Wir sind am Leben (von Rosenstolz)


Rosenstolz — Wir sind am Leben – MyVideo

Heute erscheint nach drei Jahren Pause das neue Rosenstolz Album „Wir sind am Leben“. Die gleichnamige Single ist bereits seit zwei Wochen draußen, das Lied selbst wird schon seit mehreren Wochen im Radio gespielt. Stand das Vorgängeralbum „Die Suche geht weiter“ im Zeichen der Reflektion über Vergangenes und den hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft, wurde das neue Lied vor allem unter dem Blickwinkel von Peter Plates Burn-Out-Syndrom betrachtet.

Diese Betrachtung mag gar nicht mal so weit hergeholt wirken. Denn obwohl das Lied ruhig anfängt, wirkt der Rhythmus spätestens ab dem ersten Refrain fröhlich und bei den ersten Höhrgängen sogar etwas zu knallig. Die Dynamik des Liedes wirkt zunächst etwas Rosenstolz untypisch, da AnNas Stimme hinter den Klängen beinahe etwas zurückbleibt. Das anfänglich deutlich hörbare und immer mal wiederkehrende Klavierspiel wirkt da eher „rosenstolztypisch“. Dafür macht das Lied trotz eines eher nachdenklichen Themas gute Laune.

Der Text wirkt zunächst verdammt platt und enttäuschend. AnNa haucht die ersten Passagen eher, ihre Stimme wirkt bei weitem nicht so kraftvoll wie in früheren Liedern. Von den acht Zeilen des Refrains ist die Hälfte die ewige Wiederholung des Satzes „Du bist am Leben“. Das wir wird – ähnlich wie bei „Ich bin Ich (Wir sind wir)“ – erst ganz zum Schluss eingeführt. Im Gegensatz zu der ersten Single-Auskoppelung von 2006 steht das „wir“ hier jedoch ganz im Titel, weswegen die größere Betonung des „wirs“ gelungener gewesen wäre.

Außerdem sorgt dei zuvor schon beschriebene, teilweise krachige Hintergrundmusik, in der das Klavierspiel fortgesetzt wird und ein aufdringliches Schlagzeug hinzukommt, dass man der Inhalt zweitrangig wirkt. Das ist erst enttäuschend und bei mehrmaligem Hören schade. Denn der Text hat durchaus Beachtung verdient.

Die ersten zwei Strophen dienen als Aufrüttelung und bestehen hauptsächlich aus Fragen. Hast Du alles probiert? […] Wenn nicht fang an. Hier wird in erster Linie auf mögliche Versäumnisse hingewiesen und das gleichzeitig mit der Aufforderung verbunden, diese möglichst rasch zu beseitigen. Dabei zielen die Fragen nicht auf konkrete Dinge oder Handlungen ab, sondern eher auf generelle Zustände. Hat man „probiert“, „versucht“, „getan“, „gelebt“  und „gedreht“ was man wollte beziehungsweise wie man wollte. Diese Fragen sind gar nicht mal so einfach zu beantworten und sicherlich hat nicht jeder sich mit jeder auseinandergesetzt. Daher fungiert die dritte Strophe als Aufforderung zur Zielbestimmung. Eine Reihe von „W“-Fragen fügt sich zu einer Strophe zusammen, die eine Reihe von wichtigen Lebensfragen abdeckt. Auch hier geht es darum, dass sich der Hörer nach den Fragen, ob man genug getan hat, darüber im Klaren wird, was er eigentlich tun will. Der erste Teil vor dem Refrain fordert den Hörer auf, sich damit auseinanderzusetzen, was man im Leben erreichen möchte, wie man sein Leben lebt und ob man diesen Zielen tatsächlich folgt.

Der Refrain folgt dann einem anderen Schema. Hier wird nicht dazu angeregt, den eigenen Lebensstil zu hinterfragen, sondern es wird allgemein ermutigt. Keiner wird Dich zerstören, folgt dabei der ultimativen Bestätigung des Lebens, dem Herzschlag. Solange „Feuer“ sprich Elan und „Liebe“ vorhanden seien, sei das Herz dann auch über die biologische Funktion hinaus am Leben. Das ist nett, aber wie bereits erwähnt, etwas zu stark auf eine Zeile (Du bist am Leben) fixiert.

Der zweite Teil beschäftigt sich in drei Strophen dann mit den Grenzen der eigenen Ziele. Sie drehen sich um „glauben“, Betrug und natürlichem Widerstand. Jeder Mensch glaubt an irgendetwas. Das wird hier hinterfragt. An was willst Du glauben, oder glaubst Du an Dich, verrät dabei genau so eine kritische Einstellung gegenüber Glaubensmodellen, die über den Glauben an Selbstverwirklichung hinausgehen, wie die spätere Zeile Und für wen wirst Du beten, weißt Du wirklich warum. Keinen Glauben einfach hinnehmen, sondern auch einmal zu hinterfragen, ist die Aufforderung dieser Zeilen. Dabei ist auch der Glauben an die eigenen Fähigkeiten nicht zu unterschätzen.
Auch das Thema des Betruges dreht sich nicht nur um das „betrogen werden“. Wie oft belügst Du Dich, weißt auch darauf hin, dass es durchaus beliebt ist, sich selbst etwas vorzumachen. Oft merkt man gar nicht, in welchen Situationen man sich selbst etwas vormacht.

Es hilft nun aber nichts, alles erreichen zu wollen. Jede Zielsetzung bedarf auch einer vorherigen Überprüfung, was überhaupt machbar ist. Wie viel Tür’n wirst Du öffnen, welches Schloss knackst Du nie, drückt genau das aus. Denn es hilft auch, wenn man sich bewusst ist, welche Schlösser einem verschlossen bleiben beziehungsweise vor was man „in die Knie“ geht. Die letzte Strophe des zweiten Teils konzentriert sich dann darauf, an welchen Dingen man „weint“ beziehungsweise „stumm“ bleibt. Hierein fällt auch die oben genannten „beten“-Zeilen. Sie wird abgeschlossen mit der Aufforderung darüber nachzudenken, mit wem man eigentlich lebt. Bei wem will man „schlafen“, vor wem „rennt“ man weg, für eine Lebsensführung ist es auch wichtig, sich mit seinen Mitmenschen zu arrangieren.

Insgesamt, das wird glaube ich aus den obigen Ausführungen sehr deutlich, bestehen die Strophen vor allem aus Fragen, die zum Nachdenken auffordern. Das wird leider nicht durch die Melodie unterstützt. Die Fragen wirken beim Hören des Liedes kaum wie Fragen. Vielleicht ist das aber auch ein Vorteil, schließlich will man sich nicht häufiger ein Lied anhören, das sich wie eine Ansammlung von Aufforderungen anhört.

So ist das Lied gut anzuhören. Es besitzt zudem die typische „Rosenstolz“-Eigenschaft, dass es mit jedem Mal hören etwas besser wird. Denn erst dann fällt einem der Text so auf, dass man auch darüber nachzudenken anfängt. Die Instrumentalik sorgt dafür, dass das eher reflektierende Thema in ein aufbrechendes, fröhliches Lied verwandelt wird. Dieser Widerspruch wirkt aber nicht besonders merkwürdig. Stattdessen sorgt die Unterschiedlichkeit dafür, dass man das Lied auch gerne hört.

Nach mehrfachem Hören in den vergangenen Wochen wirkt das Lied auf mich jetzt beinahe sehr gut. Es kommt nicht an viele sehr gute Rosenstolz-Lieder heran. Doch der interessante Unterschied zwischen Text und Melodie, der teilweise sehr gelungene Text und das nachdenkliche und doch den Höhrer fordernde Thema überzeugen durchaus.

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