Gideon the Ninth (von Tamsyn Muir)

Gideon ist im neunten Haus eines interstellaren Imperiums aufgewachsen. Neben der Erbin des Hauses, Harrow, ist sie die einzige junge Frau in ihrem Alter. Jedes der neun Häuser des Imperiums praktiziert eine andere Art der Magie und die des neunten Hauses dreht sich in erster Linie um den Tod. Gideon findet den Fokus auf den Tod und die Abwesenheit junger Leute deprimierend und versucht immer wieder zu fliehen. Das liegt auch an der tiefen Abneigung, die Gideon und Harrow füreinander empfinden. Allerdings sind die Herren des Hauses, Harrows Eltern, längst verstorben und durch das Fehlen einer neuen Generation steht das neunte Haus kurz vorm Aussterben. Harrow verhindert jedoch jeden Fluchtversuch Gideons. Doch dann lädt der Imperator die Erben aller Häuser zu einem Wettstreit um die Position als Lyctor an seiner Seite ein. Da jeder Erbe dafür einen Kavalier benötigt und der Kavalier des Neunten längst vergreist ist, verspricht Harrow Gideon die Freiheit, wenn sie erfolgreich für Harrows Position als Lyctor kämpft. Gideon willigt ein. Die beiden jungen Frauen finden sich bald darauf in einer weiträumigen Anlage mit den Erben und Kavalieren aller Häuser eingesperrt, in der sie komplexe Rätsel lösen müssen, um die Lyctorwürde zu erlangen. Zunächst scheint es als seien Gideons mangelnde Erfahrung als Kavalier und die ständigen Konflikte mit Harrow ihr größtes Problem. Doch dann beginnt eine Mordserie unter den Teilnehmern der Wettstreits.

Tamsyn Muir schafft eine interessante Mischung aus Horror- und Science Fiction-Welt. Die neun Häuser praktizieren in erster Linie Nekromantie. Dabei sind sie in unterschiedlichem Grad mit dem Tod verbunden, wobei das Neunte Haus als Wächter über eine Grabstätte ganz besonders gerne Skelette in ihren Zaubern verwenden. Gleichzeitig sind die Häuser auf verschiedenen Planeten verteilt und unterstehen einem Imperator, der einen Krieg gegen seine Erzfeinde führt. Das gibt dem Setting etwas Science Fiction Flair. Diese Mischung rustikaler Nekromantie und Feudalherrschaft in Verbindung mit modernster Technik ist interessant. Leider erfährt man über diese Welt nur sehr wenig. Es dauert sehr lange, bis man überhaupt die groben Hintergründe des neunten Hauses versteht und die gesamte Feudalstruktur kennen lernt. Und bevor man wirklich etwas von der Welt gesehen hat, sind die Erben aller Häuser bereits in einer Art Escape-Room gefangen und müssen ihren mit Rätseln gepflasterten Weg zum Lyctorship bestrehten. Das ist für die Geschichte, die Muir erzäheln möchte wichtig, nutzt das Potential der Erzählung aber nicht aus.

Das Flair eines Escape-Rooms wird bald mit dem eines Kammerspiels ausgetauscht. Spätestens ab dem ersten Mord ist klar, dass mindestens eines der Häuser mit falschen Karten spielt. Es stellt sich im Verlauf der Erzählung jedoch heraus, dass alle Häuser beim Erreichen ihrer Ziele tricksen. Das ist ermüdend. Gideon steht zwischen allen Fronten, kann nicht mal ihrer eigenen Herrin trauen. Dadurch erlebt man aus erster Hand wie verrotet die Strukturen des Imperiums sind. Gleichzeitig ist aber kein Charakter wirklich sympathisch, die Mord- und Gewaltorgien des Romans erscheinen daher eher repetitiv als fesselnd.

So wie das Setting ist auch der lakonische Ton des Romans grunsätzlich gelungen. Gideon ist mit den Jahren des erstarrten neunten Hauses zynisch geworden. Sie bemüht sich einen starken Gegensatz zu der tristen Stimmung ihres Hauses zu setzen, lebt offen hedonistisch und freut sich bereits auf die nächste Lektüre eines Pornoheftes. Gleichzeitig bemüht sie sich immer wieder zu demonstrieren, wie wenig sie sich für Harrow und deren Schicksal interessiert. Und obwohl der Roman eigentlich den Wettstreit zwischen allen neun Häusern thematisiert, ist letztlich diese Beziehung entscheidend. Gideon erfährt die Geheimnisse des neunten Hauses, deren Folgen sie ihr ganzes Leben lang ausbaden musste, und Harrow lernt, dass sie Gideon vertrauen kann. Dieser Prozess ist nett, aber nicht besonders emotional: Wie über die Häuser und den interessanten Horror und Science Fiction-Mix weiß man schlicht zu wenig über Gideons und Harrow. Beide verstecken sich hinter einer Mauer aus Zynismus (Gideon) und Ambitionen (Harrow) und bleiben dadurch bis kurz vorm Schluss distanziert, nur um dann um so näher zueinander zu finden. Selbiges gilt für die viel zu vielen anderen Figuren des Romans, die meist nur kurze Auftritte haben, bevor sie im Anschluss Opfer des Mörders unter den neun Häusern werden.

„Gideon the Ninth“ ist ein kurzweiliges Kammerspiel, das brutale Morde in eine leichte, um keinen Gag verlegene Sprache verpackt. Der Roman enthält viele interessante Ansätze und – nachdem Gideons und Harrows Hintergrund kurz vorm Ende des Romans verraten wird – sogar zwei interessante Hauptfiguren. Bis dahin bleibt das Ensemble jedoch blass und distanziert. In dem Moment, an dem sich die Geschichte endlich gefunden hat, endet sie auch schon auf dramatische Weise. Mit weniger Häusern, weniger Morden und einem klareren Fokus auf der faszinierenden Welt und ihren beiden Hauptdarstellerin statt nur deren Witzen wäre „Gideon the Ninth“ deutlich stärker geraten.

„The City in the Middle of the Night“ von Tamsyn Muir ist für den Hugo Award 2020 in der Kategorie „Best Novel“ nominiert.

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