Trauerfall (ARD-Radiotatort)

„Trauerfall“ setzt die Handlung des vorherigen Radiotatorts „Personenschaden“ nahtlos fort. In Bremen brachte sich der Bruder eines Kunsträubers um, indem er vor einen Zug sprang. Kommissarin Evernich glaubt nicht an einen Selbstmord: Sie vermutet ein Verbrechen, immerhin wurde das Opfer kurz zuvor noch von einem privaten Sicherheitsdienst gejagt. Sie glaubt daran, dass sich hinter der Geschichte ein Konflikt innerhalb der Kunstmafia steht. Doch zunächst ist sie selbst beschäftigt: Auf ihren Wunsch hin ist ihre Mutter zu einem potenziellen Alterssitz in St. Peter Ording gereist. Aufgrund eines anonymen Hinweises muss Evernich jedoch vermuten, dass ihre sich einsam fühlende Mutter Suizidgedanken hegt.

Evernichs Mutter Margot ist die vielleicht größte Nervensäge unter den aktuell aktiven Ermittlerteams. Die alte Dame mischt sich immer in die Ermittlungen ihrer Tochter ein. In der Regel hat sie irgendeine Form von Vorahnung, die sie entweder Staatsanwalt Gröninger (der eher bereit ist, ihr zu glauben) oder ihrer Tochter mitteilt. „Natürlich“ sind diese übernatürlichen Vermutungen häufig wahr und müssen auf irgendeine Art nur noch bewiesen werden. Das nimmt den Bremer Krimis seit einiger Zeit viel Handlungspotenzial, da sich alles um die alte Dame dreht. In „Trauerfall“ wird Margot Evernich nun als bemitleidenswerte, einsame alte Dame dargestellt.

Auch in den vorherigen Episoden wurde immer deutlich, dass Margot Evernich sich mehr Zeit mit ihrer Tochter wünschen würde. Das war aber immer weit von irgendwelchen Selbstmordtendenzen entfernt. „Trauerfall“ baut darauf auf und lässt den Zuhörer 50 Minuten lang wundern, ob Margot Evernich tatsächlich begeisterte Kaltschwimmerin ist oder ob sie nicht doch darauf hofft, von ihren Nordseeschwimmgängen nicht mehr zurückzukehren. Obwohl Margot Evernichs Dialoge weiterhin nicht besonders stark sind, funktioniert dieser Handlungsstrang überraschend gut.

Genau so gelungen ist die ungewöhnliche Tatsache, dass der Kunstraub und Mord völlig im Hintergrund stehen. Aufgrund einer Erkrankung muss Kommissarin Evernich erst einmal kürzer treten und wird von dem Fall abgezogen. Sie hat daraufhin nichts zu tun und beginnt, sich um ihre Mutter zu sorgen. Dabei unterhält sie sich nur noch nebenbei mit Gröninger über den Fall. Dies wird genutzt, um einmal mehr zu verdeutlichen, dass Evernich über eine sehr gute Intuition und Ermittlungsfähigkeiten verfügt. Da sie ihre Erkenntnisse ohne aktive Ermittlungstätigkeit erreicht, gleicht sie damit ironischerweise ihrer Mutter.

Die Auflösung des Familienfalles – Kommissarin Evernich vermutet ihre Mutter würde von einem Kurschatten in den Selbstmord getrieben – ist sehr gelungen: Es stellt sich heraus, dass Evernich ihre Intuition völlig verliert, sobald sie beginnt, sich mit familiären Themen auseinanderzusetzen. Nach einer peinlichen Situation entscheidet sie sich angesichts ihrer eigenen Erkrankung, tatsächlich erst einmal eine Pause einzulegen. Der Kunstfall wird im Hintergrund – ganz so wie Evernich es vermutet hat – aufgelöst und die Doppelfolge stellt sich damit endgültig eher als Charakterstudie der Kommissarin als ihrer Mutter heraus. Das ist sehr gelungen und mit der anstehenden Auszeit Evernichs könnte man gar darauf hoffen, dass ein streckenweise durchschnittliches Kapitel des Bremer Tatorts hier einen sehr gelungenen Abschluss findet.

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