Gedankensplitter 03/2016
|Globaler Terror: Auch die vergangene Woche brachte tragische, terroristische Ereignisse. Für Deutschland am Schockierendsten: In Istanbul traf der Hass der Fanatiker eine deutsche Reisegruppe. Aber auch an anderen Orten, zum Beispiel in Burkina Fasos, schlugen Extremisten zu. Weiterhin gibt es weiterhin keine Lösungen, das seit Jahrzehnten wachsende Problem einzudämmen. Ein möglicher Grund mag an der teilweise scheinheiligen Art der Debatte liegen. Anstatt die Opfer zu betrauern, durchaus auch mit eine Fokus auf die Opfer der eigenen Nation, müssen die Taten immer relativiert werden. Je näher sie liegen, desto schwerer wiegen sie. Und so sprechen deutsche Medien unter anderem davon, dass der dieswöchige Terroranschlag in Istanbul der folgenreichste für das Land sein werde – obwohl frühere Anschläge im vergangenen Jahr unter anderem den bürgerkriegsähnlichen Konflikt mit den Kurden wieder aufleben ließen bzw. in den 00er Jahren deutlich mehr Opfer forderten. Das Grund für die schweren Folgen: Nun würden die Touristen wegbleiben. Impliziert heißt das: Nur mit deutschem (bzw. europäischen) Geld (und deren „reicher“ Anwesenheit) könnte die Türkei gedeihen. Bei dieser selbstsicheren (oder etwa arroganten?) Position ist es klar, dass ein Blick auf Ursachen und Wurzeln des Terrorismus und somit möglichen Antworten auf das (uns direkt betreffende) Problem verstellt sind.
Terrorismus, Türkei, Scheinheiligkeit, Medien, Debattenkultur
Übergriffe in Köln: Die Neujahrsübergriffe in Köln werden weiterhin stark diskutiert. Politische Opportunisten nutzen die Situation vor allem aus, um die Kritik der Kanzlerin zu kritisieren. Vor allem sollen die Gesetze verschärft werden: Das Sexualstrafrecht, das Asylrecht und was einem halt noch so einfällt. Diese Lösungen sind scheinheilig und gefährlich (Aussetzung der Unschuldsvermutung für Asylbewerber, s. unten). Als Heiko Maas die Gesetze Anfang vergangenen Jahres verschärfen wollte, schrieen genau die besonders laut, die jetzt dafür sind und hoffen, Flüchtlinge schneller ausweisen zu können. Stattdessen müsste man sich für die Stärkung der Polizei, besser ausgestattete Migrationsbehörden und bessere Integration einsetzen. Aber das hört sich im Fernsehen nicht so schön entrüstet an und kollidiert halt auch gerne mit früherer konservativer Innenpolitik. Dadurch verspielen ausgerechnet die konservativen politischen Kräfte in Deutschland das Vertrauen, die noch besorgte Mitbürger von dem AfD-Wahlgang abhalten können – denn wenn man sich zwischen heißer, rechts-populistischer Regierungsluft und heißer, rechts-populistischer Oppositionsluft entscheiden muss, ist letztere deutlich im Vorteil.
Köln, Flüchtlingspolitik, Scheinheiligkeit, Rechtsstaatlichkeit, Sexualstrafrecht, Heiko Maas
EU prüft Rechtsstaatlichkeit in Polen: Die EU Kommission hat in dieser Woche ein Verfahren begonnen, dass die Rechtsstaatlichkeit Polens prüfen soll. Es ist kein Wunder, dass angesichts der rasanten institutionellen Veränderungen, die klar das Ziel verfolgen sowohl die Judikative (3. Gewalt) als auch die Medien (4. Gewalt) der Regierungsmehrheit (Exekutive und Legislative als 1. und 2. Gewalt) zu unterwerfen und damit kritische Stimmen mundtot zu machen, bzw. damit die Verfassung ausdehnen zu können, eine Reaktion folgen musst. Der deutsche Kommissar Oettinger (CDU) war die Speerspitze der Bewegung, die Sanktionen forderte. Leider wird das Verfahren wenig Konsequenzen haben: Um Sanktionen zu verhängen müssen alle (!) anderen EU-Mitglieder zustimmen und bereits Ungarn wird dies nicht tun. Es wird daher der Eindruck einer machtlosen EU entstehen, die nicht einmal eine ihrer absoluten Grundprinzipien (Rechtsstaatlichkeit) durchsetzen kann. Noch fataler wäre der Eindruck, wenn die Reformen zum Zeitpunkt der Evaluation noch gar nicht so weit umgesetzt sind, dass man ein kritisches Urteil aussprechen könnte. Dann hätte die neue polnische Regierung einen EU-Blankoscheck erhalten. Die Episode zeigt ein tragisches Dilemma auf: Keine Reaktion geht nicht, doch die Mechanismen reichen nicht aus für eine „richtige“ Reaktion. In dieser Situation bedarf es besonnenen Handelns und den stetigen Kontakt mit allen Seiten seitens der Union und der rechtsstaatlich-orientierten Regierungen. Forderungen des CDU-EU-Kommissars oder führender CDU-Vertreter, sofort eine Reaktion folgen zu lassen, können daher kontraproduktiv sein. Außenminister Steinmeier (SPD) versucht stattdessen Kritik auszusprechen und weiter mit Polen im Gespräch zu bleiben. Es bleibt zu vermuten, dass man nur gemeinsam, im Gespräch mit der polnischen konservativen Regierung und der sich formierenden Opposition, etwas erreichen kann. Denn nur wenn garantiert wird, dass die polnische Zivilgesellschaft die kommenden fünf Jahre überlebt, ohne das liberale Ansichten aus der politischen Debatte wie in Ungarn ausgeschlossen werden, besteht eine Chance dass sich dadurch ausreichend Verteidiger der Rechtsstaatlichkeit finden. Verliert allerdings noch ein weiteres Land der EU dauerhaft seine rechtsstaatliche Ordnung, steuert der Staatenverbund auf ein ernsthaftes Problem zu – ein weiterer Grund sehr sensibel in der Auseinandersetzung vorzugehen.
Polen, Rechtsstaatlichkeit, Europäische Union, Europäische Kommission, Frank-Walter Steinmeier, Günther Oettinger
Union (CDU / CSU) und Rechtsstaatlichkeit: Zumal das Rechtsstsprinzip auch in Deutschland nicht unumstritten ist. Vor einer Weile hatte ich ein Gespräch mit einem besorgten SPD-Genossen, der der Ansicht ist, dass die CDU/CSU-Parteien wenn sie dieselbe Macht wie Orbán oder die polnische PIS hätten, genau so rücksichtslos gegen eine pluralistische Gesellschaft vorgehen würden. Dieser Ansicht bin ich nicht. Nach der letzten Woche denke ich jedoch, dass die Union davon hauptsächlich absehen würden, weil die deutsche Zivilgesellschaft sie ansonsten binnen kürzester Zeit (via Landtagswahlen und einer anderen Bundesratsmehrheit) abwählen würden. Denn Aussagen prominenter CSU-Vertreter, die Unschuldsvermutung bei Flüchtlingen auszusetzen und diese ohne Prozess abzuschieben, würde Willkür Tor und Tür öffnen. Dasselbe gilt für die Forderung nach 1000 Abschiebungen am Tag von CDU-Generalsekretär Tauber. Klingt erst einmal gut. Allerdings: Wer nach Gesetzeslage abgeschoben werden muss, muss abgeschoben werden. Bei wem das nicht der Fall ist, der darf nicht abgeschoben werden. In diesen Situationen ist es dann egal, ob 2000 Flüchtlinge oder 200 Flüchtlinge am Tag abgeschoben werden müssen. Beide Aussagen zeigen, wie rasch die Unionsparteien willig sind, sich von rechtsstaatlichen Positionen zu entfernen. Das ist vor allem angesichts ihres breiten Rückhalts bedenklich: Aussagen wie diese sorgen für eine langfristige Erosion des Rechtstaatsprinzips in der deutschen Debatte. Hier müssten sich CDU- und CSU-Politiker ihrer Verantwortung bewusster werden!
Rechtsstaatlichkeit, CDU, CSU, Andreas Scheuer, Peter Tauber, politische Verantwortung
SPD-Wackelkurs: Ein zentrales Problem der derzeitigen Flüchtlingsdebatte ist, dass sie ohne nennenswerte parlamentarische Opposition abläuft – weder Grüne noch Linke haben eine konsequent andere Politik als die Bundeskanzlerin im Angebot. Vermehrt stellt sich die SPD daher die Frage, ob sie nicht die negativen Auswirkungen thematisieren müsste. Das Problem: Ideologisch (und auch beschlussmäßig) ist die Partei für eine intensive Integrationsarbeit, die auch nicht vergisst alle benachteiligten Menschen zu unterstützen. Doch in der derzeitigen Debatte ist es schwierig diese Position zu halten. Und natürlich ist es schwer, klare Positionen in einer Großen Koalition, die durch ständige Spannungen der Partner getrieben ist, zu formulieren und zu halten. Trotzdem ist das politische Schlingern der Parteiführung in diesem Themenfeld brandgefährlich. Mal sagt Sigmar Gabriel, dass die SPD die beste Unterstützerin der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik sei, dann keilt er wieder gegen ihren laxen Stil aus. Mal wird die CSU gescholten, mal Ideen der AfD aufgegriffen. Das ist nicht kohärent, das ist getrieben von jedem Ereignis und erscheint ohne Plan. Die politische Debatte im Land benötigt aber politische Mainstreamparteien, die einen klaren Ansatz haben. Die SPD wäre gut beraten, sich auf ihre Integrationskonzepte und ihre beschlossenen Forderungen zu besinnen und diese konsequent zu kommunizieren: Asylrecht ja, Missbrauch nein, Gesetzesverschärfungen nein, Strafahndung ja, Vorurteile und Stigmatisierung nein, Integration (inklusive größerer Bildungschancen für alle) ja. Es ist zum Verzweifeln, dass sich die derzeitige Führung scheinbar nicht mal die Zeit nimmt, eine stringente sozialdemokratische Position zu entwerfen, die von der Vernunft und sozialdemokratischen Überzeugung getrieben ist und nicht von Einzelepisoden. Es wäre nicht überraschend, wenn die einzige große Partei in Deutschland mit einer klaren, überzeugenden und nuancierten Position zur Flüchtlingspolitik auch von den Wählern der Republik honoriert wird.
SPD, Opposition, Große Koalition, Überzeugende Parteiarbeit, Flüchtlingspolitik, Sigmar Gabriel, SPD-Führung