Helden der Rückblende – Ein Rückblick auf „Das Marsprojekt“
|„Das Marsprojekt“ ist ein sechs-teiliges Spin-Off der Ebook-Serie „Heliosphere 2265“. In unregelmäßigem Abstand erschienen von September 2015 bis Juni 2016 kurze Episoden, die das Schicksal des Raumschiffs Jayden Cross und ihrer Besatzung unter Captain Kirby erzählen. Nach einem Unfall des Antriebs findet sich das Schiff der Solaren Republik auf einmal im Sonnensystem wider. Doch dort trifft die Besatzung nicht auf den gefürchteten Imperator Sjöberg, sondern auf einen Mars, der noch von dem Diktator Freeman unterjocht ist und eine Erdbevölkerung, die von Naniten dezimiert wurde. Sie befinden sich also entweder in einer alternativen Realität oder aber einem dunklen Duplikat des Sonnensystems. In den sechs Folgen retten Kirby und ihre Crew erst einmal sich selbst, enttarnen einen Verräter in den eigenen Reihen, erfahren, dass die Nanopartikel eine wild gewordene Waffe der Erdbevölkerung gegen die Marsianer war, retten die Erde, erfahren, dass das Sonnensystem von Schicksalswächtern tatsächlich dupliziert und vor der Außenwelt abgeschirmt wurde, versuchen den Verräter an Bord an einem wahnsinnigen Plan zu hindern und vereiteln am Ende die Übernahme unserer Galaxis durch merkwürdige Wesen, die hinter der langen Herrschaft Freemans stecken.
Abdriften ins Absurde – ein rätselhaftes Spin-Off ohne Erklärungen
Dieser kurze Handlungsabriss dürfte relativ verwirrend erscheinen. Tatsächlich ist auch die Handlung des „Marsprojekts“ alles andere als klar, offensichtlich oder gar verständlich. Eigentlich ist die Aufgabe eines Spin-Offs wie diesem, eine knappe und spannende Geschichte in einem bekannten Universum in begrenztem Rahmen zu erzählen und sich und seine Protagonisten anschließend wieder in die Hauptserie einzufügen. „Das Marsprojekt“ liefert diesen letzten Aspekt. Am Abschluss der Mini-Serie geht die Handlung nahtlos in die jüngste „Heliosphere 2265″-Folge über. Die anderen Kriterien erfüllt „Das Marsprojekt“ jedoch nicht.
Zunächst einmal kann die Handlung nicht überzeugen. Auf den ersten Blick präsentiert sich hier eine spannende Situation, in der Kirby und ihre Crew herausfinden müssen, was es mit dieser Version des Sonnensystems überhaupt auf sich hat. Im Anschluss hätte man eine kleine Revolte gegen das Freeman-Regime anzetteln und damit einen konventionellen, aber eventuell spannenden Höhepunkt schaffen können. Doch Suchanek entscheidet sich für eine ambitioniertere Herangehensweise.
In den gerade einmal sechs Folgen wird das Konzept der Schicksalswächter eingeführt, die das duplizierte Sonnensystem überhaupt erst geschaffen haben. Diese Schicksalswächter können in den Verlauf der Geschichte eingreifen und gemeinsam sogar fantastische Dinge wie ein Sonnensystemduplikat erschaffen. Einer von ihnen ist Jack Fooley, der mit einem gewagten Plan seine Geliebte retten möchte. Eine andere Schicksalswächterin ist Yuna Ishida, die Kirby immer mal wieder rätselhafte Ratschläge gibt. Dieser Aspekt der Handlung wirkt völlig sinnbefreit. Während die in der Hauptserie auftretenden Ash’Gul’Kon noch irgendwie durch ein überragendes technisches Niveau erklärt werden können, handelt es sich bei den Schicksalswächtern wie auch bei der ständigen Diskussion mit Yuna um „Fixpunkte“ und andere Ereignisse um großen metaphysischen Quatsch.
Das wird vor allem deutlich, wenn man die Zusammenfassung der ersten fünf Teile zu Beginn des sechsten Teils liest. Angesichts der enorm langen Abstände zwischen den einzelnen Folgen ist es teilweise nötig angesichts der komplex-absurden Zusammenhänge vorherige Inhalte noch einmal aufzufrischen. Die einleitende Zusammenfassung dürfte auf Neuleser absurd wirken und ist auch für Leser alle Teile nicht viel aufschlussreicher. Das Problem ist nämlich, dass Suchanek es mit dem Spannungstreiber „mysteriöse Zusammenhänge“ schlicht übertreibt: „Das Marsprojekt“ besteht fast ausschließlich aus Andeutungen, zu keinem Zeitpunkt werden die Schicksalswächter oder die am Ende auftretenden Biokonstrukte überzeugend erklärt. Auch ihre Handlungsmotivation bleibt immer im Dunkeln. Das ist unbefriedigend und sorgt dafür, dass die Handlung des Spin-Offs einen sehr schlechten, unlogischen und vor allem undurchdachten Eindruck hinterlässt.
Irrelevante Rückblenden – ungenutzte Charakterchancen
Anstatt die Konzepte des Spin-Offs überzeugend zu erklären, präsentieren die ersten fünf Heftromane lieber ausschweifende Rückblenden. Zunächst scheinen diese langweiligen Rückschauen Sinn zu machen, da sie die Besatzungsmitglieder der Jayden Cross etwas nahbarer machen. Spätestens im fünften Teil ist man der ständigen Rückblenden überdrüssig, zumal sie in fast keinem Fall einen konkreten Einfluss auf die tatsächliche Haupthandlung haben.
Für diese irritierende Stilwahl gibt es zwei Erklärungen. Die Handlung des Spin-Offs könnte man komfortabel in drei Folgen unterbringen – das hätte kein Spin-Off gerechtfertigt. Insofern sind die Rückblenden zum Teil schlichtes Füllmaterial verbunden mit der Hoffnung, dass die Charaktere dadurch überzeugender wirken. Ein zweiter Grund dieses Stilmittels ist, dass die durchaus bodenständigen Rückblenden von der durchwachsenen und vor allem unlogischen Haupthandlung ablenken und dem Leser verschleiern, dass er in den gesamten sechs Folgen keine einzige anständige Erklärung für die Motivation hinter den Ereignissen erhält.
Theoretisch geben die Rückblenden dem Spin-Off die Möglichkeit, überzeugende Charaktermomente zu inszenieren. Doch auch hier scheitert die Miniserie. Das liegt nicht daran, dass man sich nicht bemüht. Hier werden Offiziere emotional vergewaltigt und alle Besatzungsmitglieder befinden sich immer wieder in Lebensgefahr. Doch die Charaktere bleiben immer zu oberflächlich, die Auseinandersetzung mit ihren Gefühlen und vor allem ihrer Motivation ist so platt, das sie in den seltensten Fällen überzeugt.
Das gilt vor allem für den Gegenspieler vieler Folgen, Fooley. Anders als Sjöberg scheint er auch here Motive zu hegen. Hier hätte man einen differenzierten Antagonisten entwickeln können. Doch dieser Aspekt, im vierten und fünften Teil angerissen, wird im Finale schlicht ignoriert. Stattdessen fokussiert sich die Handlung darauf, ihre Charaktere ständig in irgendwelche brenzligen Situationen geraten zu lassen. Dies kann nicht überzeugen, da in der Regel der Kontext fehlt und sich die Situationen zudem rasch abnutzen (man zähle die Explosionen im letzten Teil der Reihe). Diese Erzählart mag das gefühlte Tempo der Handlung erhöhen, kann aber nicht über die Substanzlosigkeit hinwegtäuschen. „Das Marsprojekt“ kann dadurch weder mit der Handlung noch mit seinen Charakteren überzeugen.
Bodenständige Lichtblicke – eine Chance für Heliosphere 2265?
Einen Lichtblick kann die Miniserie aufweisen: Die Erkundung der von Naniten verwüsteten Erde im zweiten Teil war richtig spannend und atmosphärisch überzeugend. Wie bei „Heliosphere 2265“ ist auch „Das Marsprojekt“ am Überzeugendsten, wenn es die bodenständigen Elemente der Serie ausspielt. Während die übersinnlichen Aspekte auch in der Hauptserie eher schlecht erklärt sind, sorgen solide, verständliche Abenteuer für Spannung und Unterhaltung.
Viele Aspekte des „Marsprojekts“ sind noch nicht abgeschlossen, warten auf eine Fortführung. Nach diesen sechs durchwachsenen Bänden hofft man, dass diese Aspekte nicht mehr aufgegriffen werden. Stattdessen zeigt auch das „Marsprojekt“ einmal mehr, das die Stärken der Serie vor allem in bodenständigen, atmosphärisch überzeugenden Abenteuern liegt. Denn jeder Versuch, ein episches, von mysteriösen Lebewesen bevölkertes Universum zu schaffen, ist bisher an der Unfähigkeit, diese Phänomene überzeugend zu erklären und die Makroerzählungen nahbar und erfühlbar zu machen, gescheitert. Dieser Versuch sorgt auch dafür, dass das „Marsprojekt“ trotz interessanter Ansatzpunkte zu Beginn der Serie zu einer Ansammlung langweiliger Kurzgeschichten, die sich weder zu einer überzeugenden Einheit zusammenfügen, noch unterhaltsame Lektüre bieten können.