EU-Rosinenpickerei: Nicht verschiedene Geschwindigkeiten, sondern Egozentrik

Die Innenministerin von Großbritannien, Theresa May, hat angekündigt, dass ihr Land aus der EU-Innenpolitik 2014 aussteigen möchte. Damit erreicht die Europapolitik der britischen Konservativen einen weiteren, traurigen Höhepunkt. Nachdem man sich bereits der Mitarbeit am Fiskalpakt verweigert hat und bisher keine Anzeichen gemacht hat, diesen zu unterschreiben, verweigern sich die Briten nun einem Prinzip, dass ihnen bisher hauptsächlich Vorteile gebracht hat. Denn bei den 130 EU-Gesetzen, die durch den Ausstieg aus der Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres nicht mehr für das Vereinigte Königreich gelten würden, handelt es sich vor allem um Methoden der vereinfachten Strafverfolgung. So verweist zum Beispiel der britische Guardian darauf, dass ohne diese Regelungen, Terroristen, die Anschläge in England verübt haben, mit juristischen Tricks in europäischen Nachbarstaaten sicher wären. Erst die EU-Zusammenarbeit machte eine problemlose Auslieferung möglich.

Warum also möchten die britischen Konservativen von diesen Regelungen Abstand nehmen? Die Lösung ist wie bei David Camerons letztem Spaltungsvorschlag relativ einfach. Die Tories stehen nicht nur innenpolitisch, sondern auch parteiintern unter Druck. Der äußerst europaskeptische rechte Flügel der Partei wünscht sich sogar einen EU-Austritt. Um den Flügel zu beruhigen, muss die britische Regierung regelmäßig starke Signale nach Europa senden, um den Parteirückhalt nicht zu verlieren. Dabei kommt es natürlich sehr gelegen, dass EU-Ressentiments in der britischen Bevölkerung immer sehr gut aufgenommen werden.

Warum es nun aber die Justiz- und Innenpolitik getroffen hat, bleibt auf den ersten Blick schleierhaft. Bei diesem Bereich handelt es sich um den kleinsten Haushaltsposten (1,3% des Haushaltsvolumen) und dennoch bringt er in erster Linie Vorteile.

Für einige Konservative bedeutet diese Regelung jedoch ein unerträglicher Eingriff in die eigene Souveränität. Dennoch ist man sich darüber bewusst, dass die Zusammenarbeit für das Vereinigte Königreich enorme Vorteile hat. Der Guardian liegt jedoch falsch, wenn er sagt, die Europapolitik der Konservativen würde keinem Realitätscheck mehr unterzogen werden. So plump die Angriffe auf die EU auch sind, die Konservativen wissen ihre Interessen sehr gut zu wahren.

Denn trotz ihres angekündigten Austritts erwarten sie weiterhin die Übersendung ermittlungsrelevanter Daten sowie die Auslieferung von Verdächtigen. Im Gegenzug möchte man nur selbst keine Daten oder Gefangene mehr versenden. Das ist die reinste Rosinenpickerei und eine unglaubliche Ausnutzung der EU-Gemeinschaft. Glücklicherweise regt sich dagegen bereits Kritik. CSU-Europaabgeordnete benutzen das Wort der „Rosinenpickerei“, die nicht sein dürfe, und der SPD-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz forderte heute in einem WELT-Interview, dass ein Austritt nicht nur den Anspruch auf Teilnahme verlöschen lasse, sondern auch bedeuten müsse, dass an der weiteren gesetzlichen Mitarbeit nicht mehr teilgenommen werden könne. Das sind harte Worte.

Es bleibt aber zu hoffen, dass – sollten die Briten tatsächlich versuchen bis Ende 2014 aus der EU-Innenpolitik auszusteigen – diesen harten Worten auch Taten folgen. Sicherlich möchte niemand eine Spaltung der EU provozieren. Aber es kann auch nicht sein, dass ein einzelnes Mitgliedsland, dem bereits ein Zahlungsrabatt zugestanden wurde, keine Leistungen erbringt und dafür Leistungen erwartet. Zudem ist es tatsächlich unverständlich, warum die britischen Konservativen dann bei Projekten mitreden dürfen, an denen sie selbst gar nicht teilnehmen.

Die britischen Konservativen sind kein Beispiel für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten. Hier zeigt sich lediglich, dass populistische Stimmungen bedient werden müssen und dadurch irrationale Entscheidungen gefällt werden müssen, die durch egozentrische Erwartungen dennoch Vorteile für das Vereinigte Königreich bringen sollen. Dem muss ein Riegel vorgeschoben werden: Jedes EU-Mitglied darf an Projekten der Union teilnehmen und von der Kraft der Gemeinschaft profitieren. Wer aber aus einzelnen Projekten aussteigt, muss damit Leben, dass der Zug ohne eigene Mitsprachemöglichkeiten weiter fährt. Das wäre dann ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten – damit würden die britischen Konservativen höchstwahrscheinlich glücklich, die britische Bevölkerung langfristig sicherlich nicht.

Guardian Editorial: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/oct/15/eu-policing-tory-euroscepticism?INTCMP=SRCH

G. Comment: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/oct/15/eu-policing-tory-euroscepticism?INTCMP=SRCH

WHY? : http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/oct/15/eu-policing-tory-euroscepticism?INTCMP=SRCH

Intro: http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/oct/15/eu-policing-tory-euroscepticism?INTCMP=SRCH

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