Gedankensplitter 20/2016

Österreichische Geisterfahrt: Regierungen brauchen eine klare Linie, sonst können sie ihre Politik den Wählern nicht mehr verkaufen. In der Flüchtlingspolitik mit ihren vielen Facetten ist das Halten solch einer klaren Linie schwer. Noch schwieriger ist es, wenn sich eine Regierung aus ideologisch unterschiedlichen Parteien, z.B. wie in Deutschland und Österreich einer großen Koalition, zusammensetzt. Angela Merkel hat in dieser Hinsicht ironischerweise am meisten Probleme mit ihrer eigenen Fraktion und hier vor allem der CSU. Werner Faymann wiederum gelang es nicht, mit seinem Koalitionspartner eine klare Linie zu halten. Seine sozialdemokratische SPÖ sprach sich zwar für eine humane Flüchtlingspolitik aus, setzte angesichts des rechtspopulistischen Drucks der FPÖ aber immer mal wieder auch gegenteilige Signale. Darunter leiden seit Monaten die Umfrageergebnisse der beiden Koalitionspartner SPÖ und ÖVP, die zusammen wohl nicht mehr auf 50% der Stimmen kämen. In dieser prekären Situation fiel die SPÖ ihrem eigenen Kanzler zusehends in den Rücken und zwang ihn am vergangenen Montag zum Rücktritt. Die Situation zeigt welche Ausmaße das Missmanagement der Flüchtlingskrise erreichen kann und unterstreicht noch einmal die Bedeutung eines klaren, gut kommunizierten Kurses. In den vergangenen Monaten haben die Landtagswahlen in Wien, in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz gezeigt, dass Parteien für einen klaren Kurs in der Flüchtlingsfrage belohnt werden. Die SPÖ (in Wien), die Grünen (in Baden-Württemberg) und die SPD (in Rheinland-Pfalz) haben klare Signale und klare Programme signalisiert (eben so wie die Rechtspopulisten der FPÖ und der AfD übrigens). Abgestraft wurden hier die ÖVP (Wien), die CDU (Rheinland-Pfalz & Baden-Württemberg) für ihren Schlinger-Kurs. Auf der Bundesebene straucheln in beiden Ländern die Koalitionsteilnehmer in Umfragen – weil sie sich auf keinen klaren Kurs einigen können. Der Kanzlerwechsel in Österreich sollte daher auch ein Zeichen an die deutsche Bundesregierung und ihre Regierungsparteien sein: Sie müssen erstens aufhören, sich selbst zu zerfleischen und zweitens sich nun entweder auf eine konsequente Integrationspolitik (und damit im Extremfall einen Austritt der CSU aus der Koalition) oder aber einen Koalitionsbruch mit der SPD (mit der Hoffnung auf Zustimmung für einen Abschottungskurs à la CSU/AfD bei Neuwahlen) einigen. Das Aussitzen, wie es Faymann versucht hat, kann katastrophale Auswirkungen haben.

 

Bayerischer Geisterfahrer: Horst Seehofer hat wieder zugeschlagen. Seitdem sich die meisten seiner Drohungen (Koalition verlassen, Bund verklagen) längst als heiße Luft entpuppt haben, beendete er in der vergangenen Woche die Willkommenskultur. Bisher waren in erster Linie seine Untergebenen dafür zuständig, die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands in Frage zu stellen bzw. Wahlerfolge der AfD vorzubereiten. Nun beleidigt der bayerische Ministerpräsident eigenständig die enorme Leistung, die Millionen Deutsche im vergangenen Jahr geleistet haben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, was Seehofer den im Land lebenden Flüchtlingen denn außer einer Willkommenskultur anbieten möchte? Soll Deutschland Kriegsflüchtlinge solange trietzen bis sie lieber in Kriegsgebiete zurückkehren als von der deutschen Bürokratie gegängelt zu werden? Sollen wir Flüchtlingen zwar den im Grundgesetz vorgesehenen Schutz gewähren, sie dabei aber möglichst ausgrenzen? Treffend schreibt der Spiegel,  nicht das Ende der Willkommenskultur sei besiegelt, sondern die Haltlosigkeit Seehofers. Seine CSU ist an allen Aktionen des vergangenen Jahres beteiligt und stellt sich dennoch als Deutschlands wichtigste Opposition dar. Somit beleidigt Seehofer nicht nur die vielen freiwilligen Helfer des vergangenen Jahres, sondern auch seine eigene Wählerklientel: Wer wäre so dumm eine sich scheinheilig als Oppositionspartei gerierende Regierungspartei zu wählen, wenn er doch das Original (z.B. die AfD) haben kann? Seehofer beweist einmal mehr, dass mit der CSU in ihrer derzeitigen verwirrten und verunsicherten Form kein Staat zu machen ist; stattdessen machen er und seine Getreuen die AfD haus- und hoffähig. Damit tut die CSU dem Land einmal mehr keinen Gefallen.

Verlierende Geisterfahrer in Baden-Württemberg: Winfried Kretschmann ist als Ministerpräsident von Baden-Württemberg wieder gewählt worden. Doch der Start der dortigen großen grün-schwarzen Koalition war holprig, mehrere CDU-Abgeordnete versagten dem Grünen ihre Zustimmung. Der Grund: Auf der einen Seite fühlen sie sich in einer Koalition mit den Grünen nicht wohl, vor allem aber sind einige CDU-Abgeordnete verärgert, dass für sie kein Ministerposten abgefallen ist. Baden-Württemberg ist wie der Bund und viele weitere Länder in einer prekären politischen Lage: Es ist derzeit noch unklar, wie die demokratieschädliche, lagerübergreifende große Koalition zu einer inhaltlichen Polarisierung im nächsten Wahlkampf führen soll. Teile der CDU scheinen sich gar keine Gedanken darüber zu machen, dass sie nicht nur ein eigenes Profil entwickeln müssen, sondern vor allem auch gute Regierungsarbeit leisten müssen. Sie setzen lieber ein öffentliches Zeichen, dass ihnen Posten wichtiger sind als das Regieren. Die einst stolze CDU in Baden-Württemberg ist damit tief gesunken; so wird sie keine Wähler der AfD zurück gewinnen.

Wie Gerechtigkeit diskutieren: In der vergangene Woche veranstalte die SPD eine Gerechtigkeitskonferenz. Mit dabei waren vor allem sozialdemokratische Spitzenpolitiker, aber auch Vertreter aus Wissenschaft und Verbänden. Alle Videos können hier abgerufen werden, vor allem der Beitrag von Heinz Bude und die Diskussion zwischen Gabriel und Susanne Neumann sind interessant anzusehen. In den (Online)Medien wurde die Konferenz auf skandalträchtige Szenen (Neumanns Frage, warum man die Große Koalition nicht bricht, Budes Aussage, eine Gesellschaft verändere sich nicht durch Bildung) heruntergebrochen. Zunächst einmal ist aber sehr positiv festzuhalten, dass die Sozialdemokraten scheinbar ernsthaft daran interessiert sind, das Thema Gerechtigkeit durchzudiskutieren. Im Idealfall ist die Konferenz der Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen, die in einem differenzierten und dennoch gut kommunizierbaren Wahlprogramm münden. Neben einem anständigen Kandidaten und der Betonung sozialdemokratischer Aspekte im aktuellen Regierungshandeln könnte dies das Fundament für eine Verbesserung der derzeitigen Umfrageergebnisse legen. Dem dürfte jedoch die Sprunghaftigkeit des Parteivorsitzenden und der große Unwille der Medien wie der Öffentlichkeit, Themen tatsächlich zu diskutieren, im Wege stehen. Denn ohne einen langen Atem und ohne eine breite Beteiligung an solchen Diskussionen, die über geladene Funktionsträger hinaus geht, wird der Prozess allenfalls etwas zur Selbstvergewisserung der Partei beitragen. Wünschenswerter wäre es, die SPD würde mit ihrer Programmdiskussion, einem guten Kommunikationskonzept und einem langen Atem Stück für Stück eine breite Öffentlichkeit ansprechen.

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