Gedankensplitter 04/2016

Uneinig (I) – Die nervöse Union: Je länger die Flüchtlingskrise andauert, desto nervöser wird die Union. Von der AfD rechts überholt und mit einer Kanzlerin, die über ein „Wir schaffen das“ wenig tut, um die Bevölkerung zu beruhigen, fehlt vielen Christdemokraten und Christsozialen die notwendige Orientierung. Trotz anstehender (gewinnbarer) Wahlkämpfe will sich in der Partei nicht die notwendige Geschlossenheit breit machen. Kein Wunder, dass die rheinland-pfälzische Spizenkandidatin Julia Klöckner dabei die Geduld verliert und sich in internen Sitzungen im Ton vergreift. Klöckner hat versucht, sowohl populistisch für Flüchtlinge einzutreten, um die breite Masse der Bevölkerung einzufangen, als auch mit Forderungen nach einer Integrationspflicht, die ohne ausreichende Angebote gar nicht existieren kann, kritische Stimmen einzufangen. Zwei Seiten in Personalunion zu bedienen klappt nun einmal nicht und die alte CDU-Strategie, gleichzeitig am rechten und linken Rand zu fischen, will derzeit auch nicht aufgehen. Kein Wunder, dass die normalerweise sehr geschlossene Partei gerade ein sehr ungeordnetes Bild abgibt, in dem man sogar für Petitionen gegen die eigene Kanzlerin sammelt. Auf diese Weise kann die Union keinen Bürgern eine Antwort auf die Flüchtlingskrise liefern.

Uneinig (II) – Die auseinanderstrebende SPD: Vor wenigen Wochen wollte Sigmar Gabriel der Welt noch erzählen, dass die Situation für die SPD ein gefundenes Fressen ist: Die Union zerfleischt sich selbst, während die SPD mit klaren Positionen, integrationsfördernd und gleichzeitig die Vernunft im Auge behaltend, Probleme löst. Tatsächlich haben SPD-Ministerinnen solide Vorschläge gemacht, wie die Integration zu bewerkstelligen wäre – nur aufgegriffen oder diskutiert werden sie nicht. Stattdessen macht die SPD einen noch unsortierteren Eindruck als die Unionsparteien. Am Wochenende riefen sozialdemokratische Ortsverbände in Essen-Nord zu Demonstrationen auf. Das Ziel war es, auf die ungleiche Verteilung von Flüchtlingen (Flüchtlingsheime werden vor allem in sozial schwachen Gegenden errichtet) aufmerksam zu machen. Der Ton war jedoch derselbe wie bei PEGIDA und Co – zurecht wurde die Demonstration abgesagt. Das Ereignis – in Verbindung mit Gabriels notorisch schwankenden Aussagen zu dem Thema – wirft ein Schlaglicht auf ein großes Problem der Partei: Trotz einigender Grundsatzbeschlüsse reicht die praktische Politik der Partei nicht aus, um einigend in alle Gliederungen zu wirken und vor allem um ein Konzept vorzulegen, das nicht nur den temporären Stand der Krise erklären kann, sondern auch bei themathischen Wechseln (wie z.B. nach den Kölner Ereignissen) noch greift. Stattdessen wählt die Parteiführung fast jede Woche einen anderen Ton und wird somit niemals integrierend in die eigene Partei wirken. Auf diese Weise kann die SPD keinen Bürgern eine Antwort auf die Flüchtlingskrise liefern.

Uneinig (III) – Fazit: Es braucht Einigung zur Polarisierung: Die Uneinigkeit innerhalb der beiden großen Parteien, macht es unmöglich, dass tatsächliche Uneinigkeit zwischen den beiden Parteien entsteht. Diese Polarisierung ist selbst bei Einigkeit unter den Umständen einer Großen Koalition nur sehr schwer zu erreichen. Angesichts der inneren Zerstrittenheit ist sie jedoch unmöglich. Dabei bräuchte es genau das, um eine sinnvolle Diskussion über die richtigen Wege angesichts enormer Integrationsherausforderungen in Gang zu bringen. Es bräuchte überzeugte Volksparteien mit unterschiedlichen Positionen, damit deutsche Medien und Bürger wieder darüber diskutieren wie wir Probleme lösen anstatt ihnen mit Scheindiskussionen nach Obergrenzen und Integrationspflichten auszuweichen. Die letzten Wochen zeigen, dass wir Einigkeit innerhalb der beiden großen Parteien benötigen, um eine Debatte führen zu können, die nicht von extremen Rändern bestimmt ist.

Scheinheilige Medien (I) – Schleichwerbung: Eine der größten Herausforderungen seriöser Nachrichtenseiten ist es, kritisch gegnüber der Politik und der Gesellschaft zu sein und die dabei angelegten Maßstäbe gleichzeitig selbst einzuhalten. Es ist sehr einfach, bei dieser Gradwanderung das Vertrauen der Leser durch Kleinigkeiten zu erschüttern und den eigenen Argumenten (die vor allem in dem Meinungsformat des Kommentars elementar ist) den Wind aus den Segeln zu nehmen. Spiegel Online bot in der letzten Woche ein perfektes Beispiel, wie man sich innerhalb weniger Stunden selbst widerspricht. Zunächst erschien ein überzeugender Artikel, wie Journalisten sich vor den Karren der Pornoplattform PornHub spannen lassen: Mit amüsanten Statistiken (die in der Regel unter grundsätzlichen Mängeln der Repräsentanz und der falschen Kausalität leiden) wird Aufmerksamkeit „erregt“ und die meisten Medien (so auch Spiegel Online) greifen dies gern auf. Gerade einmal vier Tage nach dieses eindrucksvollen Beispiels wie leicht Schleichwerbung im Internetjournalismus ist, präsentiert die Reise-Redaktion von Spiegel Online als Aufmacher (!) „So sehen wir Deutschen am Liebsten“ eine Auswertung des Fotodienstes Flickr. Schleichwerbung, gerade skandalisiert, wird auf den Titel gehoben. Solch ein faux-pas mangelnder Koordinierung kostet Glaubwürdigkeit.

Scheinheilige Medien (II) – Journalistische Selbstkritik: In der erwähnten Kunstform des überzeugend ausgearbeiteten Meinungsarguments sind viele Beiträge der Wochenzeitung „Die Zeit“ führend. So ist auch die Kritik an der Aussage der Journalistin Claudia Zimmermann, ihre Arbeit beim öffentlichen Rundfunk sei nicht ganz frei von äußeren Einflüssen, stichhaltig argumentiert: Die Kernessenz des Beitrags besagt, dass in der Regel die Journalisten, die Standards einhalten, angefeindet werden und das ist möglich, weil viele Journalisten Einschränkungen antizipieren, die gar nicht existieren – es sei daher die Aufgabe von Individuen innerhalb des Medienbetriebs, nicht vermeindlich nützliche Einstellungen zu antizipieren, sondern sich eine kritische Einstellung zu bewahren. Das problematische: Im Titel und auch im Artikel wird Claudia Zimmermann für eine unglückliche Aussage, die immerhin eine interessante Debatte über gefühlte Einschränkungen bei Journalisten anstoßen könnte und über die erwähnten Anfeindungen sauber arbeitender Medienmacher, empfohlen, den Beruf zu wechseln. Oberflächlich wird hier journalistische Selbstkritik mit ausgrenzendem Verhalten beantwortet. Man hätte auch eine weniger reißerische Überschrift und Kernaussage wählen können, um die soliden Argumente der Debatte in den Mittelpunkt zu stellen und eine Kollegin, die mit einer Talkshow-Situation überfordert war, fairer behandeln können.

Scheinheilige Medien (III) – Die Politik der „TV-Duelle“: Der größte medienpolitische Aufreger der Woche sind die TV-Duelle vor den Landtagswahlen. Die meisten „Elefantenrunden“ vor der Wahl werden nicht stattfinden, da SPD und Grüne nicht mit der AfD in einer Runde debattieren möchten. Die Aufregung ist groß: Hier ist sie, die politische Einflussnahme auf den öffentlichen Rundfunk! Medial ist die Debatte Gift für die Spitzenkandidaten der Grünen in Baden-Württemberg und der SPD in Rheinland Pfalz. Dabei wird übersehen: Diese Position ist nicht neu, es wäre neu, in solchen Runden zu debattieren. Zunächst. TV-Duelle sind in Deutschland erst seit den späten 90ern wirklich üblich – noch 1998 weigerte sich Helmut Kohl zu einem TV-Duell anzutreten. Zweitens: TV-Duelle sind normalerweise Duelle zwischen zwei Spitzenkandidaten, sonst wird aus einer Veranstaltung schließlich kein Duell (außer man sieht FDP und Grüne als Sekundanten). Hier werden (fast) immer Parteien ausgegrenzt. Drittens: Bei Elefantenrunden mit allen im Bundes-/Landtag vertretenen Partein oder mit allen Parteien mit mehr als 5% in den Umfragen tauchen die Spitzenkandidaten meist nicht auf: 2009 entzog sich Bundeskanzlerin Merkel solchen Formaten, Frank-Walter Steinmeier zog danach seine Zusagen ebenfalls zurück; beide Politiker wurden von ihren Generalsekretären bzw. Parteivorsitzenden vertreten. 2013 gab es gleich nur ein Duell der „kleinen“ Parteien. Viertens: Das Prinzip keine Debatten, mit sehr rechten Parteien zu führen, ist nicht neu. Bei den Landtagswahlen 2004 in Sachsen (NPD beinahe auf SPD-Niveau) und Brandenburg (DVU sehr stark) verließen nach der Wahl alle etablierten Partei das TV-Studio sobald ein Vertreter der NPD bzw. der DVU befragt wurde – und die Journalisten machten mit, indem sie diese Politiker extrem harten Fragen unterzogen. Die AfD tritt in vielen Regionen und mit vielen Positionen das Erbe dieser Parteien an – in sofern ist es eigentlich nur konsequent, die Einstellungen aus den neuen Bundesländern auch in den alten Bundesländern anzuwenden. Zusammengefasst: Es ist sowieso üblich, dass alle aussichtsreichen Spitzenkandidaten und nicht nur die beiden Ministerpräsidentskandidaten/innen miteinander debattieren und die Weigerung mit rechtspopulistischen oder -extremen Parteien zu debattieren ist auch nichts Neues. Neu ist, dass dieser Vorgang (auch von den Medien) skandalisiert wird und von der CDU (in Rheinland Pfalz in Form von Julia Klöckner; in Baden Württemberg scheint es kein Problem zu geben) politisch instrumentalisiert wird. Hier kann man argumentieren, dass die Medien nun einem (wachsenden) Teil der deutschen Bevölkerung Gehör verschaffen wollen – zur Fairness gehört aber auch zu sagen, dass sie damit ihre früheren Positionen – anders als Malu Dreyer (SPD) und Winfried Kretschmann (Grüne) – räumen.

Anti-Pluralismus – Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: In Dänemark mischen sich Kommunen in die Speispläne öffentlicher Einrichtungen ein – Schweinefleisch muss sein. Ziel der Gesetzgebung sind ganz klar Muslime, sie werden als Bedrohung gesehen. So auch in Bornheim: Männliche Flüchtlinge werden generell als Bedrohung angesehen – sie dürfen nicht mehr ins Schwimmbad. Gleichzeitig haben bestimmte CSU-Politiker kein Problem damit, zu fordern, bestimmte Prinzipien des Rechtsstaat für gewisse Bevölkerungsgruppen außer Kraft zu setzen. Während viel darüber diskutiert wird, ob man die Integrationsschwierigkeiten in Deutschland (und anderswo) unterschätzt hat (oder einfach versäumt hat, geeignete und sinnvolle Programme aufzulegen), greift ein deutlicher Anti-Liberalismus um. Gesetze und Verordnungen werden auf einmal nicht mehr gemacht, um eine Gesellschaft zu regulieren, um klare Regeln für alle durchzusetzen und gleichzeitig möglichst viel Freiheiten zu bewahren. Stattdessen werden, bei gleichzeitiger fortschreitender Pluralisierung der Gesellschaft, Verordnungen, die sich gegen bestimmte Gruppen wenden, salonfähig. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist ein soziologisches Konzept, das Rassismus in einer sehr breiten Definition fasst. Studien zeigen, dass Einstellungen dieser Art in Deutschland recht verbreitet sind. Freiheitlich orientierte Bürger sollten aufpassen, dass einem menschenfeindlichen Anti-Liberalismus rechtzeitig Grenzen gesetzt werden – der Aufschrei über pauschale Ausschlüsse aus Schwimmbädern war viel zu leise als dass Kommunalbeamte und -politiker diesen Schritt in Zukunft ausschließen werden!

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