Empire of Silence (von Christopher Ruocchio)

Hadrian Marlowe ist der erstgeborene Sohn des Lords von Delos. Allerdings sieht sein Vater in ihm nicht die notwendige Brutalität, um den Planeten für die Familie zu halten. Hadrian soll daher ein Priester werden. ImImperium bedeutet dies, dass er ein folternder Inquisitor werden wird, um den staatlich verordneten Glauben am Leben zu erhalten. Für den feinfühligen, abenteuerlustigen und sprachbegabten Hadrian ist dies eine Horrorvorstellung. Er organisiert daher mit der Hilfe seiner Mutter eine Flucht von Delos, um sich einer Forschergemeinschaft anzuschließen. Doch bei der Reise im Kälteschlaf gerät er an die falschen Hände und wacht bald ohne seine Habseligkeiten in den Armenvierteln des abgelegenen Planeten Tarbean auf.

„Empire of Silence“ soll ganz offensichtlich der Auftakt einer epischen Reihe werden. Ruocchio gelingt es mit vielen Anleihen bei bekannten Science Fiction-Universen tatsächlich, dieses Gefühl zu erschaffen. Der zunächst enge Fokus auf die internen Dynamiken der Marlowes, weitet sich sobald Hadrian in Armut um seine Überleben kämpfen muss. Dabei wird immer deutlich, dass es in dieser durchreglementierten Welt noch viele Geheimnisse zu entdecken gibt. Verbunden mit einem gefälligen Schreibstil und knappen, unzähligen Kapiteln erzeugt „Empire of Silence“ ein hohes Erzähltempo und aufgrund ausgesprochen geringer Reibungsfläche kurzweilige Unterhaltung.

Am spannendsten ist dabei die Rolle der Menschheit. Sie hat die Sterne besiedelt und ist dabei strukturell ins Mittelalter zurückgefallen. Eine kleine, priviligierte Adelsschicht beherrscht die kolonisierten Planeten, der Großteil der Bevölkerung lebt in bitterer Armut und harter Arbeit. Die meisten technischen Errungenschaften sind nach deren Missbrauch verboten und eine strenge sakrale Kaste wacht über deren Einhaltung. Die Menschheit hat nur ein einziges anderes intelligentes Volk entdeckt, die Cielcin, und umgehend einen seit mehr als 100 Jahre tobenden Krieg angezettelt. Darüber hinaus ist die Menschheit auf halb intelligente Wesen gestoßen, die umgehend versklavt wurden. Die Spannung zwischen der Unterdrückung von Menschen und anderen Völkern und denn ja eigentlich geradezu unendlich verfügbaren Ressourcen, ist interessant. Genauso interessant ist, wie ein Imperium trotz langsamer und schwerfälliger Raumfahrt eine geradezu totale Ordnung aufrechterhalten kann. Darüber hinaus trägt das mittelalterliche Feudalflair zur epischen Stimmung des Romans bei.

Leider leidet der Roman an drei großen Schwächen. Zunächst einmal erfährt man alles ausschließlich aus Hadrians Perspektive. Tatsächlich ist der Roman als eine Art Bericht des deutlich älteren Hadrians verfasst, in dem er auf die Vergangenheit zurückblick. Da ein Großteil der Handlung aber darum dreht, dass sich Hadrian in lebensgefährlichen Situationen befindet, geht durch diese Perspektive extrem viel Spannung verloren. Noch nerviger ist aber Hadrians wehleidiger Ton. Er ist der Galaxis als der Mörder der Cielcin bekannt und das schmerzt ihn. Für den Leser sind die Cielcin aber über weite Teile „nur“ der außerirdische Feind der Menschen. Es wird ab der zweiten Hälfte des Romans deutlich, dass Ruocchio plant, Sympathien für dieses missverstandene Volk aufzubauen. Doch selbst am Ende weiß man zu wenig über die Cielcin als dass Hadrians ständiges Wehklagen über den von ihm initiierten Genozid wirklich Spannung für die weitere Handlung aufbauen könnte.

Im Gegenteil „Empire of Silence“ leidet zweitens darunter, dass es eine fast 800-seitige Ankündigung von Ereignissen ist, die nie stattfinden. Natürlich passiert viel. In den streckenweise zu kurzen Kapiteln wird Hadrian ständig mit neuen, ungeahnten Herausfordeurngen konzentriert. Die eigentliche Handlung, Hadrians Positoin im Imperium sowie sein Ziel, ein Forscher zu werden, rückt dabei in der Regel aber nur in noch weitere Ferne. Das ist ärgerlich. Denn mit dem gefälligen Schreibstil und den eingängigen Charakteren hätte man durchaus eine solide Geschichte erzählen können. In diesem ersten Teil der Reihe bleibt die Handlung jedoch auf Tarbean hängen und fördert zudem – unter dramatischen Folterszenen – allenfalls homöopathische Informationen über die Cielcin zutage. Letztlich ist „Empire of Silence“ lediglich ein ausgesprochen umfangreiches Werk über Hadrians Jugendtage.

Und hier rächt sich zuletzt, dass Hadrian ein ausgesprochen miserabler Charakter ist. Das könnte dem Roman sehr gut tun: Ein reicher, versnobbter Adliger, der sich mit der Realität konfrontiert zum Besseren wendet. Leider ist das Gegenteil der Fall. Hadrian verhält sich in erster Linie vollkommen erratisch. Er hat hohe Ziele, möchte im Leben sein Glück in der Forschung finden. Kaum geht etwas schief, nistet er sich jedoch unter den Obdachlosen Tarbeans ein und gibt seine Ambitionen erst einmal auf. Das Prinzip wiederholt sich: Kaum ist seine Freundin an einer Krankheit gestorben, reizt ihn wieder der Ehrgeiz: Um sein Ziel zu erreichen, verdient Hadrian auf einmal Geld in einem Kolosseum. Als der Plan durch seine Enttarnung misslingt und er am Hofe gefesselt ist, ist sein Ehrgeiz umgehend wieder verschwunden. Nur um natürlich ein paar Kapitel später wieder aufzutauschen. Diese Inkonsistenz ist jedoch nicht das ärgerlichste. Hadrian hat zudem eine schreckliche Art mit Menschen umzugehen. In der Regel geht er jedoch Konfrontation mit einem Mensch, der ihm etwas bedeutet aus dem Weg. Auch das hätte die Erzählung stärken können. Am Hof seines Vaters hat Hadrian nie Nähe und schon gar nicht Liebe erfahren. In der Wildnis Tarbeans hätte er genau dies lernen können. Dazu kommt es aber nie. Hadrian pendelt stattdessen ständig zwischen absoluter Loyalität und ausgesprochener Kühle hin und her. Dieses Wechselbad der Gefühle wirkt sehr konstruiert. Am schlimmsten sind jedoch Hadrians Pläne. Zum Beispiel riskiert er besagte Kolosseumskämpfe, um sich das Geld für ein eigenes Schiff zu verdienen. Kurz vor dem Ende seines Gladiatorenvertrages stellt sich jedoch heraus, dass ihm noch immer Ländereien auf Delos gehören, mit denen er ein Schiff kaufen könnte. Der ganze Plan was also völlig unnötig. Szenen wie diese gibt es mehrere, die entweder darauf schließen lassen, dass Hadrian nicht der pfiffigste ist oder dass die komplexe Rahmenhandlung doch etwas zu überambitioniert für die Handlungsarmut des Romans war. Hadrian hinterlässt den Eindruck eines vor allem an sich selbst denkenden, egoistischen und verwöhnten Adelssohns. Und da auch nach Jahren in Armut und im Kolosseum sein Hochmut noch zu Leid in seinem Umfeld führt, erscheint er zudem als lernunfähig.

„Empire of Silence“ ist eine planetenbasierte Weltraumoper, die ein hohes Erzähltempo mit wenig tatsächlicher Handlung verbindet. Die ambitionierte und in einigen Aspekten durchaus interessante Phantasiewelt Ruocchios wird in dem Werk kaum genutzt, da sich der Roman zu stark auf Hadrian konzentriert, ohne dem Ich-Erzähler dabei besonders interessant oder spannend erscheinen zu lassen. Dank des gefälligen Schreibstils und der Cliffhanger-fixierten Kapitelstruktur ist „Empire of Silence“ ein durchaus gefälliger Auftakt für eine Reihe, die das Potential hat, nun auf den komplexen Konflikten zwischen Menschheit und Cielcin sowie zwischen Freidenkern und Kirche aufzubauen. Selbst mit großer Sympathie für langatmige Weltraumopern erscheinen knapp 800 Seiten für das bloße Versprechen auf einen ereignisreicheren zweiten Teil sehr viel.

Der Roman ist unter dem Titel „Das Imperium der Stille“ 2019 im Heyne-Verlag auf Deutsch erschienen. Die Rezension basiert auf der englischsprachigen Version.

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