So enden wir (von Daniel Galera)

Aurora, Antero und Emiliano kommen am Grab ihres Freundes Andrei Dukelsky zum ersten Mal seit vielen Jahren in Porto Alegre wieder zusammen. Zu viert gaben sie einst ein visionäres Online-Magazin heraus. Dukelsky war der talentierteste von ihnen, hat als einziger eine erfolgreiche Schriftstellerkarriere eingeschlagen. Aurora wiederum kämpft mit einem Studium gegen die chauvinistischen Beharrungskräfte in der Biologie an, Antero führt geschäftlich erfolgreich aber privat ruhelos eine Werbefirma und Emiliano schlägt sich als Gelegenheitsjournalist durch. Die Enddreißiger sind über das jähe Ende Dukelkys – er wurde auf offener Straße erschossen – schockiert. Angesichts vieler enttäuschter Erwartungen seit ihrem gemeinsamen Studium, erkennen sie ihre Zerrissenheit zwischen Einsamkeit, vergessener Ideale und unbefriedigten Sehnsüchten.

Galeras knapper Roman entwickelt schnell eine ungeahnte Eindringlichkeit. Die Handlung beginnt zunächst ruhig: Porto Alegre wird gleichzeitig von einer Hitze- und einer Streikwelle heimgesucht. Die Biologin Aurora kehrt für die Beerdigung in ihre Heimatstadt zurück, kehrt bei ihren Eltern ein. Da sie sich gegen Übergriffe gewehrt hat, übte ein Professor bei der Verteidigung ihres Promotionsprojekts Rache, ließ sie durchfallen. Dieser Einstieg ist klug gewählt: Mit dem Heimkommen in das gemächliche und gleichzeitig (aufgrund des Mordes) gefährlich erscheinende Porto Alegre, skizziert Galera eine wunderbare Kulisse. Die drei Überlebenden sind der nie zur Ruhe kommenden Zivilisation, deren Puls sie als Pioniere des Online-Journalismus einst erhöht haben, mittlerweile überdrüssig. Gleichzeitig haben sie alle auf die ein oder andere Art Existenzängste. Die einstigen Hoffnungen, die Welt zu einem besseren, ehrlicheren Ort zu machen, haben sich nicht erfüllt. Aurora zum Beispiel hofft zwar noch immer, mithilfe ihrer Dissertation Ernährungsprobleme lösen zu können. Doch macht sie auch die Erfahrung, dass here Ziele und Intelligenz in der Wissenschaft allein zum Erfolg nicht ausreichen.

Aurora erhält in dem Roman drei, Emiliano zwei und Antero ein Kapitel. Das reicht für den grandiosen Charakterautor Galera, um die drei Freunde mit ihren Sehnsüchten, Lebensumständen und Schwächen zum Leben zu erwecken. Sie alle sind zerrissen zwischen dem, was sie erreicht haben, und dem, was sie sich von ihrem Leben erwartet haben. Dabei haben alle auf die ein oder andere Art ihren Antrieb verloren. Dennoch wahren sie alle den Schein und geben sich auch gegenüber ihren Freunden keine Blöße.

Aurora sieht in der immer komplizierter und unübersichtlicher werdenden Welt die ersten Anzeichen für den Weltuntergang. Antero lebt von den dreien zwar am reichsten, ist aber emotional verloren. Emiliano kann sich weder mit seinen journalistischen Arbeiten noch mit seinen ständig wechselnden Partnern identifizieren. Dennoch setzen die drei alles daran, auf ihrem eingeschlagenen Weg weiterzufahren – oder können sie sich eine Alternative bloß nicht mehr vorstellen?

Ab dem Moment, an dem Emiliano den Auftrag annimmt, über den gemeinsamen Freund Andrei eine Biographie zu verfassen, erwartet man, der Roman steuere auf ein (gar dunkles) Geheimnis des Schriftsteller zu. Ganz so kommt es nicht. Dennoch steht jeder der drei nach dem Tod Andreis vor einem möglichen Scheideweg. Galera geht dabei ausgesprochen kluge vor. Der Leser kann sich auf die ein oder andere Art mit allen drei Figuren identifizieren, versteht warum sie an sich selbst scheitern. Dann darf er jede von ihnen bis zu einem möglicherweise einschneidenden Erlebnis begleiten. Welchen Weg die drei nicht mehr ganz so jungen Freunde am Ende einschlagen, bleibt der Phantasie überlassen. Auf diese Art stellt Galera die Frage, wie der Leser mit der Situation angesichts der komplexen Mischungen aus verschiedenen materiellen und emotionalen Sehnsüchten umgehen würde, in den Mittelpunkt. Der Roman zeigt, auf welch unterschiedlichen Karrierewegen junge, lebenslustige Menschen unglücklich werden können. Die vielen Gedanken, die das offene Ende hinterlässt, verdeutlichen wiederum, dass es immer Alternativen gibt.

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