Das dritte Ohr (ARD Radiotatort)
|„Das dritte Ohr“ ist die Fortsetzung des Meiringer-Radiotatorts “ Der dunkle Kongress „. Spielte der Vorgänger noch im Jahr 1891, so hat es der zweite Teil in die Gegenwart geschafft: Wir schreiben das Jahr 2020. Wieder reist ein Kommissar H.P. Anliker nach Meiring. Diesmal hat er es nach einigen stressigen Ermittlungen auf eine Erholungsklinik abgesehen, um seinen Hörsturz zu behandeln. Vor Ort trifft er jedoch auf die AURIS-Sekte, die die gesungenen Botschaften eines mysteriösen Kindes verehren. Ihnen steht eine Gruppe Einheimischer gegenüber, die vehement gegen die Sekte ankämpfen. Daher ist eine alte Freundin Anlikers damit beauftragt, potentielle Ausschreitungen zu verhindern. Doch bereits in seiner ersten Nacht in der Hörsturztherapie beginnt Anliker unter dem Einfluss seiner Medikamente im Wald zu schlafwandeln und stößt auf die Leiche des Kindes. Anliker alarmiert die Polizei, doch bald taucht das Kind lebendig wieder vor der Sekte auf.
Wie auch der Vorgänger ist „Das dritte Ohr“ ausgesprochen mysteriös gehalten. Anliker ist stolz auf sein rationales, logisches Vorgehen. Bereits nach wenigen Tagen in Therapie ist von dieser Rationalität nicht merh viel übrig. Anliker kann kaum noch zwischen Traum und Wahn unterscheiden, selbst die fanatischen Einstellungen der Sekte erscheinen ihm plausibel. Das ist atmosphärisch überzeugend umgesetzt. Wie im Vorgänger scheint die Mystery-Ausrichtung jedoch nicht ganz zum Reihenkonzept zu passen. An mehreren Stellen gibt es Verbindungen zu den Ereignissen des Vorgängers sowie Ausblicke auf den, vermutlich in der Zukunft spielenden abschließenden Teil der Trilogie. Das versperrt den Blick auf die psychische Extremsituation, der Anliker ausgesetzt ist. Anliker leidet nämlich unter regelmäßigen Episoden, in denen ihm das Hörvermorgen abhanden kommt. Dies kommt in der Handlung mehrfach vor, wird jedoch meist für Referenzen an den Vorgänger verwendet, anstatt zu erforschen, welche Traumata den Kommissar verfolgen.
Am Ende muss sich Anliker gar keiner großen Herausforderung stellen. Er versteift sich darauf, herauszufinden, was es mit der Leiche des Kindes auf sich hat. In seinem Eifer begeht er eine Reihe von Fehlern, die am Ende in einer Katastrophe für die Anhänger der Sekte enden. Hinter dem Fall verbirgt sich eine ausgesprochen tragische, aber auf rationalen Motiven wie Geldsucht, Manipulation und Eifersucht begründete Familiengeschichte. Das führt zu einem spannenden, etwas unkonventionellen Ende. Erstmals wird der Zuhörer in dieser Episode direkt angesprochen, die Finalszene erinnert eher an eine Theateraufführung anstatt an ein Hörpsiel. Das ist eine deutlich interessantere Stiländerung als die Mystery-Komponente der Meiringer Tatorte.
Der Tatort endet mit einer vermeintlich umfassenden Erklärung für die Kindesleiche, das mysteriöse Verhalten der Sektenführer und den Mord an den Sektenmitgliedern. Andererseits hört Anliker auch am Ende noch die Stimmen seiner Vorfahren (oder Namensvettern) aus dem ersten Teil. Anders als in dem ausgesprochen offenen ersten Teil, ist „Das dritte Ohr“ nicht nur spannender und ereignisreicher, sondern präsentiert ein befriedigenderes Ende, das zudem deutlich mehr Interesse an dem Abschluss der Trilogie weckt. Denn auch wenn einige Aspekte der Handlung zu phantastisch für den Radiotatort wirken, so unterhält dieser zweite Teil doch gut und könnte mit einer gelungenen Auflösung in der Abschlussfolge rückblickend gar noch besser wirken. Auf jeden Fall erscheint das Schweizer Trilogiekonzept nach dieser Folge als eine angenehme Abwechslung von der Routine der Serie.