Drohnenland (von Tom Hillenbrand)

Aart van der Westhuizen ist Kommissar bei Europol. In der Zukunft ist die europäische Polizeibehörde direkt an der Aufklärung von Verbrechen im EU-Raum beteiligt. „Drohnenland“ beginnt mit dem Fund der Leiche des Europaabgeordneten Vittorio Patti. Obwohl Aart über die modenste Überwachungstechnik verfügt, gibt es keine Aufzeichnungen des Mordes. Zusammen mit seiner Kollegin Ava und unter dem Schutz seines Bosses Vogel stößt Aart auf ein Geflecht aus Intrigen im Brüsseler Europaviertel. Bald wird klar, dass der Mord direkt mit den dunkelsten Geheimnissen der Union verbunden ist und dass einflussreiche und schlagkräftige Gruppen alles daran setzen werden, Aart an der Aufklärung des Falls zu hindern.

Hillenbrands erster Krimi verwöhnt den Leser wie auch sein jüngeres Werk „Hologrammatica“ mit einem sowohl detaillierten wie faszinierenden Szenario. „Drohnenland“ spielt in einer Zukunft, in der die Europäische Union dem Ziel eines europäischen Bundesstaates deutlich näher ist als heute. Fast alle Kompetenzen der nationalen Sicherheit sind an Brüssel gewandert, dementsprechend wichtig ist die dortige Politik. Der Weg dorthin war steinig, die Welt ist im Umbruch. China zerfleischt sich selbst, die USA spielen kaum noch eine Rolle und Brasilien ist eine Supermacht. Die Union ist keineswegs eine idealistische Gemeinschaft, sondern schottet sich von der Außenwelt ab und führt ausgesprochen schnöde Kriege um Rohstoffe. Die technische Entwicklung hat sich derweil beschleunigt: Drohnen überwachen alles und so hat die Polizei eigentlich Zugang zu jedem Ort und zu jeder Zeit. Dafür sind Supercomputer notwendig, die die enorme Datenmenge verarbeiten können. All das klingt technisch und ist in dem von Hillenbrand gebotenen Detailreichtum für einen Krimi ausgesprochen komplex. Doch Hillenbrand gelingt es diese Welt im nebenbei zu erzählen. Aart und die anderen Protagonisten nutzen die futuristische Technik ganz alltäglich, die politischen Hintergründe werden im Nebenbei erwähnt. Und obwohl viele Einblicke in diese Welt von Morgen wie beiläufige Informationen wirken, bekommt bei Hillenbrand alles im Verlauf der Handlung wieder eine Bedeutung. Am Ende steht eine lebendige, komplexe und gleichzeitig anziehende wie abstoßende Welt, in der die europäische Einigung einen Albtraum geschaffen hat, der ironischerweise genau der Politikvorstellung entspricht, die rechtspopulistische Europakritiker vor sich hertragen (mit Ausnahme einer türkischstämmigen Kommissionspräsidentin, so viel Ambivalenz muss sein).

Gerade weil diese Welt so beiläufig, meist in Nebensätzen erschaffen wird und weitgehend ohne Erklärungen auskommt, entwickelt „Drohnenland“ von Beginn an ein sehr hohes Erzähltempo. Aart mekrt rascht, dass er sich in einen politischen Irrgarten verirrt. Die Ereignisse überschlagen sich von Kapitel zu Kapitel, Rivalitäten zwischen Geheimdiensten, netzbasierte Widerstandskämpfer, tragische Journalistenschicksale sowie die Hinterlassenschaft eines längst überwunden geglaubten Krieges und natürlich der Brexit vermischen sich hier zu einer explosiven, spannenden und fesselnden Mischung. Aart bleibt dabei weitgehend ein distanzierter Ermittler, selbst als sich bereits alles gegen ihn verschworen hat. Dieser Drang, die Wahrheit herauszufinden und idealerweise auch noch mit dem Leben davon zu kommen, ist schlicht, für den Krimi aber ausgesprochen effektiv. Während der Roman zeigt, welches Ausmaß´Überwachung annehmen kann, so zeigt Hillenbrands Finale höchstspannend, an wie vielen Stellen solch ein Regime einfach missbraucht werden kann. Dies führt zu einem ambivalenten Ende: Die Technologie für alle Grausamkeiten bleibt bestehen, doch die Hoffnung, dass Individuen sich gegen den Missbrauch zur Wehr setzen können, bleibt erhalten. Das rundet die fantasieanregende, spannende und gesellschaftskritische Mischung „Drohnenlands“ sehr überzeugend ab.

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