Gedankensplitter 21/2016

Scheinheilige AfD-Radikalisierung: Viele in der AfD sehen sich gerne als eine konservative aber bürgerliche Partei. In der vergangenen Woche kooperierte die Partei in Thüringen erstmals offen mit der PEGIDA-Bewegung. Der Grund: Gemeinsam demonstrierte man gegen eine geplante Moschee in Erfurt. Die muslimische Religionsgemeinschaft der Ahmadiyya möchte trotz geringer Mitgliederzahlen in Erfurt dort eine Moschee errichten. Die Ahmadiyya werden in vielen muslimischen Ländern verfolgt, aus diesem Grund hat es schon frühzeitig viele Mitglieder nach Deutschland getrieben. Sie sind eine äußerst konservative Gemeinschaft, gelten aber als friedlich (ersteres gilt übrigens auch für die AfD). Außerdem werden ihre Lehrenden in Deutschland ausgebildet – eine Kernforderung der AfD. Die AfD marschiert in Erfurt also gegen die muslimischen Gemeinschaften, die sie sich laut ihrer eigenen Argumentation eigentlich wünscht. Das zeigt einmal mehr, dass sich hinter der angeblich bürgerlichen Rhetorik der AfD vor allem Scheinheiligkeit und Populismus verbergen. In Wirklichkeit hat die AfD keinen differenzierten Blick auf muslimische Menschen in Deutschland, sondern versucht mit möglichst schriller Islamopobie Stimmen zu fangen.

Alternativlos und undemokratisch: In der vergangenen Woche beschloss das türkische Parlament, die Immunität seiner Parlamentarier aufzuheben. Damit ist es der Justiz erleichtert, Abgeordnete zu verfolgen. Da die Justiz immer stärker unter den Einfluss der Regierung gerät (bereits vor Jahren wurden Reihenweise Richter und Staatsanwälte ausgetauscht), ist dies eine große Bedrohung für die Opposition im Land. Regierungsabgeordnete, die immer mal wieder der Korruption verdächtigt werden, dürften sich weniger Sorgen machen müssen. Dieser Schritt ist nur einer von vielen auf dem Weg in eine auf die Person Erdogan zugeschnittene Präsidentialrepublik. Für die EU (und damit Deutschland) ist das doppelt problematisch: Die Türkei ist einer der wichtigsten Partner in der muslimischen Welt, war lange Zeit ein Zeichen, dass eine stabile Demokratie in einem mehrheitlich muslimischen Land auch außerhalb von Indonesien und anderen asiatischen Ländern funktionieren kann. Jüngst wurde die Türkei zudem zu einem wichtigen Partner in der Lösung der Flüchtlingskrise.  Angesichts der Entwicklungen in der Türkei kritisieren immer mehr konservative (und sozialdemokratische) Politiker den Flüchtlingsdeal. Jüngst kritisierte Horst Seehofer den Deal. Er sorgt sich unter anderem um die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Zur Erinnerung: Seehofer sieht sich gerne als guter Freund von Viktor Orbán und reiste jüngst eigenmächtig zum russischen Präsidenten Putin. Abgesehen davon, dass Horst Seehofer selbst keine Alternative zu einer Sicherung der EU-Grenzen durch die Türkei hat (abgesehen davon, die deutsche Grenze komplett zu schließen und das Problem damit mit unabsehbaren Folgen in den Balkan auszulagern), erweist sich der bayerische Ministerpräsident (im Verbund mit den anderen Kritikern des Deals, die keinen Gegenvorschlag haben) als unverantwortliche Populisten, die zu sachlicher Regierungspolitik zumindest in Flüchtlingsfragen scheinbar nicht mehr in der Lage sind.

Sozialdemokratischer Bundestagswahlkampf: 2013 ist die SPD mit einem ordentlichen, linken und kohärenten Wahlprogramm in die Bundestagswahl gezogen. Dazu gesellte sich ein ordentlicher, kompetenter Kandidat, der leider überhaupt nicht zum Programm passte. Anstatt aus diesen Fehlern zu lernen und bereits frühzeitig sicherzustellen, dass die Sozialdemokratie mit einer Einheit aus Programm und Kandidat antritt, beginnt die Partei gerade erst mit einer intensiven Programmdiskussion (deren Erfolg noch nicht abzusehen ist) und verschiebt die Kandidatensuche auf 2017. Dieser Mangel an strategischer Kompetenz ist eklatant und erschreckend. Auf diese Weise wird es kaum möglich sein, eine überzeugende programmatische und personelle Alternative zur zerstrittenen und strauchelnden Union aufzubauen. Da davon in erster Linie die Rechtspopulisten profitieren werden, bleibt nur zu hoffen, dass die unter Sigmar Gabriel ständig hin- und herschwenkende Führungsspitze sich wenigstens zügig auf inhaltliche Schwerpunkte und Programm einigt. Dann kann der noch immer existierende Parteiapparat wenigstens versuchen, wie im vergangenen Wahlkampf sozialdemokratische Konzepte wie den Mindestlohn, Arbeitsmarktregulierung  sowie eine liberale und fortschrittliche Gesellschaftspolitik in einer zukünftigen Regierung unterzubringen.

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