Die Lücke – Ein Stück Keupstraße (Schauspiel Köln)

Während Renovierungsarbeiten residiert das Schauspiel Köln in der Keupstraße. Hier wurde 2004 von dem NSU ein Nagelbombenattentat verübt. Während der NSU noch mehrere Jahre mordend durch Deutschland ziehen konnte, verdächtigte die Polizei zunächst die Bewohner der Straße. „Die Lücke“ stellt bühnenbildlich den Riss innerhalb der deutschen Gesellschaft zwischen Mehrheitsgesellschaft und Einwandererfamilien dar. Drei Schauspieler sowie drei Bewohner der Keupstraße versuchen in diesem teilweise improvisierten Stück diesen Riss, diese Lücke zu überwinden. Dabei stoßen sie hinter einer Fassade aus vermeintlicher Toleranz rasch über eine lange Reihe von Missverständnissen, die daher rühren, dass man einander kaum versteht und dadurch auch Emotionen völlig falsch einschätzt.

Auf zwei Ebenen beeindruckt „Die Lücke“. Es ist eine beeindruckende Auseinandersetzung mit den Folgen des Anschlags. Dokumentarisch lässt das Theater viele Anwohner zu Wort kommen, zitiert Fahndungsergebnisse und Polizeiberichte und zeichnet damit ein erschreckendes Beispiel an Justiziare Willkür und vor allem Verirrung. Vorbereitet wird dies bereits mit einer Führung über die Keupstraße vor der Aufführung und abgerundet am Ende mit Videoaufnahmen nach dem Anschlag. Außerdem gelingt es hier, das massenhafte Morden des NSU auf Einzelschicksale herunterzubrechen und damit moralisch erfahrbar zu machen.

Gleichzeitig ist es eine überzeugende Auseinandersetzung mit der Frage wie Toleranz funktionieren kann und soll. Die titelgebende Lücke ist dabei das größte Hindernis. Hinter einer vermeintlich toleranten deutschen Fassade lauern viele Vorurteile – das dürften viele deutsche in alltäglichen Interaktionen schon selbst an sich gespürt haben. „Die Lücke“ zeigt in einem (erzwungenen?) Dialog sehr gut auf, wie dies erfolgreiche Kommunikation verhindern kann. Gleichzeitig konzentriert sich das Stück aber auch auf Unterschiede in der Emotionalität. Während der Dialog für die deutschen Charaktere in erster Linie etwas Erforschendes hat, hat es für die Keupstraßenbewohner immer auch eine therapeutische und teilweise eine anklagende Komponente. Trotz starker Wertekongruenz kommt es dadurch bei jedem (noch so kleinen) Werteunterschied zu starken Auseinandersetzungen.

Diese beiden Elemente sind gepaart mit einer beeindruckenden (Laien!) schauspielerischen Leistung, die immer Emotionen anspricht und hoch hält. Aus dieser Sicht ist es schade, wie schnell das Stück nach einem kontroversen und emotionalen Höhepunkt, in dem das Thema Folter im Mittelpunkt steht, auf eine dokumentarische und anklagende Ebene zurück fällt. Letztlich dominiert die dokumentarische Ebene die spannende und bewegende moralische Auseinandersetzung. Andererseits gibt „Die Lücke“, indem es die Überwindungsmöglichkeiten dieser Lücke nicht thematisiert, vor allem Denkanstöße darüber, dass Parallelgesellschaften niemals einseitig entstehen und dass Toleranz viel schwieriger ist als die Mehrheit glauben mag. Und so verwirrt das Stück seine Zuschauer erfolgreich und lässt sich nachdenklich nach Hause fahren.

Dieser Text beruht auf der Vorstellung vom 01. März 2016.

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