Die fremde Königin (von Rebecca Gablé)

Königin Adelheid ist seit dem Tod ihres Gattens die Königin Italiens. Das macht sie zu einer begehrten Partie. Berengar, Markgraf von Ivrea, setzt die junge Frau daher 951 in Garda fest. Im Auftrag König Ottos befreit der junge Bastard Gaidemar die Königin. Auf der Flucht verliebt er sich in sie, nur um kurz darauf mitzuerleben, wie Adelheid aus politischen Gründen König Otto heiratet. Dieser herrscht damit sowohl über die deutschen Fürstentümer als auch über Italien. Gaidemar verspricht Adelheid Loyalität und stellt sich in Ottos Dienst. In den kommenden Jahrzehnten hilft er Otto dabei, seinen Anspruch auf Herrschaft durchzusetzen und erfährt dabei mehr über seine Herkunft.

Gablés historische Romane über die englische Geschichte konzentrieren sich in der Regel auf eine Regentschaft und legen den Schwerpunkt auf ein prägendes Ereignis in dieser Zeit. „Die fremde Königin“ ist bereits der zweite Roman, der während der Regentschaft Ottos spielt. Das hat eine Reihe von Vorteilen. In erster Linie hilft es dem Roman, dass eine Reihe von Charakteren bereits aus dem Vorgänger bekannt sind. Andererseits leidet der Roman darunter, dass er keinen wirklichen Fokus beziehungsweise Höhepunkt hat und dass viele Motive bereits bekannt sind.

Gablés Romane bestehen in der Regel aus zwei Spannungsquellen. Auf der einen Seite gibt es einen Helden, der im Zentrum der Handlung steht und der mit einer Reihe von Entscheidungen konfrontiert wird, die sein Leben prägen. Auf der anderen Seite gibt es Konflikte zwischen Adligen, die im Laufe des Romans in gewalttätige Auseinandersetzungen gipfeln. „Die fremde Königin“ hat beide Elemente, spielt sie jedoch nicht so clever aus, wie manche Vorgänger aus Gablés Feder.

Zunächst einmal bestehen die Konflikte, denen sich König Otto ausgesetzt sieht, wieder einmal aus Intrigen an seinem eigenen Hof. Hatte er in Das Haupt der Welt vor allem Probleme mit seinen (Halb-)Brüdern, so hat er nun Probleme mit seinen Söhnen, die sich alles andere als gerecht behandelt fühlen. Außerdem hat er sich mit seiner Hochzeit Berengar zum Feind gemacht und muss ständig um die Vorherrschaft Italiens kämpfen. Zu guter Letzt sind zwar die Slawen befriedet, die Ungarn schicken sich jedoch an, die deutschen Landen zu überrennen. Auch dagegen muss Otto vorgehen. All diese Konflikte sorgen für ein hohes Maß an Spannung. Sie verhindern jedoch, dass der Roman auf einen klaren Höhepunkt zusteuert. Das hätten die Schlacht auf dem Lechfeld gegen die Ungarn oder ein Konflikt in Italien sein können. Stattdessen wirkt die Erzählung wie eine nicht enden wollende Aneinanderreihung aufreibender Auseinandersetzungen.

Gaidemar ist in vieler Hinsicht ein typischer „Gablé“-Held. Er ist von Herzens gut, hat ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und bemüht sich in erster Linie um die Anerkennung der „richtigen“, sprich guten, Protagonisten. Natürlich ist der Leser nicht besonders überrascht, als sich herausstellt, dass Gaidemar ein illegitimer Teil der Königsfamilie ist. Und auch hier wiederholen sich viele Motive aus dem Vorgänger Das Haupt der Welt. Gaidemar bringt jedoch zwei neue Aspekte in das Repertoire der „Gablé“-Helden. Erstens ist er teilweise unnötig brutal. Gaidemar führt in einer Situation eine Exekution durch bevor er darum gebeten wird. Eine Amme, die einen Fehler gemacht hat, lässt er umgehend sein Schwert spüren. Diese Brutalität ist überraschend und passt nicht zu dem eigentlich abwägenden Charakter. Zweitens ist er deutlich unsensibler als andere Protagonisten aus Gablés Romanen. Während in früheren Romanen die Liebesgeschichte recht rasch deutlich wurde und die Probleme eher in Zusammenhang mit Standesdünkeln und Kriegen standen, schafft sich Gaidemar seine Probleme selbst. Dabei verletzt er gleich zwei Frauen und zwar geradezu willentlich.

Es ist gewollt, dass Gaidemar düsterer als andere Protagonisten aus Gablés Romanen wirkt und Ottos Leben aufreibender als das anderer Könige. Gablé geht im Nachwort darauf ein, dass sie einer möglichen deutschnationalen Heldenverehrung vorbeugen möchte. Und die Sisyphusarbeit, die die deutsche Krone mit sich bringt, entspricht vermutlich der historischen Realität. Es ist somit wieder einmal ein Verdienst Gablés, Aufmerksamkeit auf oft übersehene Aspekte der Geschichte zu lenken. Doch Gablé flankiert diese beiden Elemente nicht mit einem düsteren Schreibstil. Der Großteil der Handlung ist weiterhin im optimistischen, schnellen und skizzenhaften Schreibstil der Autorin verfasst. Trotz der Möglichkeit Gaidemar vielschichtiger, als zerrissenen Mann darzustellen, bleibt er doch der typisch, gute und ehrenhafte Held. Und trotz all seiner Schwächen liegen alle Sympathien bei Otto und weniger bei seinen Widersachern.

Das liest sich wie immer sehr spannend. Wie alle Vorgänger ist „Die fremde Königin“ packend und trotz des hohen Umfangs innerhalb weniger Tage durchgelesen. Die ständigen Ortswechsel bedingt durch die vielen Konflikte erhöhen das Erzähltempo sogar noch. Auch die Tatsache, dass Gaidemars Position als Bastard ihn nicht nur mit der eigenen Ziehfamilie, sondern mit so ziemlich allen Hoftmitgliedern in Konflikt kommen lässt, sorgt für viele spannende Momente. „Die fremde Königin“ gibt an einigen Stellen jedoch den Eindruck, dass das erzählerische Potenzial der dramatischen Geschichte nicht ausgenutzt wird. Gaidemar entscheidet sich im Zweifelsfall immer für die richtige Seite, obwohl er in dunklen Momenten in seiner Wut einer Amme schlicht den Kopf abschlägt. Der gelungene Roman wäre noch ein Stück überzeugender, wenn er synchron auf einen geschichtlichen und einen persönlichen Höhepunkt zusteuern würde, an dem Gaidemar mit all seinen unterschiedlichen Sehnsüchten vor einer zentralen, persönlichen und letztlich kriegsentscheidenden Entscheidung stünde.

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