The Citadel of Weeping Pearls (von Aliette de Bodard)

Die Imperatorin des Dai Viet Imperiums bereitet sich auf einen großen Krieg vor. Eine fremde Flotte sammelt sich an den Grenzen des Reiches und sie scheint in der Lage zu sein, die intelligenten Mindships des Imperiums per Fernsteuerung zu übernehmen. Vor einigen Jahrzehnten focht die Imperatorin einen Krieg gegen ihre eigene Tochter und eigentliche Favoritin Ngoc Minh. Anstatt ihre Mutter zu bekämpfen, entschied sich Ngoc Minh mit ihrer letzten Bastion, der Citadel of Weeping Pearls zu verschwinden. Nun hofft die Imperatorin ihre Tochter wiederzufinden, um das Geheimnis des Verschwindens zu ergründen. Denn damit ließen sich die Mindships entweder vor den Feinden verbergen oder der Krieg gar gänzlich verhindern. Doch der Wissenschaftler, der mit der Suche beauftragt wurde, verschwindet selbst. Nun wird General Suu Nuoc mit der Suche nach dem Wissenschaftler und der Tochter beauftragt und bekommt dabei eine seiner Hauptverdächtigen für die potentielle Ermordung des Wissenschaftlers, die jüngste Tochter der Imperatorin, Ngoc Ha, zur Seite gestellt. Als Außenseiter der Hofgesellschaft trifft Suu Nuoc in erster Linie auf Ablehnung und ist doch entschlossen so schnell wie möglich zu handeln, um einen Krieg zu verhindern.

„The Citadel of Weeping Pearls“ besticht in erster Linie durch ihr grandioses Setting. De Bodard siedelt die Novelle in ihrem vietnamesisch beeinflussten Xuya-Universum an. Die Gesellschaft ist gleichzeitig traditionell und ausgesprochen weit fortgeschritten. Die Hochachtung für die Ahnen hat zu phantastischen technischen Errungenschaften geführt, sodass die Bewusstseine der Verstorbenen in elektronischen Medien weiterleben und ihre Nachfahren beraten. Das ist manchmal hilfreich und genau so oft äußerst beengend. Die gesamte atmosphärisch starke Gesellschaft pendelt zwischen der beengenden Stabilität der Tradition und den immer wieder auftauchenden Möglichkeiten, Dinge informell zu regeln, hin und her. In Verbindung mit den intelligenten Mindships, deren Bewusstseine zum Teil von Menschen wie Ngoc Ha geboren werden und zu diesen Menschen tatsächlich eine familiäre Beziehung haben, entwickelt de Bodard eine komplexe und faszinierende Welt.

Vor diesem Hintergrund erzählt sie zwei Geschichten. Auf der einen Seite muss sich die Imperatorin auf einen anstehenden Krieg vorbereiten. Es ist von vornherein klar, dass dies nicht die Geschichte ist, die de Bodard interessiert. Sie sorgt für Zeit- und Handlungsdruck, Nogc Minh zu finden. Außerdem bietet sie die Gelegenheit, die verschiedenen Akteure und ihre Stellung am Hof vorzustellen und durch ihre Reaktion auf den drohenden Krieg, einige Wesensmerkmale zu betonen. Im Mittelpunkt steht die Suche nach der titelgebenden Zitadelle und vor allem ihrer Anführerin Ngoc Minh. Die Motivation dafür sind Ngoc Minhs technische Errungenschaften. Tatsächlich geht es aber natürlich auch um Fehler der Vergangenheit. Illustriert wird dies von vornherein durch die Ingenieurin Diem Huong, deren Mutter auf der Zitadelle verblieben ist, während sie und der Rest der Familie als Kind von ihr geflohen ist. Seitdem forscht sie daran, die Zeit zurückzudrehen, um ihre Mutter zu verstehen. Und während die Imperatorin die Suche nach ihrer Tochter nur aufgrund des Krieges begonnen hat, sind auch bei ihr Reue, Wut und andere Gefühle angestaut. Auch Ngoc Ha ist sich ihres Verhältnisses zu ihrer verschwundenen, immer erfolgreicheren Schwester Ngoc Minh unsicher. Die Suche nach der lange verschwundenen Person wird daher im Laufe der Novelle vor allem zu einer Verarbeitung der Gefühle der Beteiligten. Dazu zählt auch das Raumschiff „The Turtle’s Golden Claw“, das von Ngoc Ha geboren wurde und vor allem zu dem verschwundenen Wissenschaftler ein enges Verhältnis hatte. Diese Beziehungsgeflechte sind komplex, die dazugehörigen Emotionen ebenso. Das gibt der Handlung in Verbindung mit dem gelungene Setting eine interessante Tiefe und baut viel Spannung auf.

Die Auflösung ist gleichzeitig so komplex wie die beschriebenen Gefühlslagen und etwas zu simpel. Alle Beteiligten müssen von verschiedenen Aspekten ihres Lebens loslassen. Das ist überzeugend dargestellt. Gleichzeitig wird das Ende viel zu schnell über die Bühne gebracht. Der Enge Raum einer Novelle steht der Handlung hierbei im Weg. Nicht nur der drohende Krieg wird am Ende nur noch als Nebensache betrachtet. Auch der eigentliche Prozess des Verschwindens bleibt in diesem ansonsten so fein und detailliert ausgearbeiteten Universum vage. Außerdem erhält jeder der vier spannenden Hauptcharaktere nur einen kleinen Moment, um sich von Tochter, Schwester oder Mutter zu verabschieden bzw. die neue Situation zu verarbeiten. Das lässt den Leser etwas enttäuscht zurück, da auch nicht ausreichend Material zum Weiterdenken geboten wird.

Die Novelle überzeugt daher über weite Teile durch das stimmungsvolle Setting, die detailliert gezeichneten Charaktere und ihre Gefühle sowie die spannende Handlung. Das Ende fällt davon aber ab und so bleibt „The Citadels of Weeping Pearls“ ein stimmungsvoller Ausflug in das Xuya-Universum, fällt aber deutlich hinter die beiden anderen (eigenständigen und sehr gelungenen) Novellen der Serie „On a Red Station, Drifting“ und „The Tea Master and the Detective“ zurück.

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