Control (von David Mack)

Spoiler-Warnung: “Control” ist das vorläufige Ende des “Sektion 31”-Handlungsbogen aus der Feder David Macks. Das Ende hat enorme Auswirkungen auf das komplette „Star Trek“-Buchuniversum. Diese Rezension enthält stärkere Spoiler als üblich.

Inhalt: Die Journalistin Ozla Graniv stößt an der TU Dresden auf ein abenteuerliches Computerprogramm mit dem Namen Uraei. Dieses Programm operiert auf allen Computern der Föderation und scheinbar mittlerweile auch den meisten Geräten anderer Machtblöcke im Alpha- und Beta-Quadranten. Ozla Graniv erkennt die Ausmaße des Programms und sucht Julian Bashir und seine Freundin Sarina Douglas auf. Die beiden stellen rasch die Verbindung zwischen Uraei und der Sektion 31 her, scheinbar gelang es der Sektion mithilfe dieses Programms immer einen Schritt vor allen Gegnern der Föderation und der Föderation selbst zu sein.

Durch die Entdeckung befinden sich alle drei umgehend in Lebensgefahr, wie sich durch die Morde an Granivs Informanten schnell zeigt. Gemeinsam suchen die drei Data auf, den einzigen Vertrauten, der den komplexen Code des Programms entschlüsseln kann. Doch anstatt die Möglichkeit eines Gegenprogramms zu entdecken, macht Data Uraei und damit die Sektion auf die Entdeckung des Codes aufmerksam. Bevor eine atemlose Hetzjagd durch den Quadranten beginnt, kann Data dem Programm noch eine Erkenntnis entlocken: Uraei ist keineswegs ein Werkzeug der Sektion, sondern steckt direkt hinter dem ominösen Führer der Sektion, der unter dem Namen „Control“ operiert.

Kritik: „Control“ ist ein atemloses und enorm spannendes Werk. Hier verdichtet sich die „Sektion 31“-Handlung, die seit dem Beginn des „Deep Space Nine“-Relaunches vor über 15 Jahren immer wieder thematisiert und angedeutet wurde. Die Verschwörung hinter der Geheimorganisation ist weitaus größer als gedacht, ihre Kontrolle nahezu absolut. Für den Leser des Romans bedeutet das durchgehende Unterhaltung, viel Spannung und für Julian Bashir viel Drama. Und dennoch ist „Control“ eine ambivalente Leseerfahrung. Denn so radikal wie Mack hier vorgeht, ist „Control“ nicht nur ein ungewöhnlich (guter) „Star Trek“-Roman, es ist durch eine radikale Re-Interpretation auch das Ende von „Star Trek“ wie wir es kennen.

An der TU Dresden beginnt der Roman zunächst unscheinbar. Durch den Titel des Romans („Sektion 31: Control“) kann man sich bereits denken, dass Uraei wohl der Sektion zuarbeitet. Bashir, Douglas und Graniv werden umgehend durch die halbe Galaxis gejagt. Tatsächlich ist das Ausmaß des Programms unvorstellbar. Mit Datas Hilfe erfährt man, dass Uraei hinter der Führung der Sektion 31 steht. Uraei ist Control. In dem es in jeder Subroutine der Föderation sowie ihrer Verbündeten (und einiger Feinde) versteckt ist, hat Uraei geradezu allumfassende Kontrolle über den Alpha-Quadranten und ist in der Lage fast jede Entwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit vorauszuberechnen.

Macks größter Verdienst liegt darin, sich nicht mit einem „billigen“ Kniff aus der Handlung herauszuschreiben. Uraei kann von Bashir und seinen Begleitern nur unter hohen Verlusten aufgehalten werden. Das Team muss gleichzeitig die Präsidentin der Föderation warnen sowie Backups an mehreren Orten vernichten. Doch damit nicht genug: Eine so mächtige Superintelligenz auf diese Art zu schlagen, wäre zu einfach. Mack hinterlässt dem Leser einen zweideutigen Epilog. „Control“ hat Bashir lediglich als Instrument genutzt, um sich von den Subroutinen der Föderation zu lösen. Es existiert weiter, als viel unscheinbarer Code, der sich nun über den gesamten Quadranten und bald die gesamte Galaxis erstreckt. Es scheint als habe Control die Sektion 31 der Föderationsjustiz überlassen, weil die Zukunft „gesichert“ sei. Tatsächlich ist dies aber keine wirklich Niederlage: Vermutlich könnte Control jederzeit wieder aktiv werden. Und diesmal könnte es zum Wohle des Quadranten, der Galaxis oder irgendetwas anderes sein – potentiell gegen die Föderation gerichtet.

Bis zur letzten Seite bleibt „Control“ daher ein düsterer Roman. Das hat vor allem für Bashir Konsequenzen. Er verliert viel auf der Verfolgungsjagd durch Control. Das liegt vor allem daran, dass er auf seine Freunde und Geliebten angewiesen ist, um überhaupt eine Chance zu haben. Damit bringt er alle jedoch auch in große Gefahr. Mack bleibt auch in diesem Handlungsstrang konsequent: Für Bashir, der immer tiefer ins Spionagegeschäft abgedriftet ist, gibt es keine Erlösung am Ende des Romans.

Die Protagonisten wissen freilich nicht, dass ihr Sieg über Uraei nicht komplett ist. Dennoch steht nicht nur Bashir als Verlierer da. Die Enthüllung der Sektion 31 ist eine Niederlage für alle. Es stellt sich raus, dass das Programm bereits 2140 entwickelt wurde – lange bevor die erste Enterprise das Raumdock verlassen hat. Seitdem arbeitete es kompromisslos daran, die Zukunft der Erde in einer geeinten Föderation zu sichern. Nur wenige Ereignisse – wie z.B. die Xindi-Krise – konnten dabei nicht völlig vorausgesehen werden. Andere Katastrophen – wie z.B. die Borg-Invasion in Destiny – wurden willig in Kauf genommen. Darüber hinaus griff das Programm ungehemmt in die Ereignisse anderer Völker ein und garantierte so seinen Routinen folgend das Überleben der Föderation. Für die Sternenflotte und die Föderation ist die Enthüllung dieses Programms sowie all seiner Taten ein enormer Rückschlag. Hier wird deine Doppelmoral offensichtlich, die niemand vorausgesehen hat, die die Allianz mit den Kithomer-Mächten bedroht und dem Typhon Pact in die Hände spielt.

Gleichzeitig legt „Control“ aber auch einen Schatten über alle bisher veröffentlichten „Star Trek“-Erzählungen. Die Ideale der Föderation standen immer im Widerspruch zu einzelnen Aspekten der Realität. Mit „Control“ erwachsen jedoch ernste Zweifel, ob ein auf pazifistischen und humanistischen Werten gegründetes Konstrukt wie die Föderation überhaupt ohne „Control“/Uraei hätte überleben können. In den meisten Auseinandersetzungen in allen TV-Serien war „Control“ dabei – wenn auch nicht immer in der Form der Sektion 31. Wer waren also die geschichtsträchtigen Akteure in der „Star Trek“-Historie? Sind es tatsächlich die Sternenflottenoffiziere, mit denen wir Zuschauer uns identifiziert haben oder lag die Handlungsmacht nicht immer bei „Control“? Denn in dieser Verson der „Star Trek“-Geschichte verfügt kein Individuum über Handlungsfreiheit. Jedes einzelne Wesen handelt im Sinne oder auf Berechnungen „Controls“ und wird dementsprechend von dem Programm manipuliert. Macks Roman hinterlässt unangenehme Fragen und wirft einen dunklen, totalitären Schatten auf viele Aspekte Rodenberrys Vision.

An diesem Punkt muss man sich daran erinnern, dass die „Star Trek“-Romane kein Teil des offiziellen Kanons sind. Die Auswirkungen von „Control“ belaufen sich lediglich auf die anderen Romanserien. Hier wird es interessant, wie die Föderation sich aus diesem Propaganda-Desaster herauszieht. Und in den etwas raueren Ton der erneuten Auseinandersetzung zwischen der Föderation und feindlicher Allianzen in Form des Typhon Pacts passt Macks Erzählung durchaus. Außerdem lässt der Roman den Leser mit der impliziten Frage zurück, ob ein Unternehmen wie die auf Integration und Argumentation basierende Föderation ohne ein Backup-Programm überhaupt eine Chance gehabt hätte. Dies ist in Verbindung mit dem spannenden Roman ein anregender Gedankenanstoß – der aufgrund der recht realistischen, immer wieder Sektion 31 mit einbauenden „Rise of the Federation„-Serie zunehmend mit Nein beantwortet wird.

Fazit: „Control“ löst gleichzeitig zwei konträre Meinungen aus. Auf der einen Seite ist der Roman grandios konstruiert, spannend geschrieben und fügt viele Einzelteile der Sektion 31-Handlung gekonnt zusammen (5 Sterne). Auf der anderen Seite stellt er vieles wofür „Star Trek“ steht in ein Licht, dass die Werte der Föderation normativ zwar nicht in Frage stellt, die Möglichkeit ihrer praktischen Umsetzung ohne ein totalitäres, alle Individuen ihrer Entscheidungsfreiheit beraubendes Backup jedoch komplett verneint. Dies wirkt wie Verrat an der Vision der Serie (0 Sterne). Dies zeigt, dass Mack hier einmal mehr einen mutigen und brutalen Schritt wagt, dessen Lektüre sich nicht nur wegen der Spannenden Handlung sondern gerade wegen dieses Zwiespalts und den dadurch ausgelösten Fragen lohnt.

(Trekzone-)Bewertung: 5/5 Punkten

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