Die Gelegenheit, den Europawahlkampf zu verstehen

europa_flaggeHeute Abend findet um 19 Uhr das erste europäische Fernsehduell aller Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten in Maastricht statt. Während viele europäische Fernsehsender das Duell live übertragen, haben sich ARD und ZDF entschieden, das Duell auf dem Spartensender Phoenix zu senden. Die beiden Sender werden stattdessen später eigene Duelle nur mit den Spitzenkandidaten der Sozialisten und Konservativen ausstrahlen. Dabei ist das auch auf Deutsch auf Phoenix oder im Internet verfügbare Duell eine wichtige Chance, inhaltliche Unterschiede zwischen den Kandidaten kennenzulernen und zu verstehen.

Der beginnende Europawahlkampf zeichnet sich bisher durch aktive rechtspopulistische Parteien und schüchterne, verschreckte pro-Europäer aus. Inhaltliche Marken konnte bisher keine der großen Parteien in den Medien setzen. Dabei zeigen die bisherigen Konfrontationen zwischen den beiden „wichtigsten“ Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker (konservative EVP) und Martin Schulz (sozialistische SPE) durchaus mögliche Unterschiede.

Mitte März lud der SPIEGEL die beiden Kontrahenten zu einem Interview. Es ging kaum um Inhalte, sondern hauptsächlich um populistische Vorwürfe gegen die beiden Kandidaten – eine Spezialität des Hamburger Magazins. Doch neben Schulz Verteidigung seiner Fortführung des Amts als Europäischer Parlamentspräsident und Junckers Dementi zum Vorwurf, Luxemburg sei ein Steuerparadis, konnten beide Kandidaten bereits erste Zeichen setzen. Schulz stellte sich als Mann der Legislative dar, der die Kommission für die Bürger öffnen möchte. Juncker attackierte er als typischen Vertreter der Exekutive. Der Konservative konterte dagegen mit einem Hinweis auf die Bedeutung des Europäischen Rates (dem Gremium der Regierungschefs), überraschte mit einem Bekenntnis zu Euro-Bonds und deutet bereits an, dass er die Kommission nicht als „Problemlöserin für alles“ sieht.

Am 9. April fand die erste Fernsehbegegnung der beiden statt. Eingeladen vom französischen Fernsehen debattierten die beiden Kandidaten fließend auf Französisch. Leider steht die Debatte nicht in anderen Sprachen zur Verfügung. Obwohl die europäische Medien kritisierten, dass die Unterschiede nicht deutlich genug wurden, hatten beide Kandidaten doch Differenzierungsstrategien.
Juncker betonte mehrmals, dass die Kommission nicht alle Probleme lösen könne. Sie müsse dort aktiv werden, wo einzelne Staaten keine Erfolge erzielen könnten. Diese Überzeugung hat, anders als bei der deutschen CSU, keinen europakritischen Hintergrund. Stattdessen weißt Juncker damit auch darauf hin, dass die Probleme Europas keineswegs nur der Europäischen Union und der Europäischen Kommission anzulasten sind. Damit entkräftet er ein wichtiges Argument der rechtspopulistischen Parteien, die die EU als Wurzel allen Übels ansehen.
Martin Schulz trat deutlich aggressiver auf. Er versuchte sich als Garanten eines Wechsels in Europa darzustellen. Dafür unterstrich er zunächst Gemeinsamkeiten mit Juncker, um anschließend darauf hinzuweisen, dass die Europäische Volkspartei (Junckers Partei) all diese Punkte nicht unterstützt. Da die EVP, angeführt von der CDU, jedoch die stärkste Kraft sowohl im Europäischen Parlament als auch im Europäischen Rat ist, machte Schulz diese für die derzeitige Krisenpolitik verantwortlich.

Dieses erste Duell litt unter einem sehr geringen Budget. Es wirkte nicht professionell, die Akustik war schlecht und die Moderatorinnen zeigten inhaltliche Schwächen. So hielten sie Juncker hinsichtlich der Unterschiede zwischen ihm und seiner Partei eine Aussage von David Cameron vor. Allerdings sind David Camerons Konservative gar keine Mitglieder der Europäischen Volkspartei, sondern der Teil der „Allianz der Europäischen Konservativen und Reformisten“. Das Duell wurde jedoch von einem Spartensender organisiert, was das geringe Budget erklärt.

Das heutige Duell hingegen verspricht nicht nur aufgrund der größeren inhaltlichen Breite (auch liberale und grüne Kandidaten nehmen daran teil), sondern auch durch eine professionelle Inszenierung interessant zu werden. Da es auch auf Deutsch übertragen wird, ist es die erste Gelegenheit, sich einen Eindruck über die Spitzenkandidaten bei der Europawahl zu verschaffen. Eine Gelegenheit, die man auf Phoenix oder im Internet wahrnehmen sollte.

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