Das Haupt der Welt (von Rebecca Gablé)

das_haupt_der_weltDer slawische Fürstensohn Tugomir wird im Jahr 929 von dem Sachsenkönig Heinrich I. als Geisel von der Brandenburg entführt. Durch seinen Aufenthalt am sächsischen Hof soll er dafür sorgen, dass seine Heveller den Frieden halten und ihren Tribut zahlen. Aufgrund seiner exzellenten Heilerfähigkeiten rettet Tugomir kurz darauf dem sächsischen Prinzen Otto das Leben. In den Jahren nach Ottos Krönung zum König entwickelt sich das schwierige Verhältnis zwischen Tugomir und Otto, immer zwischen Freundschaft und Feindschaft schwankend, weiter und wird zunehmend wichtig für das Schicksal ihrer beider Völker.

Rebecca Gablé hat meisterhafte Romane über das englische Mittelalter und sogar über die Zeit danach geschrieben. Neben ihrer bekannten Warringham-Trilogie, schrieb sie einige Einzelromane und zuletzt sogar eine Fortsetzung der Waringham-Geschichte.So faszinierend es in ihrem letzten Roman „Der dunkle Thron“ auch war zu erleben, wie die strukturierte Gesellschaft des Mittelalters sich langsam auflöste, so deutlich wurde an dem veränderten Stil des Romans auch, dass die Geschichte in England zu Ende erzählt war. Nun hätte man entweder die Entwicklung in den darauf folgenden Jahrhunderten abdecken können oder aber den Ort wechseln müssen. Gablé entschied sich für die zweite Option.

„Das Haupt der Welt“ spielt im heutigen Deutschland. Von so einem Konstrukt denkt jedoch niemand. Heinrich der Ostfränkische König regiert nicht einmal über sein ganzes Reich. Er ist zwar Herrscher im Reich, Fürst aber nur in Sachsen. Andere Gegenden wie zum Beispiel Franken oder Bayern werden von anderen Fürsten regiert. Sie sind Sachsen tributpflichtig, Heinrich und später Otto riskieren aber schwere Konflikte, wenn sie sich in deren Regierungsgeschäfte einmischen. Gleichzeitig steht das gesamte Reich, mit Sachsen als Ostgrenze immer unter Druck. Aus den permanenten Konflikten mit den Slawen gehen die Sachsen eigentlich immer als Sieger hervor, ihre Nemesis sind jedoch die Ungarn, die regelmäßig das Ostfränkische Reich plündern.

Auf der slawischen Seite ist die Situation noch verworrener. Die Slawen haben sich nie zu einem großen Reich vereint. So gibt es keine Intrigen und Streitigkeiten unter den Fürsten, sondern offene Konflikte zwischen den einzelnen Stämmen. Aus diesem Grund haben die Slawen den Sachsen nichts entgegenzusetzen, sondern werden Stamm für Stamm, Burg für Burg erobert. Auf diese Weise verliert auch Tugomir seine Heimat.

Das Setting ist somit verständlicherweise deutlich brutaler als das doch beschauliche England, in dem sich verschiedene Fürsten zwar immer mal wieder bekriegt haben und es auch zu schweren Konflikten kam, das aber immerhin so etwas wie eine Autorität in Form des Königs kannte. Der Ton in Gablés neuestem Werk passt sich dieser Situation weitestgehend an. Der Anteil an sadistisch veranlagten Männern im Gefolge von Heinrich und Otto ist auch in diesem Teil wieder hoch.

Neu ist aber, dass der Hauptcharakter Tugomir alles andere als ein lieber Mensch ist. Das Otto einige Fehler macht, ist kein Wunder. Er befindet sich in einer mächtigen Position und Gablé hat ihre Könige schon immer als sympathisch mit einem Hang zu fehlerhaften bis fatalen Entscheidungen skizziert. Ihre Hauptpersonen waren aber meist gut, betrogen ihre Frau nicht und töteten auch nur, wenn es absolut notwendig ist. Tugomir ist auch „gut“, in dem Sinne, dass er sich für seine Leute in der Gefangenschaft einsetzt. Das legt er aber auch mal so aus, dass er Sachsen, die sich an slawischen Gefangenen vergehen auf grausame Art und Weise umbringt. Selbstjustiz ist für ihn ein ganz legitimes Mittel. Da das gegen unser heutiges Rechtsverständnis verstößt, ist es nicht mehr so leicht wie in früheren Romanen, Sympathien für den „Held“ der Geschichte aufzubauen. Gleichzeitig wirkt die Erzählung dadurch um so realistischer, denn Gablés „gute“ Figuren wirkten manchmal sehr fiktional.

„Das Haupt der Welt“ brilliert neben diesem Realismus aber vor allem in zwei Punkten. Erstens, entführt es den Leser in einen spannenden und in gesellschaftlichen Geschichtsdiskursen völlig unbekannten Teil der deutschen Geschichte. Zweitens, präsentiert Gablé wieder einmal eine Handlung, die ohne einen großartigen Höhepunkt am Ende, dafür aber mit endlosen, immer spannender werdenden Höhepunkten über die kompletten 900 Seiten aufwartet. Die vielen Rebellionen sind genau so spannend, wie Tugomirs Mission ins eine Heimat am Ende des Buches. Gablé gelingt es wieder einmal das Verhältnis der Figuren untereinander perfekt zu beschreiben und damit die Geschichte mit einer unglaublichen Dynamik zu erfüllen, die jeden Rebellionsversuch gegen Otto wieder interessant, spannend und meist auch tragisch wirken lässt.

Auf diese Weise unterhält auch Gablés Ausflug in die ostfränkische Geschichte ausgezeichnet, fesselt von Anfang bis Ende und lehrt den Leser unauffällig über einen unbekannten Abschnitt deutscher Geschichte.

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