Skinned (von Lesley Nneka Arimah)

Ejem ist eine enthüllte Frau. In der Gesellschaft, in der sie lebt werden Mädchen in jugendlichem Alter gezwungen, auf das Tragen von Kleidern zu verzichten. Sie dürfen sich erst wieder bedecken, wenn sie geheiratet haben. Ihre beste Freundin Chidinma musste ihre Kleider zum selben Zeitpunkt wie Ejem ablegen. Anders als Ejem fand sie jedoch rasch einen Mann. Ejem wiederum hatte kein Interesse an der für sie arrangierten Ehe. Daher ist sie seit über 13 Jahren Single und nackt. Mittlerweile wird dies aufgrund ihres Alters als so unschicklich empfunden, dass sie einen Job nach dem anderen verliert. Auch Chidinma kündigt ihr die Freundschaft, da es nicht mehr schicklich ist, eine enthüllte Frau im Hause einer verhüllten Frau zu empfangen. In ihrer Panik vor Armut und vor allem sozialen Progromen und Misshandlungen alleinstehender, mittelalter Frauen beginnt Ejem in einem Massagesalon zu arbeiten. Dort begegnet sie Odinaka, einer reichen Frau, die es sich das gesellschaftliche Tabu, Klamotten ohne Eheschließung zu tragen, leisten kann. Odinaka nimmt Ejem in ihren Kreis geretteter alleinstehender Frauen auf. Ejem ist euphorisch und fühlt sich erstmals seit ihrer Kindheit sicher. Einige Beleidigungen durch männliche Gäste Odinakas sähen jedoch erste Zweifel an ihrem neu gefundenen Glück. Außerdem hält sich auch Odinaka viele Dinnerinnen der diskriminierten Gruppe der Osu, ihre Toleranz hat also Grenzen. Bei der nächsten Begegnung mit Chidinma wird Ejem von ihrer alten Freundin mit lauten Schreien und Beleidigungen auf offener Straße verfolgt: Chidinma sieht nicht ein, warum Ejem Klamotten tragen darf, ohne die Leiden und Entbehrungen einer Heirat auf sich zu nehmen. Ejem bleibt ohne wirkliche soziale Kontakte ausgegrenzt und wendet sich den Osu zu, die selbst nach der Heirat von der Mehrheitsgesellschaft zur Nacktheit gezwungen werden.

Arimah entführt den Leser mit „Skinned“ in eine beklemmende Welt. Die Geschichte ist komplett aus der Perspektive Ejems erzählt. Wie alle Frauen leidet sie stark unter der Nacktheit und der Enthüllung, die ihr von der Gesellschaft ab dem 15. Lebensjahr aufgezwungen wird. Die Frauen dieser Welt haben dieselben Wünsche, Ziele und Hoffnungen wie in unserer Welt. Theoretisch haben sie auch dieselben Rechte, dürfen z.B. Jobs annehmen und alleine wohnen. Sie müssen ihre Tätigkeiten jedoch nackt entrichten, wenn sie nicht verheiratet sind. Dadurch sind die den objektifizierenden Blicken ihrer männlichen Mitbürger hilflos ausgeliefert und für viele Tätigkeiten nicht geeignet. Ejem muss dies nach einer erfolgreichen Karriere erfahren, als ihr Publikum weniger auf ihre Präsentationen und ihre Arbeit achtet, sondern nur noch auf ihre Brüste. Solche Erfahrungen kann man sicherlich auch in unserer Gesellschaft machen, schließlich gibt es genug gesellschaftliche Mechanismen, die Frauen objektifizieren, ohne dass diese dafür nackt herumlaufen müssen. „Skinned“ zeigt ohne dies direkt zu thematisieren, wie konstruiert Regeln in einer Gesellschaft sind. Das ist vor allem aus der Perspektive Ejems und Chidinmas ausgesprochen beklemmend. Vor allem die Szenen, in denen ihre Väter ihnen den bis zum 15. Lebensjahr verfügbaren Stoff vom Körper nehmen und sie nackt in die Welt gestoßen werden, sind ausgesprochen brutal. Denn da es sich für verheiratete Männer nicht schickt, mit nackten Frauen zu reden, verlieren sie umgehend einen Großteil ihrer Bezugspersonen, allen voran ihren eigenen Vater. Dieser plötzliche Entfremdungsmoment ist herzzerreißend.

Die Kurzgeschichte begleitet Ejem in verschiedenen alltäglichen Situationen. Dabei verliert sie zunächst ihren Job und als Chidinmas Gatte sie bei seiner Frau erwischt auch noch ihre beste Freundin. Aus ihrem drohenden Absturz in die Armut oder gar den eigenen Tod durch den Umzug in ländlichere Gebiete, in denen nackte Frauen verfolgt werden, wird sie von einer reichen Mäzenin gerettet. Der Geschichte geht es jedoch nicht darum, aus dieser Rettung eine Revolution oder gar ein gesellschaftliches Umdenken anzudeuten. Im Gegenteil: Ejem muss durch ihre Entscheidung, den Stoff ihrer Gönnerin zu akzeptieren, endgültig Abschied von ihrer Freundschaft zu Chidinma nehmen. Ihre einstige Freundin sieht nicht ein, warum Ejem auf leichterem Weg etwas erhält, für das sie ein Opfer bringen musste. Es ist ein gutes Beispiel wie gesellschaftliche Regeln und ihre Befolgung einen Keil zwischen Menschen in ähnlicher Situation reißen können. Strukturelle Diskriminierung wird teilweise oft auch nicht nur von Nutznießern aufrechtgehalten, sondern auch von denjenigen, die zwar unter ihr leiden, sich aber den Verhältnissen angepasst hat.  Arimah zeichnet in „Skinned“ bewegend nach, wie Ejems durch ihre Unangepasstheit und ihren Wunsch nach Unabhängigkeit ihre letzten Vertrauenspersonen verliert.

Ejem muss sich nach Odinakas Unterstützung keine Sorgen mehr über ihre Zukunft machen. Doch Freiheit und Selbstverwirklichung erreicht sie dadurch nicht zwingend. Denn nun ist sie dem Umfeld ihrer Mäzenin ausgesetzt und man kann sich leicht vorstellen, dass sie bald auch der Willkür Odinakas ausgesetzt ist. Gesellschaftliche Teilhabe erlangt sie lediglich, wenn sie sich den Regeln unterwerfen würde. Ejems einziger Ausweg, ohne Gatten nicht nur Freiheit, sondern auch Anerkennung von ihresgleichen zu erlangen, liegt in der eigenen Herabsetzung durch Übertritt in eine noch geringer gestellte Kaste. Das ist ein packender Abschluss für eine atmosphärisch starke und sehr gelungene Geschichte die in jeder Szene zeigt, warum das regelmäßige Hinterfragen gesellschaftlicher Regeln so wichtig ist. Denn die brutalen Auswirkungen der hier realistisch geschilderten, letztlich aber absurden Regel sind die Folge existierender, deutlich weniger sichbarer gesellschaftlicher Konventionen.

Die Kurzgeschichte „Skinned“ von Lesley Nneka Arimahist 2018 im McSweeney’s Magazin erschienen. Sie ist außerdem ein Beitrag in der Anthologie „The Best American Science Fiction and Fantasy 2019“, herausgegeben von Carmen Maria Machado und John Joseph Adam.

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