The Butcher of Anderson Station (von James S. A. Corey)

In der „Expanse“-Reihe kämpfen der Mars und die Erde um die Dominanz im Sonnensystem. Das Spiel der Supermächte wird immer mal wieder durch den Widerstand der „Belter“, der Bewohner der äußeren Planeten, Monde und Asteroiden unterbrochen. Wann immer diese sich auflehnen, sorgen die planetaren Streitkräfte des Mars und der Erde dafür, dass die Belter sich wieder auf die Ressourcengewinnung konzentrieren – gerne auch mit gewaltsamen Mitteln. Fred Johnson ist einer der wichtigsten Nebencharaktere in den ersten Romanen der „Expanse“-Reihe. Der einstige Colonel der Erdstreitkräfte trägt den Titel „Butcher of Anderson Station“. Dort schlug eine Einheit unter seiner Führung den Widerstand der Belter ungewöhnlich brutal nieder. Doch kurz danach wandte er sich von der Erde ab und ist seitdem einer der wichtigsten Generäle des bewaffneten Arms des Belter Widerstands, der Outer Planet Alliance (OPA). „The Butcher of Anderson Station“ schildert wie Fred Johnson nach der Schlacht um Anderson Station und nach seiner Beförderung von Belter Bar zu Belter Bar zieht, in der Hoffnung dort den Tod zu finden. Anstatt gewaltsam überrumpelt zu werden, sieht er sich jedoch dem OPA-Vertreter Anderson Dawes gegenüber. Dieser glaubt an die alte Belter-Weisheit, dass man niemals Ressourcen verschwenden dürfe und sieht in dem enttäuschten Kommandanten einen potentiellen Rekruten für die OPA.

„The Butcher of Anderson Station“ füllt eine Hintergrundlücke des ersten Romans der „Expanse“-Serie. Das geschieht auf geschickte Art. Fred Johnson findet sich nach einer Art indirektem Suizidversuch in einem Verhör wieder. Anderson Dawes möchte die Schlacht um Anderson Station aus Freds Perspektive verstehen. Fred wehrt alle Verhörversuche ab. Gleicheitig kann er aber nicht verhindern, dass er sich an die Vorgänge erinnert. Der Leser erlebt dadurch in Rückblenden, wie Fred unter der Annahme einer gut ausgerüsteten Widerstandsgruppe gegenüberzustehen einen Frontalangriff befiehlt, um seine eigenen Verluste gering zu halten. Erst nach dem Stürmen der Station, was vielen Zivilisten das Leben kostete, erfährt er, dass die Belter nicht nur kaum bewaffnet waren, sondern zudem längst aufgegeben hatten. Seine Kommandanten hatten ihm diesen Faktor bewusst verschiegen, sie wollten schlicht ein abschreckendes Exempel statuieren und ihn dafür als williges, befehlshöriges Werkzeug nutzen. Johnson und Dawson stehen auf entgegengesetzten Seiten in dem Konflikt. Diese Kurzgeschichte zeichnet in dem knappen Verhör aber sehr gut nach, wie sie in dem Gespräch herausfinden, dass sie dieselben Werten und vor allem dieselbe Wertachtung für menschliches Leben teilen. Johnsons Strategie in der Schlacht ist verständlich. Er fühlt sich seinen Soldaten nahe und möchte so viele von ihnen wie möglich lebendig nach Hause bringen. Dieses Verständnis hilft ihm jedoch wenig angesichts der Tatsache, dass er nicht die notwendigen Informationen hatte um die Situation richtig einzuschätzen. Dieser Vertrauensbruch und vor allem die dadurch entstandenen Verluste wiegen schwer auf Johnsons Seele und beschädigen das Verhältnis zur Erde auf Dauer.

Dawsons Perspektive wird nicht direkt beschrieben. Doch bereits im Buch ist es zumindest merkwürdig, dass die Belter einen Kommandanten, der viele von ihnen getötet hat, als Kommandanten akzeptieren. „The Butcher of Anderson Station“ verweist auf die ständige Ressourcenknappheit, die Belter in den Randgebieten verwalten müssen. Unter diesen Bedingungen verschwendet man keinerlei Ressourcen. Und insofern lässt man sich auch gerne mit einem Menschen ein, der zwar Schuld auf sich geladen hat, aber auch noch viele offene Rechnungen hat. Wenn zudem die Werte dieselben sind und menschliches Leben auch im Belt als schützenswert angesehen wird, dann steht einer Zusammenarbeit nichts im Weg. Damit gibt die Kurzgeschichte Johnsons Rolle in der OPA etwas mehr Tiefe.

Das ist aber auch die einzige Funktion, die die Kurzgeschichte enthüllt. Das Verhör ist zwar kurzweilig geschrieben, es ist aber weder besonders ereignisreich noch führt es zu einer tiefgreifenden Entwicklung. Alle Denkprozesse sind zu dem Zeitpunkt der Kurzgeschichte bereits abgeschlossen, der Verlauf der Schlacht um Anderson Station ist relativ vorhersehbar. Auch enthüllt die Geschichte keine neuen Informationen über die Ereignisse in dem Konflikt zwischen den Zentralwelten und dem Belt, sondern konzentriert sich allein auf die Motivation Fred Johnsons bei seinem Übertritt vom Erdmilitär zur OPA. „The Butcher of Anderson Station“ fügt damit in erster Linie etwas Hintergrund zu einem der bittersten, energischsten und wie für selbst ernannte Freiheitskämpfer üblich zugleich widersprüchlichsten Charaktere des ersten „Expanse“-Bandes „Leviathan Wakes„. Das ist lesenswert für große Fans der Serie. Eigentlich reichen die Handlungen des Johnsons in den regulären Bücher der Serie aber völlig aus, um sich diesen Hintergrund zu erschließen.

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