The City in the Middle of the Night (von Charlie Jane Anders)

Mithilfe eines Generationenschiffes ist die Menschheit auf den Planeten Januar gelangt. Die Hälfte des Planeten befindet sich in ständiger, kalter Dunkelheit, die andere Hälfte durchlebt einen nie endenden, heißen Tag. Während der Überfahrt kam es zu Konflikten und auch auf dem Planeten führte die Menschheit weiterhin Kriege. Die letzten Reste der Menschheit leben nun in den zwei verbliebenen Städten auf einer dünnen, gerade noch für Menschen verträglichen Übergangslinie zwischen dem ewigen Tag und der ewigen Dunkelheit. Während die Ressourcen des Planeten langsam zur Neige gehen, gelingt es beiden Städten immer schlechter, sich gegen die Monster der Umgebung und die immer stärker werdenden Naturkatastrophen zu verteidigen. Xiosphant versucht das Problem durch eine autoritäre Diktatur zu lösen, die jede Sekunde des Lebens reguliert und kontrolliert. In Argelo setzt man stattdessen darauf, dass kapitalistische Prinzipien die sinkenden Ressourcen am gerechtesten verteilen. Sophie hat in dieser Situation das Unmögliche geschafft: Aus einem armen Quartier in Xiosphant hat sie sich an eine Eliteschule hochgearbeitet. Dort teilt sie ihr Zimmer mit Bianca, die aus gutem Hause kommt und in die sich Sophie verliebt. Als Sophie eines Tages die Verantwortung für einen kleinen, von Bianca verübten Diebstahl übernimmt, wird sie aufgrund ihrer Herkunft umgehend exekutiert. Das bedeutet in Xiosphant, dass sie von einer Klippe in die ewige Dunkelheit geworfen wird. Dort sieht sich Sophie einem der tödlichen Krokodile des Planeten gegenüber und muss zu ihrer Überraschung feststellen, dass sie mit dem Wesen kommunizieren kann. Derweil arbeitet Mouth nach dem Tod ihres Stammes als Schmugglerin. Sie hat gerade einen Deal in Xiosphant erledigt als sie erfährt, dass im Palast der Stadt das letzte Kulturgut ihres ausgestorbenen Volkes aufbewahrt wird. Umgehend plant sie einen Einbruch in den bestgesichertsten Ort des Planeten.

Der Planet Januar ist eine realistisch wirkende Hölle. Akzeptiert man einen still stehenden Planeten, so wird die Hölle, auf der die Menschheit hier gelandet ist, rasch duetlich. Anders entwirft auf diesem Planeten eine scharfsichtige Dystopie, in der die Menschheit selbst in Generationenraumschiffen nicht davon lassen konnte, sich gegenseitig zu bekämpfen. Angesichts immer knapper werdender Ressourcen werden Verteilungskämpfer immer stärker, schließlich muss es immer mehr Verlier geben. Doch selbst die vermeintliche Hoffnungslosigkeit des zukünftigen Endes verhindert nicht, dass es noch jugendliche Träumer gibt, die daran glauben, eine bessere Zukunft schaffen zu können. Außerdem gelingt es selbst den autoritärsten Machthabern nicht, kulturelle Identitäten und Unterschiede auszumerzen. Vielfalt und Hoffnung bleiben der Menschheit also genau so erhalten wie Hass und Gewalt.

Gleichzeitig ist Januar eine zutiefst phantastische Welt. Das liegt nicht nur daran, dass die meisten Regionen für Menschen nicht betretbar sind und dadurch unnahbar und mysteriös wirken. Bereits zu Beginn des Romans tauchen intelligente Krokodile auf und kommunizieren mit Bianca. Es ist immer klar, dass es auf Januar mehr gibt, als Menschen verstehen können. Im Verlauf des Romans wird darüber hinaus deutlich, dass die Menschen wieder einmal schwere Schäden am Ökosystem eines Planeten hinterlassen haben. Das geschah wie auf der Erde im Laufe der industriellen Revolution erst einmal aufgrund von Unkenntnis. Bianca findet jedoch in ihren Gesprächen mit den Krokodilen heraus, dass diese eine Zivilisation auf Januar errichtet haben, die weit über das menschliche Vorstellungsvermögen hinaus geht. Diese Verbindung aus realistischen Gesellschafts- und Planetenbeschreibungen in Verbindungen mit einem phantastischen und mysteriösen Ökosystem geben dem Roman eine faszinierende Atmosphäre.

Charlie Jane Anders Sprache ist klar und eindringlich. Trotz des hier skizzierten, komplexen Settings gelingt es ihr, Beschreibungen beinahe gänzlich zu vermeiden. Stattdessen werden dem Leser immer wieder einzelne Mosaikstücke in Dialogen präsentiert. Dadurch entsteht Stück für Stück ein detailliertes Bild Januars und seiner höchst unterschiedlichen und gleichsam brutalen menschlichen Gesellschaften in Xiosphant und Argelo. Anders schafft dabei das Kunststück, Januar so vage zu halten, dass die Geheimnisse des Planeten und seiner Städte immer für Spannung sorgen und man gleichzeitig so regemäßig mit Informationen versorgt wird, dass Unklarheiten niemals überl aufstoßen.

Vor diesem Hintergrund startet „The City in the Middle of the Night“ zunächst als „Coming of Age“-Geschichte. Sowohl Bianca als auch Sophie sehen in der jeweils anderen nicht nur die erste wirkliche Freundin, sondern auch eine Heldin. Durch ihre frühe Trennung – Bianca muss nach ihrer „Exekution“ untertauchen – idealisieren sie einander. Mouth idealisiert derweil ihr früheres Leben bei einem mittlerweile ausgerotteten nomadischen Volk. Im Laufe des Romans müssen alle drei Charaktere ihre Idealisierungen überwinden. Das ist für jeden mit schmerzhaften Erkenntnisen verbunden. Wie ihre Gesellschaftsbeobachtungen gelingt es Anders durch klare Dialoge und Charakterisierungen den Schmerz über Verluste und gescheiterte Liebe spannend und bewegend zu schildern, ohne dabei die Zerissenheit ihrer Protagonisten direkt beschreiben zu müssen. Bald wechselt die Handlung jedoch in einen „Roadtrip“. Dadurch erfährt der Leser mehr über Januar. Anders erlaubt die Mischung aus großen Gefühle und ständigen Gefahren jedoch auch das Spannungslevel des Romans permanent hoch zu halten.

„The City in the Middle of the Night“ überzeugt daher nicht nur durch ihre ungewöhnliche und dramatische Kulisse, sondern vor allem mit der spannenden Handlung, in der drei gelungene, nachvollziehbaren und vielschichtigen Hauptprotagonist um ihren Weg zu Glück und Liebe ringen und gleichzeitig in der sich langsam anbahnenden Apokalypse und Diktatur überleben müssen. Dabei wechselt der Roman in Windeseile von hektischen Überlebenskämpfen zu urmenschlichen Gefühlsregungen und schafft dabei in vielen der zahlreichen knappen Kapitel nachdrückliche Szenen und beeindruckende Bilder. Das alles kulminiert in einem spannenden und herzzerreißenden offenen Ende, das die meisten der Fragen über Glück, Liebe und menschliches Leben auf angenehme Art dem Leser zum Nachdenken überlässt.

„The City in the Middle of the Night“ ist für den Hugo Award 2020 in der Kategorie „Best Novel“ nominiert.

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