Sundered Bond (von Django Wexler)
|„Magic: The Gathering“ ist das älteste, größte und vermutlich faszinierendste Sammelkartenspiel der Welt. In den kommenden Tagen erscheint mit „Ikoria: Lair of Behemoths“ ein neues Set auf einer neuen Welt. In unregelmäßigen Abständen erscheinen Novellen zu den Sets, die den Spielern mehr Hintergründe über die Welt, auf der die Karten spielen, liefern sollen. Wurde die Geschichte des Spiels einst durch Romane, dann durch frei verfügbare Kurzgeschichtenserien vorangetrieben, sind es nun Novellen, die die Welten des Kartenspiels zum Leben erwecken sollen. Das ist erst einmal eine gute Nachricht, schließlich ist es mit deutlich weniger Zeitaufwand verbunden, die Handlung der Serie zu verfolgen. „Sundered Bond“ ist nach „The Wildered Quest“ die zweite Novelle in diesem neuen Erzählformat. Und sie zeigt dieselben Schwächen wie der Vorgänger auf: Anstatt ein überzeugendes Abenteuer auf Ikoria zu erzählen, ist „Sundered Bond“ lediglich eine ausgiebige und nicht einmal besonders überzeugende Einführung in die neue Welt.
Ikoria wird von großen, gefährlichen Monstern beherrscht. Es ist damit eine Welt, in der Menschen tagtäglich ums Überleben kämpfen müssen. Lukka ist ein Captain der Verteidigungskräfte der Stadt Drannith. Bei einem Einsatz zur Verteidigung des äußeren Walls begegnet er einem riesigen Tiger, der seine gesamte Truppe tötet. Lukka selbst wird jedoch verschont, eine Bindung („Bond“) entsteht zwischen ihm und dem Tiger. Der Kommandant der Stadt, General Kudro, sieht jedwede Art, mit Monstern zusammenzuarbeiten, als Hochverrat an. Lukka muss daher fliehen. Dabei begegnet er der Weltenwandlerin Vivien, die große Sympathien für wilde Lebewesen hegt. Sie rettet Lukka vor seinen einstigen Kameraden, die den Befehl haben, ihn zu töten. Lukka erforscht seinen Bund mit dem Tiger und erfährt von einem mysteriösen Kristall, der den Monstern der Region aufträgt, Drannith anzugreifen. Zusammen mit Vivien bricht er auf, um diesen schädlichen Einfluss zu neutralisieren und sich in Kudros Augen zu rehabilitieren. Sie werden jedoch von einer Gruppe Monsterjägern und Jirina, Lukkas Verlobte und Tochter General Kudros, verfolgt.
Die neue Welt Ikoria ist eigentlich ein faszinierender Ort. Wilde Lebewesen, allen voran Katzen, Dinosaurier und Elementare, mutieren hier regelmäßig. Das Leben ist daher von großen Tieren beherrscht und Menschen fristen nur ein Schattendasein. Die Menschen in Drannith leben daher unter der permanenten Bedrohung durch Monster und alles Leben ist auf die Verteidigung der Stadt ausgerichtet. Vivien besucht diese Welt und scheint auf der Suche nach einem ihrer Gegner zu sein, von dem sie fürchtet, er füge der Welt Schaden zu. Sie beobachtet rasch, dass es auf der Welt viel zu viele Jäger für die wenigen Beutetiere und -lebewesen gibt. Sie vermutet ihren unbekannten Gegner in den Kristallen. Alles in allem ist Ikoria also eine vielfältige Welt, auf der eine Geschichte darüber erzählt werden soll, wie zivilisierte und unzivilisierte Lebewesen miteinander in Harmonie leben können. Dieses Thema wurde bereits in „The Wildered Quest“ aufgegriffen: In der damaligen Welt, Eldraine, hatten Menschen jüngst wildes Leben verdrängt, hier ist es umgekehrt. Leider interessiert sich „Sundered Bond“ für diesen Konflikt letztlich so wenig wie der Vorgänger.
Erst einmal interessiert sich die Novelle kaum für die Welt. Das beginnt damit, dass die Menschen alle ihre Gegner als Monster bezeichnen. Monster ist aber ein Begriff für etwas ausgesprochen schreckliches. Wenn die Menschheit mit diesen Tieren groß geworden ist, müssten die Raubtiere eigentlich ganz gewöhnliche Erscheinungen sein. Warum wählt man also einen außergewöhnlichen Begriff für etwas gewöhnliches? Wenn die Angriffe aber zugenommen haben, ist es sehr verwunderlich, dass sich niemand fragt, warum dies der Fall ist. Während der Vorgänger noch darunter litt, dass er in einer Tour de Force alle fünf Regionen Eldraines abklappern musste, so leidet „Sundered Bond“ darunter, dass man außer der in der Region Savai angesiedelten Stadt Drannith und ihrer Umgebung eigentlich gar nichts erlebt. Man erahnt das erzählerische Potenzial Ikorias, erlebt es aber nicht.
Die Idee, dass auf einmal einige der Monster sich mit Menschen verbinden, ist höchstspannend. Hier entsteht Verständnis, ja sogar so etwas wie Kommunikation zwischen den Tieren und ihren Partnern. Um so spannender ist es, wenn ein Captain wie Lukka, der sein ganzes Leben der Vernichtung von Monstern gewidmet hat, auf einmal mit einem Tier kommunizieren kann. Lukka strebt sich verständlicherweise lange dagegen, irgend etwas positives in dem Tiger zu sehen. Das ist sehr verständlich, der Tiger hat schließlich einige seiner besten Freunde getötet. Nach diesem soliden Start würde man erwartet, dass die Bindung der beiden weiter erforscht wird. Stattdessen geht Lukka jedoch gleich dazu über, eine ganze Armee von Tieren zu übernehmen. Der Tiger wiederum opfert sich selbst, um Lukkas Verlobte zu retten. Das macht alles keinen Sinn. Der Tiger spürt, dass Lukka Jirina in Sicherheit sehen möchte. Aber warum sollte er sich deswegen opfern? Die gesamte Bindungsthematik bleibt höchst oberflächlich. Außerdem ist Lukkas Angriff auf Drannith völlig verkehrt. Natürlich steht er unter fremden Einfluss. Doch die Geschwindigkeit, mit dem er all seine Ansichten auf den Kopf stellt, ist nicht überzeugend. Wie in „The Wildered Quest“ wird der Hauptprotagonist, Lukka, im Verlauf der Geschichte zu einem Weltenwandler. Das dies auslösende Ereignis ist hier aber ausgesprochen unbefriedigend. Nur hat Lukka überhaupt keine Erfahrungen gesammelt und der Leser weiß nicht, ob Lukkas weiter unter wahnsinniger Fremdkontrolle steht, ob er sein Verhältnis zu Tieren verbessert hat oder ob er aus eigenem Antrieb Tiere für seine Zwecke durch seine Bindungsfähigkeit ausnutzt. In anderen Worten: Selbst nach dieser Novelle ist der neue Weltenwandler ein Mysterium. Dafür, dass die gesamte Novelle eigentlich nur dessen Herkunft und Geschichte erzählt, ist dies sehr enttäuschend.
In dem Kristall, der Lukka beeinflusst, versteckt sich Viviens unbekannter Gegner. Er ist nach Ikoria gereist, um ein sinistres Ziel zu verfolgen. Bis zum Schluss erfährt man nicht, um wen es sich dabei handelt. Dies trägt zusammen mit der oberflächlichen Darstellung Ikorias und der unvollständigen Handlung um Lukka dazu bei, dass „Sundered Bond“ nur wie ein Auftakt für eine mögliche Fortsetzung wirkt. Die Novelle hat einen einigermaßen spannenden Höhepunkt, in dem Lukka seine Heimat Drannith mit einer Monsterhorde angreift. Dieses Ende leidet darunter, dass nicht nur Lukkas Motivation, sondern auch die Motivation seines Befehlsgebers völlig unklar ist. Und obwohl sich vieles am Ende in vermeintliches Wohlgefallen auflöst, bleiben eigentlich alle Fragen offen. „Sundered Bond“ gibt daher weder interessante Einblicke in die neue „Magic“-Welt, noch schafft die Novelle Klarheit über den neuen Charakter Lukka oder über die Bedrohung, die das Gleichgewicht auf Ikoria durcheinanderbringt. Das ist streckenweise zwar durchaus kurzweilig zu lesen und lässt Potenzial erahnen, bleibt letztlich aber angesichts der vielen offenen Enden eher enttäuschend. Vielleicht ist der begrenzte Platz einer Novelle doch zu knapp, um gleichzeitig eine neue Welt inklusive neuer Protagonisten zu beschreiben und ein sinnvolles Abenteuer zu erzählen.