Fehlstart oder über die Harmoniesucht

„Bürger sind unzufrieden mit GroKo-Start“ titelte Spiegel Online heute. Der Anlass war eine Umfrage der BILD-Zeitung wonach 46% der Befragten den Auftakt der Koalition für einen Fehlstart halten. Als Bewertungsgrundlage dienen den Befragten die Dissonanzen im schwarz-roten Kabinett. Diese Bewertungsgrundlage ist unsinnig.

Die Große Koalition kann bisher eigentlich noch gar nicht bewertet werden. Seitdem sie kurz vor Weihnachten vereidigt wurde, ist politisch noch nichts geschehen. Allenfalls könnte man beurteilen, wie die jeweiligen Minister Schlüsselpositionen in ihren Häusern vergeben haben. Die meisten von ihnen werden bisher kaum Beschlüsse umgesetzt haben, geschweige denn bereits Ausarbeitungen der im Koalitionsvertrag geplanten Gesetze gemacht haben. De facto ist nach nicht einmal einem Monate eine Bewertung also nur bedingt sinnvoll.

Der „Streit“ zwischen den Koalitionsparteien ähnelt auf den ersten Blick den Dissonanzen zwischen CDU, CSU und FDP zu Beginn der schwarz-gelben Koalition. Doch die Streitthemen unterscheiden sich deutlich. Beschimpfte man sich einst noch als „Wildsäue“ und fabulierte über „spät-römische Dekadenz“ so geht es jetzt zumindest um Inhalte. „Einwanderung“ bringt die CSU auf der einen Seite in fragwürdigem Stil auf den Tisch. „Vorratsdatenspeicherung“, „Rente“, „Mindestlohn“ und „familienverträgliche Arbeitswelt“ führt die SPD in die Diskussion ein. Während die CSU versucht eine Debatte mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag zu verhindern, bemühen sich die Sozialdemokraten darum, dass ihre Themen diskutiert werden. Das mag nicht durchsetzungsstark wirken.

Doch führt dieser Stil wieder zurück zu einer diskussionfreudigen politischen Diskussion, die unter Merkel und vor allem unter schwarz-gelb verkümmert ist. Merkel regiert mit dem Hinweis auf die „Alternativlosigkeit“ ihrer Vorhaben. Sie versucht selten eigene Projekte durchzusetzen, weil sie von ihnen überzeugt ist. Stattdessen wartet sie ab, bis Situationen unumgänglich erscheinen. Politik und auch die Meinungsbildung in der Bevölkerung lebt hingegen davon, dass ein Projekt nicht nur postuliert, sondern auch diskutiert wird. Im Idealfall macht die Diskussion das Projekt nur besser – oder zeigt vielleicht auch auf, warum es nicht sinnvoll ist, dieses Ziel zu verfolgen.

Der CDU unter Angela Merkel ist an der Suche nach dem besten Weg jedoch nicht gelegen. Sie hat keinen Anspruch, etwas zu erreichen. Sie möchte nur verwalten, so einig wie möglich. Dabei hat sie die Bevölkerung auf ihrer Seite, die sich scheinbar vor allem nach reibungsloser Verwaltung sehnt. Aus diesem Grund erhofft sich der CDU-Generalsekretär Tauber Sympathien, wenn er die SPD zur Einigkeit ermahnt. In Wirklichkeit verschleiert er nur, dass die CDU über kein Programm verfügt und gar nicht in der Lage ist, inhaltlich mitzuregieren. Und auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich noch von dem Verwaltungsstil der CDU einlullen lässt. Langfristig wird ein inhaltlicher, diskursiver Stil nicht nur überzeugender sondern auch erfolgreicher sein.

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