The Obelisk Gate (von N.K. Jemisin)

Eine fünfte Jahreszeit („Season“) ist über die Welt eingebrochen. Der Mond schwebt schon lange nicht mehr in der Umlaufbahn der Erde. Die tektonischen Aktivitäten haben sich verschärft und in regelmäßigen Abständen müssen die Menschen in vorbereitete Höhlen fliehen, da in den „Seasons“ das Leben auf der Erdoberfläche unmöglich wird. Gleichzeitig gibt es so genannten Orogene, die mit nahezu magischen Fähigkeiten die Bewegungen der Erdoberfläche beeinflussen können. Die einfache Bevölkerung hegt eine große Abscheu gegenüber diesen magisch begabten Wesen, auch weil diese untrainiert ihre Kräfte nicht unter Kontrolle haben. Essuns Gatte wusste nichts von ihren orogenen Fähigkeiten und tötete den gemeinsamen Sohn als er diese herausfand. Statt seine geliebte Tochter Nassun ebenfalls zu töten, floh er mit ihr, in der Hoffnung irgendwo einen Ort zu finden, um sie von ihren Fähigkeiten zu „heilen“. Essun verfolgte ihren Gatten, musste jedoch vor der hereinbrechenden „Season“ in der von einer Orogenen geleiteten Gemeinschaft Castrima Unterschlupf suchen. Nassun und ihr Vater hingegen erreichten „Found Moon“, in denen eine Gruppe einstiger Orogenen-Wächter ein Trainingslager für Orogene errichtet haben. Dort wird Nassun von Schafa, Essuns einstigem Kontrolleur trainiert, muss aber ihrem Vater vorspielen, sie arbeite daran, ihre Fähigkeiten abzulegen. Schaffe versuchte einst, Essun wegen Regelverstößen zu töten. In der darauf folgenden Auseinandersetzung verlor er seine Erinnerung und hegt nun mehr Sympathien für Orogene als früher. Er ist erschreckt über die Abneigung Nassuns gegenüber ihrer Mutter und findet mit der Zeit heraus, dass dies an Essnus brutalen Trainingsmethoden liegt – die sie einst von ihm gelernt hat. Essun wird in Castrima hingegen von ihrem einstigen Lehrmeister Alabaster, aufgesucht. Dieser eröffnet ihr, dass er sterben wird, aber möglicherweise einen weg kennt, die hereingebrochene „Saison“, die die längste jemals erlebte zu werden droht, frühzeitig zu beenden. Essun muss ihren Verlust verarbeiten und dennoch ihre Kräfte unter Kontrolle behalten, um Castrima gegen Feinde zu verteidigen und die „Season“ zu beenden. Nur dann hat sie die Chance, ihr Tochter wiederzusehen.

Der grandiose Vorgänger „The Fifth Season“ präsentierte dem Leser eine komplexe und phantastische Welt. Der Roman wurde aus drei generationenübergreifenden Perspektiven erzählt, sodass man die kindliche, jugendliche und erwachsene Essun erlebte, wie sie mit ihrer Gabe und der damit verbundenen Bürde und Ausgrenzung umging. Die zunächst klein wirkende, gegen ihre Bewohner kämpfende Welt öffnete sich dabei immer weiter und auf diese Art entwickelte sich ein beeindruckendes Panorama. In „The Obelisk Gate“ ist die Welt eine andere. Sie hat sich wieder einmal aktiv gegen ihre Bewohner gewendet und ist dadurch kleiner geworden. Die Handlungsschauplätze sind nun Flüchtlingszüge, in erster Linie aber Höhlen, in denen man sich vor der unwirtlichen Gegenwart versteckt. Der inhaltliche Abriss des zweiten Teils dieser Trilogie macht aber deutlich, dass Jemisin auch in „The Obelisk Gate“ wieder viele verschiedene Handlungselemente spielerich miteinander verbindet. Die komplexe Sozialstruktur dieser gebrochenen Welt ist immer direkt erfahrbar. Und während sich Nassun und Essun mit ganz alltäglichen Problemen auseinandersetzen, schwelt im Hintergrund ein Konflikt um die Zukunft der Erde: Während eine Seite sich wünscht, die Erde wieder zu heilen, u.a. in dem der Mond wieder in die Erdumlaufbahn zurückgeholt wird, steht eine andere Fraktion dem ablehnend gegenüber. Und während die Auseinandersetzung zunächst arg theoretisch wirkt, wandelt sie sich im Laufe dieses spannenden Romans zu einem blutigen Krieg aus.

Jemisin geht es jedoch nicht nur um diese epische Umwelthandlung. Natürlich rückt die Erde selbst in „The Obelisk Gate“ in den Mittelpunkt. Emotional wird der Roman jedoch von seinen beiden Protagonistinnen getragen. Nassun wurde jahrelang von ihrer Mutter beschützt und trainiert. Dabei wendete Essun die brutalen Mechanismen ihrer einstigen Wächter an. Die Idee dahinter ist, dass ein Kind, das auch unter großen Schmerzen seine orogene Gabe unter Kontrolle hat, niemals diese Gabe zufällig gegneüber potentiell feindlich gesonnen Menschen enthüllen wird. Für Nassun war das Training jedoch die reinste Folter und ihr Vater erschien ihr daher immer liebenswürdiger. Auf der Flucht muss sie nun erfahren, dass ihr Vater Orogene lieber tötet als sie neben sich zu tolerieren. Und so entwickelt sich für das Kind ein großes Paradox: Immer wieder betont Nassuns Vater seine Liebe zu seiner Tochter. Dabei kann er aber nicht verbergen, dass dies nur gilt, wenn sie ihre Gabe – oder je nach Betrachtungsweise: ihren Fluch – ablegen wird. Wie aber, so fragt sich Nassun, kann man jemanden unter so großen Bedingungen lieben? Gleichzeitig erfährt Nassun durch Schaffe – den Folterer ihrer Mutter – erstmals das Gefühl bedingungsloser Liebe. Dadurch entwickelt sich in ihr eine Zuneigung, die zu kindlichem Vertrauen und damit zu beinahe bedingungsloser Loyalität gegenüber dem Wächter führt. Nassun beginnt, Schaffa notfalls mit Gewalt gegen alle Feinde zu helfen, ohne dabei nachzufragen, warum sie für ihn tötet. Und in diesem Prozess entfernt sie sich immer weiter von ihrem Vater. Obwohl in diesem Handlungsstrang relativ wenig passiert und genau so wenig über die eigentlichen Pläne des mal geläuterten, dann aber wieder so gewalttätig wie früher auftretenden Schaffas enthüllt wird, ist Nassuns Lehrzeit ausgesprochen bewegend. Ihre emotionale Zerissenheit, ihre Schwierigkeiten ihr komplexes Umfeld zu durchdringen und die schwerwiegenden Fehler, die sie macht, berühren und lassen einen weiteren schmerzerprobten Charakter heranwachsen. Jemisin zeigt durch diesen packende Entwicklung die emotionalen Folgen auf die Ausgrenzung und fehlende Akzeptanz in der Realität auf Kinder und ihre Familien haben.

Essun wiederum ist ebenfalls innerlich zerissen. Sie fühlt den Schmerz über den Verlust ihres Sohnes und die Entführung ihrer Tochter. Sie hat alle Brücken in ihre Heimat abgebrochen und muss sich nun in einer Höhle mit ihrem alten Lehrer und Liebhaber Alabaster auseinandersetzen. Als wäre dies noch nicht genug, scheint auf ihren magischen Fähigkeiten die Hoffnung zu ruhen, die Erde wieder zu beruhigen und zu heilen. Und gerade deswegen wird sie zur Zielscheibe all derjenigen, die den derzeitigen Status der Erde gerne behalten möchten. Anders als Nassun hat Essun ein langes Leben an Ausgrenzung hinter sich. Sie begegnet daher allem nicht orogenen mit Misstrauen (und dem meisten orogenen vertraut sie ebenfalls nicht). Gleichzeitig ist sie sich des Ausmaßes ihrer Kräfte noch immer nicht ganz bewusst und erforscht mit Alabasters Hilfe, in wie weit sie die über die Welt verstreuten Obeliske zur Heilung der Erde einsetzen kann. Auch dieser Teil lebt von Spannungen. Essun wird zu einem wichtigen Teil der Gemeinschaft in Castrima. Gleichzeitig ist klar, dass viele Menschen in Castrima ihre Orogene Führung nur akzeptieren, solange diese ihnen einen Nutzen bringen. Die Vorurteile und Progromstimmung ist auch hier deutlich spürbar. Essun gibt den Großteil ihrer Kraft dafür, das Überleben dieser sie nur teilweise akzeptierenden Gemeinschaft zu sichern. Dabei muss sie sich strikter Disziplin unterordnen. Gleichzeitig sehnt sie sich jedoch nach Freiheit, um ihre Tochter zu finden. Die feinen Konflikte der Höhlengesellschaft sind sehr überzeugend dargestellt und Essuns Konflikt bewegt genau so wie Nassuns Zerissenheit. Alles läuft auf eine Bewährungsprobe hinaus als Castrima von einer mächtigen Nachbargemeinschaft angegriffen wird. Was zunächst als ein Konflikt zwischen zwei menschlichen Gemeinschaften wirkt, artet zu einer entscheidenden Auseinandersetzung über die Zukunft der Erde aus: Möchte man die Schäden am Umweltsystem reparieren oder so weiterleben wie bisher?

„The Obelisk Gate“ gibt auf diese Frage keine Antwort, die folgt vermutlich erst in dem Abschlussroman. Wohl aber gibt der Roman viele Einblicke in den Hintergrundkonflikt, macht Ereignisse aus dem ersten Teil verständlicher und vertieft vor allem die mit Ausgrenzung, Einsamkeit und Verrat konfrontierten Charaktere Essun und Nassun. Das ist auf seine ruhige, konstante und epische Art genau so spannend wie der sich ständig verändernde erste Teil. Die Spannung rührt wieder aus einer aus der die Welt verändernden, phantastischen Makrohandlung um die magische Rückkehr des Mondes und den subtil und eindringlich geschilderten, schmerzhaften Alltagserfahrungen gesellschaftlicher Intoleranz und familärem Verlust, die Jemisin geschickt miteinander verknüpft.

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