem auf kommunaler und regionaler Ebene) legitimierten politischen Splitterlandschaft, die aber dank geteilter Werte und vor allem geteilter (Wirtschafts)Interessen innerhalb von Netzwerken zur gemeinsamen Standardsetzung zusammenfinden kann.

Obwohl diese Argumentation sehr kraftvoll ist, erscheint das Urteil über die EU doch etwas harsch. Denn die großen Unterschiede, der große Unmut über die EU geht von dem Euro-Regime aus. Durch die Währungsunion werden Ungleichheiten reproduziert und verstärkt. Dies hat der EU einen Bedeutungsgewinn verschafft, den sie aufgrund unterschiedlicher Interessen aber nicht für die Lösung des Problems (z.B. durch eine intergouvernementale Einigung) verwenden kann. Zu diesem Problem verliert der Essay nur wenige Worte, es wird nicht einmal explizit darauf eingegangen, ob die Währungsunion überhaupt weiterhin existieren (sollte / wird). Die Optionen sind hier schließlich entweder mehr Kompetenzen für die supranationale EU(!)-Ebene oder aber ein Ende des Projekts einer gemeinsamen Währung.

Dies stellt auch die Alternative, neo-medieval Ordnung in Frage. Denn es ist durchaus möglich, dass Städte und Regionen mächtiger werden und auch das Bürger sich mehr mit ihnen identifizieren. Aber die zentralen Machtressourcen liegen weiterhin bei den Staaten. Sie werden die Netzwerke besetzen, gerade wenn man die EU-Agenturen aufwertet und von der Union löst, denn hier wären die verbliebenen Strukturen bereits auf die Mitgliedsstaaten ausgerichtet. Vermutlich führt Zielonka seine Überlegungen zu dieser Ordnung an anderer Stelle ausführlicher aus. Hier fehlt eindeutig eine Reflexion, wie Macht und politische Stärke in dieser Ordnung aussieht bzw. reguliert wird. In einer Polyphonie bleiben die Mitgliedsstaaten (wie die geschwächten EU-Institutionen) schließlich erhalten. Was sind denn dann die Kompetenzen der Regionen, wie sieht der Wettbewerb unter ihnen aus, wie werden abgehängte Regionen unterstützt, bzw. vor der politischen Dominanz starker Regionen und vor allem Metropolen geschützt? An diese Machtfragen schließt sich dann die zentrale Frage an, wieso viele Akteure innerhalb dieser Polyphony ein größeres Interesse an einer Zusammenarbeit als an dem Ausspielen ihrer (möglichen) Dominanz haben sollten? Diese Fragen lassen an der Entwicklung solch einer Polyphony zweifeln bzw. verdeutlichen, dass „Practising Polyphony“ (Titel des letzten Kapitels) noch deutlich schwieriger zu koordinieren sein dürfte, als die jetzigen, schwerfälligen EU-Prozeduren.

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