Away with the Wolves (von Sarah Gailey)

Suss verwandelt sich regelmäßig in einen Wolf. In diesen Phasen ist sie glücklich, als Mensch ist sie von Schmerzen und Unwohlsein geplagt. Doch sie stellt als Wolf auch eine Bedrohung für die Dorfgemeinschaft dar, die ihr sehr am Herzen liegt. Während einer ihrer letzten Verwandlungen riss sie sogar eine Ziege. Sie zwingt sich daher dazu, so selten wie möglich als Wolf durch die Welt zu laufen. Ihre Freundin Yanna hält dies für eine Schnappsidee, da sie erkennt, dass Suss nur als Wolf wirklich glücklich ist. Sie überzeugt Suss davon, an den Dorfrand umzuziehen, wo sie eine geringere Gefahr für die Dorfbewohner und ihr Vieh darstellt. Suss tut das und merkt, dass sie durch ein „verantwortlicheres“ Wolf-Sein sogar von ihren Mitbürgern akzeptiert wird. Am Ende lernt sie nicht nur einen Wolf-Freund kennen, sondern erfährt auch, dass dieser Wolf für den Tod der Ziege – eine Tat, die sie beinahe dazu gebracht hätte, auf ihr Glück zu verzichten – verantwortlich war.

Gaileys Erzählung greift das Thema „Anderssein“ auf eine sehr interessante Art und Weise auf. Suss ist eine Art gutmütiger Werwolf. Sie hat sich nicht gänzlich unter Kontrolle als Wolf, gibt sich aber größte Mühe, ihre Mitbürger nicht zu beeinträchtigen. Sie weiß, dass sie als Wolf glücklicher ist als in ihrer menschlichen, schmerzhafteren Form. In dem mittelalterlichen Setting der Erzählung würde man eigentlich erwarten, dass die Dorfgemeinschaft mit Suss während ihrer übersinnlichen Kräfte kurzen Prozess macht. Tatsächlich würden wir wahrscheinlich auch in unserer heutigen Gesellschaft erwarten, dass die Mehrheit auf etwas radikal Anderes erst einmal radikal ablehnend reagiert. „Away with Wolves“ ist daher eine Utopie. Hier erfährt Suss Unterstützung von ihrer besten Freundin. Sie erfährt nicht wie z.B. In der bewegenden Kurzgeschichte X Anpassungsdruck ausgerechnet von ihren besten Freundinnen, sondern erlebt stattdessen Verständnis und sogar Druck, sich für das Leben zu entscheiden, was ihr am meisten Glück bringen wird. Freunde sollten sich immer so verhalten wie Yanna.

Gleichzeitig wirkt die Geschichte durch das utopische Element ein wenig zu glatt. Der Konflikt ist kaum vorhanden. Nicht einmal die Dorfbewohner, die finanzielle Verluste durch Suss erleben – denn Suss kann trotz größter Mühen nicht jeden ihrer Übergriffe finanziell kompensieren – sind ihr trotz vorgespielter Härte verbunden. Die Lösung, an den Dorfrand zu ziehen, zeichnet sich rasch ab und ist wenig überraschend. Außerdem sind nicht nur alle Menschen letztlich herzensgut, sondern auch Suss wölfische Freunde. Das unterstreicht den utopischen Charakter der Erzählung, lässt aber mögliche (spannende und aussagekräftige) Konflikte ungenutzt. „Away with Wolves“ lebt von der hoffnungsfrohen und inspirierenden Stimmung. Die Erzählung zeigt, dass Akzeptanz keine ausschließliche Eigenschaft moderner Gesellschaften sein muss, auch in anderen Zeiten hätte vorkommen können und im Gegenteil in unserer Gesellschaft vielleicht noch gar nicht so weit entwickelt ist wie in Gaileys Beispiel. Dieses nachdenkliche und gelungene Thema hätte jedoch eine ereignisreichere Handlung mit komplexeren Auseinandersetzungen verdient.

Die Erzählung „Away with the Wolves“ von Sarah Gailey ist 2019 im Uncanny Magazin erschienen und auf der Homepage des Magazins frei verfügbar. Sie ist außerdem für den Hugo Award 2020 in der Kategorie „Best Novelette“ nominiert. 

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