Revenant Gun (von Yoon Ha Lee)
|„Revenant Gun“ ist der dritte und abschließende Teil der „Maschinen des Imperiums“-Reihe. In diesem komplizierten Universum sorgt ein veränderter Kalender, der von der Einhaltung seiner Anhänger seine Wirkungsmacht entfaltet, für eine Veränderung mathematischer Grundlagen. Eigentlich wird der Kalender von einem diktatorischen Hexarchat kontrolliert, das jede Abweichung schwer bestraft. Im Vorgänger gelang es Kel Cheris jedoch, mithilfe einer List das Hexarchat fast komplett auszuschalten und einen neuen Kalender einzusetzen. Die Hauptänderung des Kalenders liegt darin, dass das Militär des Hexarchats keinem Formationsinstinkt mehr unterliegt, also ihre moralischen Vorstellungen bei der Befolgung von Befehlen berücksichtigen können. Dadurch ist das Hexarchat in zwei Fraktionen zerfallen: Die einen wollen unter General Inesser die alte Ordnung wieder herstellen, die anderen folgen General Brezan in eine Art Demokratie. Doch bald finden beide Fraktionen heraus, dass sie den falschen Kampf austragen. Denn der Kalender wurde von einem einzelnen, mächtigen Individuum, dem einstigen Hexarchen Nirai Kujen, kreiert mit dem einzigen Ziel, sein eigenes Leben unsterblich zu machen. Und nun schickt sich Kujen an, alles dafür zu tun, um einen nach ihm ausgerichteten Kalender überall durchzusetzen. Kel Cheris hat dies früh geahnt, ist untergetaucht und auf der Suche nach einem Weg, Kujen zu töten. Kujen wiederum hat eine neue Inkarnation von General Jedao erschaffen, der hilflos dazu instrumentalisiert wird, das von ihm verachtete Kalenderwesen zu verteidigen.
„Revenant Gun“ erzählt seine Geschichte aus einer Mischung neuer und bekannter Perspektiven. Zunächst erlebt man einen Großteil der Ereignisse aus der Perspektive General Breznan. Im Vorgänger wandte er sich vom Hexarchat ab und sorgte dafür, dass Kel Cheris Plan umgesetzt werden konnte. Nun findet er sich ungewollt als Symbolfigur der Demokratie wieder und muss dafür kämpfen, dass die Bevölkerung seines Einflussgebietes nicht wieder unter den unterdrückenden Einflusses des alten Kalenders gerät. Auf der anderen Seite erfährt man das Meiste über Cheris Tun aus der Sicht eines Diener-Roboters namens Hemiola aus dem Hause Kujen. Cheris gelingt es mit ihrer Mischung aus mathematischem Geschick und Einfühlungsvermögen, den Servo von der Richtigkeit ihres Handeln zu überzeugen. Und zuletzt werden weite Teile der Handlung aus der Perspektive Jedaos geschildert, der wieder zu einem willfährigen Spielzeug Kujens degradiert wurde und darunter leidet. Der Roman bietet daher eine bekannte (Breznan), eine neugierige (Hemiola) und eine gequälte (Jedao) Perspektive auf die Ereignisse. Jeder Charakter sieht nur einen Teil der Ereignisse und doch sind alle miteinander verknüpft. Im Mittelpunkt steht daher, ob Cheris und Jedao rechtzeitig erkennen, dass sie zusammenarbeiten müssen. Das haben sie bereits einmal getan als Jedaos Geist in Cheris Körper eingesetzt wurde. Natürlich geht es weiterhin um die Grundausrichtung der Galaxis, ja sogar um ihre Zeitschreibung. Doch letztlich kämpfen hier Persönlichkeiten miteinander, die man versteht und mit denen man fühlt. Das führt letztlich zu einem konventionellen Höhepunkt, in dem sich zwei Flotten gegenüberstehen und der Ausgang der Schlacht an den Taten Einzelner hängt. Das lässt die Handlung in ihrer Tragweite kleiner erscheinen, gleichzeitig wird sie aber noch temporeicher, noch bewegender und noch berührender als der Vorgänger.
Und dann ist da noch die unglaubliche Geschichte, dass das Hexarchat gar nicht der Hauptgegner für Cheris war. Von Anfang an zielte Jedaos und damit letztlich auch Cheris tun darauf ab, Kujen das Handwerk zu legen. Der einstige Anführer der technischen Fraktion innerhalb des Hexarchats hat für sich einen Weg gefunden, die Unsterblichkeit zu erlangen. Dabei hat er jedoch einen Teil seiner Menschlichkeit abgelegt. Über eine Lebensdauer von über 900 Jahren sind ihm alle Lebensziele abhanden gekommen, das Überleben ist dadurch der reinste Selbstzweck. Diese exotischste aller Entwicklungen funktioniert nur in dem Raum, in dem der Kalender des Hexarchats Anwendung findet. Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass auch die rituellen Folterungen und Exekutionen von Häretikern dazu dienen, den Kalender und damit Kujens Leben aufrechtzuerhalten. Diese unendlichen Gräuel für das Leben eines einzelnen Mannes lassen den Leser erstaunt zurück. Doch auf diese Überraschung folgen wenige Einblicke in Kujens Denkweise. Am Ende wird er konventionell durch einen kombinierten Schachzug Jedaos und Cheris besiegt. Hier hätte man sich gewünscht, die Taten „des Bösen“ etwas besser zu verstehen. Dafür hätte man entweder Kujens Perspektive mehr Raum geben können oder aber das Finale etwas anders gestalten müssen. Natürlich bleibt es eine eindringliche Wendung, dass am Ende nicht etwas der Anführer der abgeklärten und ebenso brutalen Agentenfraktion, Shuos Mikodez, am wenigsten Werte vertritt, sondern der Anführer der Techniker sich als grausamer, sadistischer Massenmörder herausstellt. Und doch bleibt der Eindruck zurück, dass man mehr aus dieser Idee hätte man machen können.
Genau so bleibt auch die Geschichte der Roboter-Diener um Hemiola etwas unbefriedigend. Ihre Perspektive ist die spannendste und frischeste des Romans. Außerdem sind die Roboter in der Maschinerie des Imperiums unerlässlich und überall vertreten. Auf dem Höhepunkt der Handlung spielt ein Aufstand einer Roboter-Sekte eine Nebenhandlung. Und dennoch werden diese vernunftbegabten Wesen nicht richtig in die Handlung mit eingebunden. Ein Großteil scheint sich auf die Seite der Demokratie gestellt zu haben, ohne wirklich davon zu profitieren. Ihre Motive und ihre Gedanken bleiben unergründlich und lassen so eine merkwürdige Leerstelle in dem Roman zurück.
„Revenant Gun“ ist wieder so lesbar, temporeich und spannend wie der Vorgänger. Mit ihm wird die einst in Ninefox Gambit geschaffene Komplexität jedoch noch einmal um ein gutes Stück reduziert. Das tut der Handlung und dem Lesevergnügen gut. In „Revenant Gun“ hat man jedoch das Gefühl, dass hinter dem temporeichen Thriller interessante Themen wie Kujens Motivation sowie die Beweggründe der die Gesellschaft durchdringenden, oft übersehenen und gerade deswegen am Ende entscheidenden Roboter-Diener zu stiefmütterlich behandelt werden. Nichtsdestotrotz gelingt es dem Roman, die Trilogie um das brutal Hexarchat spannend und mit einer angenehmen Mischung aus abgeschlossener Handlung und offener Enden für die Handlungs- und Sympathieträger zu Ende zu bringen.