Gedankensplitter 19/2016

Journalistische Shizophrenie: Die vergangene Woche endete mit dem AfD-Parteitag, der große Beachtung fand. Die populistische Partei gab sich ein nationalistisches und durchaus kapitalistisches Parteiprogramm. Anfang dieser Woche veröffentlichte Spiegel Online dann einen anmaßenden Kommentar des Chef vom Diensts Dietz, der die Entwicklung allein Angela Merkel in die Schuhe schiebt – sie habe in ihrer Regierungszeit zwei lager, das sozialdemokratische und das eigene, pulverisiert und die AfD ermöglicht. Jakob Augstein erkennt hingegen am selben Tag in einem Kommentar an, dass Parteien und die Medien versagt haben, die AfD bei ihrer Etablierung aufzuhalten. In der Tat: Angela Merkel hat nicht im Alleingang zwei Lager pulverisiert. Sie hat ihre Wahlkämpfe 2009 und 2013 damit bestritten, ihren politischen Gegnern (FDP 2009 und SPD 2013) inhaltlich das Wasser abzugreifen – mal versprach sie Steuersenkungen mal Mindestlöhne, ein inhaltliches Konzept steckte selten dahinter. Außerdem entzog sie sich, wo immer es ging einer inhaltlichen Debatte, ruhte sich auf ihrer Popularität aus. Medien dürften dies nicht zulassen, hätten stärker auf die Einhaltung von Versprechen pochen müssen bzw. klare inhaltliche Aussagen von der Bundeskanzlerin und der CDU fordern müssen. Das haben sie aber nicht oder selten getan. Hingegen fokussieren sie, getrieben von der Kurzlebigkeit der Netzwelt auf Sensationelles, persönliche Streitigkeiten und jagen in jüngster Zeit eine Twitter-Entgleisung nach der anderen über ihre Startseiten – ob es nun von Erika Steinbach, einem AfD-Prominenten oder Schauspielern/Satirikern kommt. In diesem Schlagzeilenumfeld bleibt kein Platz für die Inhalte und vor allem die Arbeit, die die „etablierten“ Parteien in den Parlamenten und Ministerien noch immer leisten. Politik wird im extremsten Fall auf Personen und ihre Twitter-Accounts reduziert. Gepaart mit einer schwachen politischen Führungsriege hat dies – und da hat Augstein Recht – zu einem Versagen der Medien und etablierten Parteien geführt. Tietz Kommentar lässt wenig Hoffnung, dass sich Deutschlands (Online) Leitmedien dieser Tatsache bewusst werden und inhaltlichen Aspekten wieder mehr Platz gegenüber Populisten einräumen.
Eine interessante und aufschlussreiche, wenn auch teilweise parteiische Analyse mangelnder journalistischer Hartnäckigkeit bei ihrem Kontrollauftrag findet man übrigens in Thomas Meyers Buch „Die Unbelangbaren – Wie politische Journalisten mitregieren„.

 

Sanders Spiel mit dem Feuer: Die republikanischen Vorwahlen sind in dieser Woche entschieden worden, Donald Trump ist der konservative Kandidat für die Präsidentschaftswahlen im November. Die demokratischen Vorwahlen sind jedoch noch nicht vorbei. Obwohl Bernie Sanders keine realistische Chance auf einen Erfolg mehr hat bleibt er im Rennen. Das ist sein gutes Recht, seine Kandidatur war von vornherein auch darauf angelegt, die Debatte innerhalb des demokratischen Lagers „nach links“ zu verschieben. Allerdings radikalisiert sich auch seine Rhetorik: In dieser Woche sprach er von dem demokratischen Nominierungsverfahren als einem „rigged system“ (einem manipulierten System). Diese Worte hatte zuvor vor allem Donald Trump für die Demokraten verwendet. Der Vorwurf: Aufgrund ca. 750 Superdelegierten, die sich frei entscheiden können und mehrheitlich für Hillary Clinton eintreten, sei die Wahl von Anfang an einseitig gewesen. Sanders verkennt dabei, dass die Regeln im Vorfeld bekannt waren und er sich nun einmal auf solch ein Regelwerk eingelassen hat. Zwischenzeitlich argumentierte er selbst, dass er bei weniger durch Wahlen gewonnenen Delegierten notfalls die Superdelegierten überzeugen werde. Seine Position ist also alles andere als konsequent in dieser Hinsicht. Stattdessen erweckt sie einen äußerst negativen Eindruck der demokratischen Partei und unterminiert die Legitimität des / der möglichen Nominierten. Dabei kennen beide Parteien eine Absicherung gegen zu knappe (proportionale) Wahlergebnisse: Während die Demokraten in allen Staaten per Verhältniswahl wählen und bei einem zu knappen Wahlausgang Superdelegierten (die in der Regel Wahlämter bekleiden!) entscheiden lassen, lösen die Republikaner dieses Problem damit, dass in einigen Staaten nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt wird und viele Staaten zudem Thresholds haben über denen ein Kandidat (fast) alle Delegierten eines Staates bekommt. Da auch die eigentliche Präsidentschaftswahl auf einem komplizierten Mehrheitswahlrecht beruht, sind solche Absicherungen nicht verwunderlich. Sanders spielt mit seiner Kritik an der demokratischen Partei somit in erster Linie Donald Trump in die Hände. Er täte besser daran, sich weiterhin auf seine Inhalte zu beschränken und im Anschluss der Vorwahlen auf eine Reform des demokratischen Wahlsystems zu drängen.

(Keine) Linke Einigkeit: Die europäische Linke ist in einem schlechten Zustand. Sie reibt sich zwischen Regierungspolitik und Populismusbekämpfung geradezu auf. Nach der Unterhauswahl in Großbritannien 2015, die zunächst sehr knapp wirkte und dann in einem Desaster für die Labour-Partei endete, entschieden sich die britischen Sozialdemokraten für einen radikalen Neuanfang: Sie wählten mit dem Jeremy Cornyn einen extrem Linken Parteichef. Am vergangenen Donnerstag stand er vor seiner ersten Bewährungsprobe: Die schottische und walisische Regionalversammlung wurden neu gewählt sowie viele britische Kommunalräte und der Londoner Bürgermeister. Das Ergebnis ist gemischt: Eine krachende und demütigende Niederlage in Schottland, ein grandioser Sieg in London und immerhin nahezu gleiche Ergebnisse in den englischen Kommunen und in Wales. Beachtlich wird dieses Ergebnis erst, wenn man sich den Zustand der Partei anguckt: Wann immer möglich wird Corbyn aus den eigenen Reihen kritisiert, zuletzt machte der Labour-Partei ein Antisemitismus-Vorwurf der Konservativen sehr zu schaffen und das nicht nur aufgrund dämlicher Aussagen des einstigen Londoner Bürgermeisters Ken Livingstone und Corbyns langsamer Reaktion darauf, sondern auch weil Kräfte in der eigenen Partei das Thema gerne ausweiteten. Die Situation ist exemplarisch für den Zustand vieler sozialdemokratischer Parteien: Sie schaffen es nicht mehr, innerparteilich eine Diskussionskultur zu schaffen, die tatsächlich intern arbeitet und nach außen einheitlich auftritt. Ob britische, französische oder deutsche Sozialdemokraten, sie tragen ihre Meinungsverschiedenheiten über die Medien aus und verhindern dadurch, dass tatsächlich über ihre Themen diskutiert werden kann. Ohne Geschlossenheit fehlt diesen Parteien nicht nur die für ihre nicht von Industrieverbänden unterstützten Wahlkämpfe die Kampfkraft, sondern sie schwächen zudem ihre eigene Kommunikationskraft. Gerade angesichts der sozialen Probleme in Europa und der Schwäche bzw. einknickenden Position konservativer Parteien gegenüber dem Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen, müssen sich Sozialdemokraten wieder auf Solidarität und Diskussionskultur als ihre Kernideale besinnen. Nur dann können sie wieder mit (sozial und wirtschaftlichen) Positionen überzeugen.

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